Sonntag, 30. August 2009

Der spannende Weg Roms von der Republik zum Kaiserreich

Die wenigen Jahre zwischen dem Niedergang der römischen Republik, dem Aufstieg Julius Cäsars und der Konsolidierung des Prinzipats im römischen Kaiserreich unter Oktavian zählen für mich zu den spannendsten Epochen der Weltgeschichte. Die 24-teilige HBO/BBC Produktion "Rom" zeichnet ein detailliertes und dennoch unterhaltsames Bild jener Epoche und hat mich zur Lektüre eines Bandes der populären 36-bändigen Fischer Weltgeschichte angeregt, Band 7, "Der Aufbau des Römischen Reiches", in dem diese kurze Zeitspanne des 1. vorchristlichen Jahrhunderts in kompakter Form beschrieben wird.

Sonntag Nachmittage im schon sich ankündigenden Herbst bieten sich ja geradezu dazu an, einen Blogeintrag zu schreiben. Diesmal möchte ich nicht nur über das letzte Buch, das ich gelesen habe, schreiben, sondern gleich zu einem Rundumschlag ausholen, bei dem ich den Lesern auch noch zwei Fernsehserien ans Herz legen möchte. Aber zunächst einmal zu den geschichtlichen Fakten, die den Rahmen dazu bilden:

Nach den römischen Bürgerkriegen zwischen den Anhängern des Plebejers Marius und des Aristokraten Sullas geht die römische Republik angeschlagen einer neuen Epoche entgegen. Der Feldherr Pompeius Magnus macht reiche Eroberungen im Osten und schickt sich an, ein zweiter Alexander zu werden -- wobei er aber stets ein zuverlässiger Republikaner bleibt. Marcus Tullius Cicero, der vielen von uns zumindest noch aus dem Lateinunterricht ein Begriff ist, spielt sein Intrigenspiel um die Vormachtstellung im römischen Senat. Gaius Julius Cäsar gelingt nach langem und hartem Ringen die Eroberung von ganz Gallien, aber er entlässt seine Armee nicht aus seinem Dienst, bevor er nach Rom zurückkehrt, sondern überschreitet in voller militärischer Stärke den sprichwörtlich gewordenen Rubikon, den Grenzfluss zwischen Gallia Cisalpina und Oberitalien, und marschiert auf Rom. Der Senat und Pompeius flüchten aus Rom. Pompeius drängt es nach Osten, um seine eigenen Armeen zusammenzuziehen und um Cäsars Streitkräften auf eigenem Territorium entgegenzutreten, aber das Kriegsglück bleibt ihm nicht hold. Cäsar unterwirft zusätzlich das letzte noch verbleibende Königreich am Mittelmeer, das sagenumwobene Ägypten und beginnt seine legendäre Affäre mit der ägyptischen Königin Kleopatra. Zurück in Rom als Diktator auf Lebenszeit wird er das Opfer einer republikanischen Verschwörung, angeführt von Marcus Junius Brutus, und stirbt in einem Hinterhalt im Senat von 23 Dolchstichen durchbohrt an den Iden des Märzes (15.3.) des Jahres 44 v. Chr.

Testamentarisch bestimmt er seinen Großneffen Oktavian als Alleinerben, der zusammen mit Cäsars Freund und Mitkonsul Marcus Antonius und dem Adeligen Gaius Lepidus nach einigen militärischen Konflikten das römische Reich in drei Teile aufteilt. Marcus Antonius erhält den Osten (zusammen mit Ägypten, der Kornkammer des Reiches), Oktavian erhält Italien und die westlichen Provinzen, für Lepidus bleibt das immer noch umkämpfte Afrika. Marcus Antonius verfängt sich in den Reizen und Verführungskünsten der ägyptischen Königin (mit der zusammen er drei Kinder hatte), ein Umstand, den Oktavian politisch für sich ausnutzen kann. Er wirft Marcus Antonius vor, orientalische Unsitten anzunehmen und das römische Reich zu verraten, indem er ihm unterstellt, ein großägyptisches Königreich installieren zu wollen. Die Seeschlacht bei Actium entscheidet die Geschichte zu Gunsten Oktavians, Marcus Antonius und Kleopatra begehen Selbstmord und Oktavian steigt zum alleinigen Herrscher über das römische Imperium auf...

