Donnerstag, 22. April 2010

Liebe, Triebe und Tragödien - Johann Wolfgang Goethe 'Wahlverwandtschaften'


Zugegeben, irgendwie gefiel mir meine (erste Version) der Überschrift noch nicht so richtig. Aber es ist auch alles andere als einfach, den rätselhaftesten von Goethes Romanen auf einen kurzen Nenner zu bringen, ohne polemisch zu werden oder den rechten Sinn zu verfehlen. Gut 200 Jahre ist es jetzt her, dass die 'Wahlverwandtschaften' erschienen sind und sie vermögen immer noch streckenweise zu fesseln und ziehen uns hinein in einen (jetzt wird es doch polemisch/ironisch) 'Strudel der Leidenschaft'...

Über 30 Jahre sollten vergehen, damit dem guten, jetzt gereiften Johann Wolfgang von Goethe ein neuer großer Romanerfolg nach seinem fulminanten und ungemein populären 'Werther' (Die Leiden des jungen Werthers) gelingen sollte. Wieder geht es um Gefühl und Leidenschaft, aber diesmal in einer fortgeschritteneren Variante. Aber wieder soll es böse enden....

Halt, halt. Ich nehme ja üblicherweise nicht die Pointe vorweg und verrate zuviel von der Geschichte. Aber Goethes Wahlverwandtschaften wurden mindestens ebenso 'totinterpretiert' wie Kafkas Novellen, d.h. meine kleine dtv-Ausgabe besitzt am Anschluss an die Geschichte knapp 100 Seiten Anhänge mit Deutungen, Anmerkungen, Erklärungen, Zeitgenössischem, uvm. Dummerweise verrät eine dieser ersten Anmerkungen, die man bereits nach wenigen Seiten Roman unbescholten als Erläuterung getarnt liest, wie das Ganze ausgeht. Aber ich versuche am Besten erst einmal den Handlungsfaden zu umreissen:

Das adelige Ehepaar Eduard und Charlotte leben, ein jeder in zweiter Ehe, glücklich miteinander in einem Schloss umgeben von einem idyllischen Garten. Gärtnerische Aktivitäten und landschaftliche Umgestaltungen bilden die einzigen 'Aufregungen' in dieser Idylle, die durch Eduards Einladung an seinen Freund den Hauptmann (keine Namen...) gestört wird. Zum Ausgleich nimmt sich Charlotte ihre Nichte Ottilie zur Gesellschaft mit auf das Schloss. Schon bald kristallisiert sich eine Zuneigung zwischen Eduard und Ottilie, sowie zwischen dem Hauptmann und Charlotte heraus. Eines Abends schleicht der liebestrunkene Eduard durch das Schloss und landet im Schlafzimmer seiner Frau. Beide geben sich einander hin, Eduard in Gedanken an Ottilie, Charlotte bei ihrem Hauptmann. Doch aus der Liebesnacht soll ein Kind hervorgehen....
"In der Lampendämmerung sogleich behauptete die innere Neigung, behauptete die Einbildungskraft ihre Rechte über das Wirkliche: Eduard hielt nur Ottilien in seinen Armen, Charlotten schwebte der Hauptmann näher oder ferner vor der Seele, und so verwebten, wundersam genug, sich Abwesendes und Gegenwärtiges reizend und wonnevoll durcheinander." (Seite 86)
Eduard gesteht Ottilie seine Liebe. Charlotte und der Hauptmann aber kommen überein, ihrer Liebe zu entsagen. Um der ganzen Situation aus dem Weg zu gehen, verlässt Eduard Charlotte und Ottilie und zieht verzweifelt in den Krieg. Das Kind wird geboren und überraschenderweise sieht es sowohl Ottilie und dem Hauptmann, nicht aber seinen leiblichen Eltern ähnlich. Ottilie wird die Obhut des Kindes anvertraut, doch als Eduard unversehrt und unvermittelt aus dem Krieg zurückkehrt, geschieht ein Unglück. Beim Einsteigen in einen Kahn entgleitet Ottilie das Kind. Es fällt in den See und ertrinkt. (So...jetzt wird es etwas 'gefühlsduselig'). Vor lauter Verzweiflung spricht Ottilie kein Wort mehr, verweigert jegliche Nahrungsaufnahme, wird zusehends schwächer und stirbt. Vor Gram und Kummer stirbt schließlich auch Eduard.
"Wo in den übrigen Wesen die Natur ihre Kräfte walten lässt, da entsteht Leben, da ist Dauer; und den Menschen vernichtet sie oft durch eben diese Kräfte. - Das ist das tragische Prinzip, das in den Wahlverwandtschaften herrscht, und das unwiderstehlich uns ergreift und die Menschheit in uns erschüttert." (Seite 267, Rudolf Abeken über Goethes Wahlverwandschaften, 1809)
Als 'Wahlverwandschaft' bezeichnet Goethe die wechselseitige Anziehungskraft der beiden Paare Eduard und Charlotte sowie Ottilie und des Hauptmanns. Er entlehnt diesen Begriff der Chemie: Gibt man zu einer chemischen Verbindung AB einen dritten Stoff C hinzu und besitzt dieser eine stärkere Verwandtschaft (Affinität) zu A als A zu B, so verbinden sich A und C wahlverwandtschaftlich.

Eduard ist von der Idee der 'Wahlverwandtschaften' vollends überzeugt. Allerdings scheitert er bei seinem Versuch, diese auf menschliche Beziehungen übertragen zu können. Schuld daran sind die gesellschaftlichen Zwänge der Zeit. Dabei leuchtet Goethe den Charakter seiner Figuren schonungslos bis in die letzten Tiefen aus und ist seiner Zeit dabei wohl auch ein gutes Stück voraus.
"Eine jede Ehe sollte auf 5 Jahre geschlossen werden. Es sei, sagte er, eine schöne, ungerade, heilige Zahl und ein solcher Zeitraum eben hinreichend, um sich kennenzulernen, einige Kinder hervorzubringen, sich zu entzweien und, was das schönste sei, sich wieder zu versöhnen." (Seite 74)
Philosophie, Chemie, Naturphilosophie und Psychologie - all diese Themen werden in den Gesprächen der Hauptfiguren nicht nur gestreift und stellenweise fühlte ich mich bei diversen Gartenspaziergängen schon auf den 'Zauberberg' versetzt. Allerdings stellt die antiquierte und mitunter komplizierte Sprache schon ihre Ansprüche an den geneigten Leser und stellt auch dessen Geduld auf eine harte Probe. Die Zeit des frühen 19. Jahrhunderts kommt uns dabei heute so seltsam fern und vor allen Dingen langsam und 'entschleunigt' vor.
"Wir spielen mit Voraussagen und Träumen und machen dadurch das alltägliche Leben bedeutend. Aber wenn das