Dem Band 7 der 36-bändigen Fischer Weltgeschichte "Der Aufbau des römischen Reiches -- die Mittelmeerwelt im Altertum III" gelingt es, diese Epoche detailreich und kompakt zusammenzufassen. Neben den oben bereits geschilderten Fakten erhalten wir Einblicke in das Leben und die Sitten der vielen Völker, die das römische Imperium bis zur Zeitenwende in sich aufgesogen hatte, sowie der umgebenden Nachbarn. Um einen ersten Überblick über die Zeit zu gewinnen, eignet sich das Buch hervorragend. Allerdings steckt in der Epoche noch wesentlich mehr Stoff, der als spannende Lektüre dienen kann...

Wer es etwas schneller mag und eine gelungene optische und zugleich unterhaltsame Umsetzung der wichtigsten geschichtlichen Ereignisse dieser Zeit sehen möchte, dem sei die 24-teilige fernsehserie "Rom" wärmstens ans Herz gelegt, die vor kurzem fast unbemerkt im RTL2-Samstagsabendprogramm lief. Zwar habe ich selbst nur eine einzelne Folge der deutschen Version gesehen, aber ich war bereits angefixt und habe mir in den vergangenen Wochen alle 24 Folgen in der englischsprachigen Originalausgabe mit Begeisterung angesehen. Etwas schwierig dabei war zugegebenermaßen die englische Aussprache der lateinischen Namen :) Während mein alter Lateinlehrer noch darüber philosophierte, ob man "Cicero" denn nun besser als "Kikero" oder "Zizero" aussprach (die Indizien sprechen übrigens für "Kikero"), fiel es mir manches mal schon etwas schwer, den englischen Akzent aus den lateinischen Wörtern "herauszufiltern", um diese zu identifizieren. Aber die Originalstimmen sind einfach großartig und authentischer als die Synchronisation.

Auch sind die vielen freizügigen Sexszenen sicher nicht jedermanns Geschmack. Aber - und das wird deutlich - hatten die alten Römer auch andere Einstellungen zu öffentlicher Freizügigkeit, zum menschlichen Körper und insbesondere auch zum Wert eines menschlichen Lebens. Auch wenn die Serie natürlich kein "authentisches" Bild der römischen Kultur bietet, ist sie dennoch viel näher dran, als vergleichbare Produktionen der Vergangenheit (insbesondere auch als der vielfach dafür kritisierte Film "Gladiator"). "Rom" verknüpft die großen geschichtlichen Ereignisse mit dem Leben zweier einfacher römischer Legionäre, Lucius Vorenus und Titus Pullo, die tatsächlich auch in Cäsars Bericht zum gallischen Krieg (De bello gallico) erwähnt werden, denen es immer wieder gelingt, ein entscheidendes Detail zum Gang der Geschichte beizutragen.

Aber wenn es um das römische Kaiserreich geht, darf Robert Ranke-Graves (übrigens verwandt mit dem großen Historiker Leopold von Ranke) nicht fehlen. Sein einzigartiger Roman "Ich, Claudius, Kaiser und Gott", spielt zwar erst in der darauffolgenden Epoche und zeigt den Niedergang der julisch-claudischen Dynastie (Augustus, Tiberius, Caligula und Claudius) als fiktive, autobiografische Aufzeichnungen des Kaisers Claudius. Wer diese großartige Charakterisierung römischer Kultur lesen möchte, sollte die umfangreichere zweibändige englische Originalausgabe lesen. Der von Ranke-Graves persönlich gekürzten deutschen Version fehlen meiner Ansicht nach einige wichtige Teile. Kongenial wurde dieses Buch durch eine wunderbare BBC-Miniserie "I, Claudius" in den 70er Jahren umgesetzt, die die Grabenkämpfe des römischen Herrscherhauses in einzigartiger Weise mit hervorragender Besetzung (Derek Jacobi, Patrick Steward -- Captain Picard mit Locken... , John Rhys-Davies und John Hurt) als Kammerspiel schildert. Diese Serie hat mich bereits als Schüler im Abendprogramm des bayerischen Fernsehens fasziniert - und das nicht nur, weil mir viele der Charaktäre aus dem Lateinunterricht vertraut waren.

Fazit: Heute hagelt es nur so vom Empfehlungen. "Rom" und "Ich Claudius, Kaiser und Gott" als DVD sowie Fischers Weltgeschichte und Robert Ranke-Graves Buch "Ich Claudius, Kaiser und Gott". Für alle, die etwas mehr über die Wurzeln unserer abendländischen Kultur erfahren wollen und denen Asterix alleine als Informationsquelle (der sei hier auch noch einmal empfohlen) nicht ausreicht . LESEN!

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Freitag, 28. August 2009

Der König der Leser schreibt "Eine Geschichte des Lesens"

So, jetzt einmal ehrlich, wer hat schon einmal etwas von Alberto Manguel gehört? Er zählt (noch) nicht zu den millionenfach verkauften Sachbuch-Bestseller-Autoren, wie z.B. aktuell aus der Spiegel Bestsellerliste Eckart von Hischhausen oder (noch immer) Hape Kerkeling. Nein, Alberto Manguel ist ein vollkommen anderes Kaliber -- aber nicht minder unterhaltsam!

Laut dem Klappentext gibt es "Bücher, auf die man -- vielleicht ohne es zu wissen -- schon immer gewartet hat". Und damit ist eigentlich schon das Wichtigste über Alberto Manguels "Eine Geschichte des Lesens" gesagt. Der Diplomatensohn Manguel wurde in London geboren, wuchs in England auf und gelangte über Stationen, wie Paris, Mailand, Buenos Aires und Toronto heute nach Frankreich, wo er in dem kleinen Städtchen Mondion in einer alten Pfarrei lebt, die seine ca. 30.000 Bücher umfassende Bibliothek beherbergt. Durch Zufall entdeckte meine Liebste dieses Buch in einem Potsdamer Antiquariat, ohne zu wissen, dass es schon seit einiger Zeit auf meiner "Lesewunschliste" stand, und auch ihr war sofort klar, dass auf diesem Buch bereits mein Name stand...

Manguel führt uns zunächst ein in seine ganz private Geschichte des Lesens, angefangen von seinen ersten Leseerlebnissen über seine Bekanntschaft mit Jorge Luis Borges, dem blinden Schriftsteller und Direktor der argentinischen Nationalbibliothek, als dessen "Vorleser" er über einige Jahre hinweg arbeitete -- eine bessere Schule kann es für einen zukünftigen Autor gar nicht geben :).

Der Akt des Lesens an sich, hat sich im Lauf der Geschichte deutlich verändert. Wurde zunächst stets laut vorgelesen, damit auch die nicht des Lesens Kundigen dem Inhalt des Buches beiwohnen konnten, verlagerte sich das Lesen ins Private hin zum "stillen Lesen" (siehe dazu auch meine "Kurze Kulturgeschichte des Lesens" aus dem vergangenen Jahr). Natürlich wird dabei auch die Entwicklung der Schrift, des Buches und des Buchdrucks, sowie der Bibliothek anhand zahlreicher Beispiele exemplarisch und anekdotisch geschildert. Neben den vielen Illustrationen und Abbildungen besteht ein für mich ein besonders schönes Detail des Buches in seiner umfassenden Bibliografie inkl. exakter Literaturverweise.

Weiter führt uns Manguel die "Macht des Lesers" vor Augen, die von einem Nachsatz ergänzt wird, in dem alle Themen noch einmal aufgegriffen und angerissen werden, die eigentlich in dem vorliegenden Buch noch hätten besprochen werden sollen -- wozu der Autor aber leider nicht mehr gekommen ist (denn auch dessen Lebenszeit ist nur begrenzt...). Dazu zitiert er am Ende Jonathan Rose, "Rereading the English Common Reader" mit den "fünf häufigsten Fehlschlüssen im Hinblick auf das Leseverhalten":

  1. Alle Literatur ist politisch in dem Sinn, dass sie immer das politische Bewusstsein des Lesers beeinflusst.

  2. Die Wirkung eines Textes verhält sich direkt proportional zu seiner Verbreitung.

  3. "Populärkultur" hat viel mehr Anhänger als die "Hochkultur", und daher bringt sie auch die Einstellung der Massen genauer zum Ausdruck.

  4. Die "Hochkultur" tendiert dazu, das Einverständnis mit den bestehenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen zu stärken (eine Annahme, die von Linken und Rechten weitgehend geteilt wird).

  5. Welches die "bedeutenden Werke" sind, wird einzig von den gesellschaftlichen Eliten bestimmt. Gewöhnliche Leser ignorieren diese Urteile, oder sie akzeptieren sie nur deshalb, weil sie sich der Meinung der Elite beugen.


Fazit: Wer auch nur einmal bereits einen Gedanken daran verschwendet hat, darüber nachzudenken, warum wir lesen, wie sich das Lesen über die Jahrhunderte hinweg entwickelt hat und welche Auswirkungen und Bedeutung das Lesen hatte und immer noch hat, dem sei dieses Buch allerwärmstens ans Herz gelegt. Alberto Manguel bietet einen einzigartigen Anekdoten- und Wissensreichtum, vor dem ich demütig mein Haupt verneige, insbesondere auch deshalb, weil er diesen mit einer unnachahmlichen Leichtigkeit darzustellen vermag. LESEN!

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Donnerstag, 27. August 2009

Schlüsselwerk der Epochenwende - Neuausgabe von A. Kubins "Die andere Seite"

Alfred Kubin ist den meisten - wohl eher doch den "wenigen", die seinen Namen tatsächlich schon einmal gehört haben - als Zeichner der populären, aber dennoch oft kongenialen Illustrationen zu den Werken Edgar Allan Poes oder auch Dostojewskis bekannt. Aber er hatte sich vor seiner Karriere als Zeichner auch als außergewöhnlicher Literat hervorgetan und schuf einen Jahrhundertroman, der von der ZEIT als "visionäres Schlüsselwerk der Epochenwende, an der wir stehen" tituliert wurde (nachzulesen im Feuilleton der Zeit Nr. 34, S. 39).

Kubins phantastischer Roman "Die andere Seite" wurde bereits hier im Biblionomicon vor fast genau einem Jahr besprochen (Biblionomicon: Alfred Kubin - Die andere Seite) und ist jetzt bei suhrkamp in einer Neuausgabe erschienen (siehe auch unten). Dabei können wir in diesem Jahr sogar ein Doppeljubiläum feiern: Kubins Utopie erschien 1909 vor genau 100 Jahren und gleichzeitig begehen wir in diesem Jahr auch den 50. Todestag des österreichischen Autors und Zeichners, der nach seinem Tod 1959 gerne in dieselbe Liga mit Künstlern wie Goya oder Füssli gerückt wurde.
"Kubins Roman bricht sich an der Grenze zwischen den Extremen, die jeder Mensch in sich weiß, zwischen der Sehnsucht nach Stillstand und Ruhe und dem berauschenden Freudentaumel in die ungewisse Zukunft. (J. Neffe, DIE ZEIT)"

Fazit: verstörend und faszinierend zugleich, wer Kafka mag, dem wird auch dieser phantastische Roman wohl munden...und das mit Recht.

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Montag, 24. August 2009

"Die waren schon dicke miteinander" - zur Freundschaft zwischen Schiller und Goethe

Im Feuilleton der ZEIT fand ich in der vergangenen Woche ein sehr schönes Interview mit Rüdiger Safranski über dessen neues Buch zur berühmtesten aller Dichterfreundschaften zwischen Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe (auch nachzulesen in der ZEIT, Nr. 34/2009, S. 35 f.).

Als Ex-Wahl-Weimarer habe natürlich auch ich ein ganz besonderes Verhältnis zu unseren beiden "Lokalhelden", die in trauter Zweisamkeit vereint vor dem Nationaltheater in Weimar stehen. Zwar war es Goethe, der sich für Schiller einsetzte, damit er seine Geschichtsprofessur in Jena bekam (obwohl das Thema natürlich nicht gerade der Schwerpunkt des Schillerschen Schaffens war), aber von einer Freundschaft zwischen diesen beiden Literaturgiganten konnte noch lange keine Rede sein. Vielmehr gingen sie sich deutlich aus dem Weg -- und das über mehrere Jahre.

In der ZEIT ist nachzulesen, dass es erst der Initiative einer Frau bedurfte -- Charlotte von Lengenfeld, Schillers spätere Gattin -- damit sich die beiden auch tatsächlich 1788 in deren Familienhaus trafen und 'fanden'. Allerdings wurde mir die Anekdote um dieses 'erste Treffen' bei einer Stadtführung in Jena ganz anders geschildert:

Schiller soll Goethe auf einem Spaziergang unter dem Jenaer "Schnapphans" angesprochen haben, wo sich zwischen den beiden dann auch tatsächlich das erste längere Gespräch entwickelte. Das ganze soll unter den wachsamen Augen der Humboldt-Brüder stattgefunden haben, die in einem Haus der betreffenden Jenaer Gasse in der Belle-Etage residierten. Mit den Worten "Na endlich reden sie miteinander" soll der eine Bruder den anderen herbeigerufen haben ... und das war der Beginn einer "wunderbaren Freundschaft".


Einen ganz anderen Weg zur Freundschaft der beiden kann man in Robert Löhrs 'Das Erlkönig Manöver' nachlesen, das bereits hier im Blog an anderer Stelle (Geheimrat als Geheimagent) besprochen wurde. Alexander v. Humboldt mischt darin übrigens auch mit, neben Kleist, Bettina von Arnim und anderen bekannten Literaten.

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Dienstag, 18. August 2009

Zum Thema "Mainstream"

Zum Thema Mainstream oder "Massengeschmack" kann und konnte man schon immer geteilter Meinung sein, und das nicht erst seit Dieter Bohlen. Bereits im Altertum sprach Seneca die "Krone der Weisheit" dagegen einer gelehrten Minderheit und äußerte sich recht verächtlich über die Meinung der Mehrheit...

"Die Mehrheit sollte sich nach den Besten richten, statt dessen erwählt sich der Pöbel die Schlechtesten....Nichts ist verderblicher, als auf die Menge zu hören, für recht zu halten, was die meisten denken, und sich das Verhalten der Masse zum Vorbild nehmen, die nicht nach dem Verstande lebt, sondern nur danach strebt, es anderen gleich zu tun."

[aus Seneca, Vom glücklichen Leben (De vita beata)]

Ebenso der englische Kulturkritiker John Carey, der das Verhältnis der Intellektuellen zur Masse untersuchte:

"Angesichts der Menschenmengen, von denen der einzelne umgeben ist, ist es praktisch unmöglich, allen eine Individualität zuzubilligen, die der eigenen gleichwertig ist. Die Masse als eine reduktionistische und abweisende Vorstellung wurde erfunden, um dieser Schwierigkeit zu entgehen..."

[aus John Carey: The Intellectuals and the Masses. Pride and Prejudice among the Literarry Intelligentsia, 1880-1939, zitiert nach Alberto Manguel: Die Geschichte des Lesens]

Sonntag, 16. August 2009

Leben, Tod, Männer und Stierkampf - Ernest Hemingways Fiesta

Wenn es eine Handvoll Romane gibt, die man auf alle Fälle gelesen haben sollte, dann zählt für mich dieser ganz bestimmt dazu. Zum dritten Mal haben sich jetzt unsere Wege gekreuzt und wieder habe ich etwas Neues erlebt und entdecken können. Hemingways erster "großer Wurf" Fiesta wächst und reift mit seinen Lesern...und es geht wirklich nicht nur um die Stereotypen des Stierkampfs oder um "Blut, Schweiß und Tränen"...

Jake Barnes lebt das Leben eines amerikanischen Emigranten als Korrespondent eines Nachrichtenbüros im Paris der 20er Jahre. Impotent durch eine schwere Kriegsverletzung spielt sich sein Leben und das seiner Freunde meist nachts in den Pariser Cafés ab. Verliebt ist er in die dekadente Lady Brett Ashley, die er als Krankenschwester im italienischen Lazarett kennen und lieben gelernt hatte, deren Liebe aber bezeichnenderweise nie Erfüllung finden konnte. Nach der zweiten Ehe lebt Brett Ashley heute von Affaire zu Affaire, mit Jake Barnes als einzig festen Bezugspunkt und trinkfesten Freund. "Ach, Jake...wir hätten so glücklich zusammen sein können."...

Jakes Freund, der New Jorker Schriftsteller Robert Cohen -- Jude und ehemaliger Princeton Mittelgewicht Box-Champion -- kommt mit seinem zweiten Buch nicht so recht voran. Er ist mit Frances, der er die Ehe versprochen hat, in Paris und auf der Suche. Aber wonach, das weiß er selbst nicht so genau. Auf alle Fälle wird er sich in Ashley verlieben und muss daher Frances loswerden.

Mit Bill, einem weiteren Kollegen reist Jake (und nach ihm auch seine Pariser Cliqué) nach Pamplona, um die Stierkämpfe und das siebentägige San Fermin Fest zu erleben und hier beginnt Hemingways brilliante aber "verdammt traurige Geschichte, in der aufgezeigt wird, wie Menschen zugrunde gehen" (so Hemingway an seinen Schriftstellerkollegen F. Scott Fitzgerald). Dabei geizt Hemingway nicht mit versteckten Vergleichen, Parabeln und Anspielungen. So ist Lady Ashley auch gleichzeitig die antike Zauberin Circe, der die Männerwelt zu Füßen liegt...und tatsächlich werden wie im antiken Vorbild die Männer zu "Schweinen". Wobei hier der Vergleich mit den Traditionen und Regeln des Stierkampfs schlägt, in dem die "zahmen" (aber impotenten) Ochsen zwischen die "kampflüsternen" Stiere getrieben werden, um diese zu "beruhigen".

Hier treffen gegensätzliche Charaktäre ungeschönt und in aller Deutlichkeit aufeinander. Das Ganze garniert mit der für Hemingway typischen "sprachlichen Knappheit", mit der es ihm aber meisterhaft gelingt, ein ganzes Leben in nur einige wenige Sätze zu packen.

Als ich auf die 20 zuging und die Erzählung das erste Mal las, eröffnete sich für mich hier eine Welt der "Erwachsenen", die so ganz anders war, als meine eigene Lebenswelt. Atemlos und staunend folgte ich diesem Geschehen. Aber erst jetzt kann ich das Erzählte auch mit eigenem Erlebten in Bezug setzen. Jetzt bin ich verblüfft über die sprachliche Ausdruckskraft, die Hemingway in die Rede seiner Figuren setzt, und seine exakte Beobachtungsgabe. Jetzt erst kann ich aus eigenem Erleben bestätigen, dass es tatsächlich Menschen mit den geschilderten Charaktereigenschaften gibt -- und dass sich die Welt, aber insbesondere die Menschen, auch 80 Jahre nach Erscheinen des Romans noch nicht geändert haben...

Besonders möchte ich aber auf die Originalversion hinweisen, die unter dem Titel "The Sun also rises" erschienen ist. Meine deutsche Übersetzung von Annemarie Horschitz-Horst trifft Hemingways Sprache leider nur sehr ungenau. Viele Feinheiten und Nuancen gehen in der deutschen Übersetzung verloren und sind in der mir vorliegenden Übersetzung (meiner Ansicht nach) nicht wirklich treffend. Ganz besonders hat mir die (originale) Hörbuchausgabe, gelesen von Alexander Adams, gefallen, der genau den richtigen Ton für Hemingways Meisterwerk getroffen hat.

Fazit: LESEN! Mehr muss ich dazu nicht sagen. Jeder wird aus der Lektüre dieser nur knapp 200 Seiten dünnen Erzählung seine eigenen Schlüsse ziehen. Wie auch immer die ausfallen werden, es wird nicht umsonst gewesen sein...

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Sonntag, 2. August 2009

Eine unauffällige Perle - Die Eleganz des Igels

Ein Buch, das sich einem nicht sofort erschließt und das von Vielen sicherlich nach einigen wenigen Kapiteln entnervt oder auch enttäuscht zur Seite gelegt werden wird, aber das den Leser, der es bis über die erste Hälfte hinweg durchgehalten hat, mit einer warmherzigen und außergewöhnlich schönen Geschichte belohnt, die ihn ganz in ihren Bann ziehen wird...

Was können eine 54 Jahre alte Concierge Namens Renée ( "Ich bin Witwe, klein, häßlich, mollig, ich habe Hühneraugen und in gewissen Morgenstunden einen Mundgeruch wie ein Mammut.") und die 12-jährige Paloma, hyperintelligente Tochter wohlhabender Eltern ("Meine Eltern sind reich, meine Familie ist reich, und meine Schwester und ich sind folglich potentiell reich. Doch ich weiß schon lange, daß die Endstation das Goldfischglas ist, die Leere und der Unsinn des Erwachsenenlebens.") gemeinsam haben. Nichts als dass sie im selben Haus wohnen, so scheint es auf den ersten Blick. Aber - wie uns der mehrfach preisgekrönte Roman von Muriel Barbery zeigt, sind alle Dinge es wert, dass man ihnen einen zweiten Blick zugesteht, um unvoreingenommen zu urteilen.

Renée, nach außen die stachelig, bärbeißige und einfache Concierge, spielt seit Jahren ein privates Versteckspiel mit der Gesellschaft, indem sie nach außen hin eben die einfältige Concierge aus der Unterschicht gibt, während sie nur heimlich und in der Verborgenheit der Portiersloge ihrer Vorliebe für japanische Filmemacher, russischer Literatur des 19. Jahrhunderts, klassischer Musik und der Philosophie hingibt. Paloma lebt im selben Haus wie Renée und hat ebenfalls beschlossen, ihre Intelligenz und grenzenlose Neugier vor ihrer Umwelt geheim zu halten und spielt insbesondere ihrer eigenen Familie die renitente 12-jährige vor.

Als Monsieur Ozu, ein neuer Bewohner, in die Rue de Grenelle 7 einzieht, verändert sich alles. Anders als die übrigen Bewohner des Hauses geht er mit offenen Augen durch die Welt, dem die Besonderheit von Renée und Paloma nicht lange verborgen bleibt...

Muriel Barbery gelingt mit ihrem Roman "Die Eleganz des Igels" wirklich ein ziemlich großer Wurf. Das Buch hat mich nachhaltig beeindruckt, auch wenn die anfänglichen Versuche, beider Protagonistinnen mit übertriebener Intellektualisierung zu beeindrucken manches Mal ein wenig daneben geraten sind. Da kann man von Glück sagen, dass dem gewöhnlichen Leser (d.h. wahrscheinlich den meisten Lesern dieses Buches) Edmund Husserls Phänomenologie (die sagt mir auch recht wenig) oder William von Ockhams Position im mittelalterlichen Universalienstreit ("Jedes Universale ist ein Einzelding und daher nur von bezeichnungswegen ein Universale") nicht wirklich geläufig sind. Dabei, ich möchte Muriel Barbery nicht Unrecht tun. Ihre kurze Passage über Ockham gibt wirklich ein hervoragendes Beispiel für meine Studenten ab, wenn ich im kommenden Semester wieder die Einführung in das "Semantic Web" mit einer Vorlesung zur Geschichte des Ontologiebegriffes anreichere und dabei Barberys kurze Textpassage zur Existenz des "Tisches ansich" einfließen lasse. Dabei geht es um den alten Streit, ob den "Universalien" (= Platons "Ideen" bzw. bei Informatikern eben "Klassen") eine Existenz in der Realität (eine "Instanz") zugesprochen werden kann oder nicht, eine interessante Fragestellung, inwieweit wir unser Denken überhaupt verstehen können....

Daneben beschäftigt sich das Buch mit der ebenso philosophischen Fragestellung, was -- in welcher Situation und in welcher Beziehung auch immer -- "angemessen ist" und ob dies lediglich durch gesellschaftliche Normen festgelegt wird. Genauso geht es mit der Schöhneit und der Kunst, ganz im Stile von Marcel Proust. Allesamt interessante Fragestellungen, die in Tagebuchmanier dargelegt und diskutiert werden, während sich darum eine entzückende Geschichte entwickelt.

"Madame Michel (Renée) besitzt die Eleganz des Igels:Außen ist sie mit Stacheln gepanzert, eine echte Festung, aber ich ahne vage, dass sie innen auf genauso einfache Art raffiniert ist wie die Igel, diese kleinen Tiere, die nur scheinbar träge, entschieden ungesellig und schrecklich elegant sind."


Fazit: Die Eleganz des Igels ist nichts für oberflächliche Gelegenheitsleser ("Not for the faint of heart"). Im Gegenteil. Dem etwas tiefergründigen Leser aber erschließt sich eine Welt, die einem den Blick für das Schöne im Leben öffnen kann.

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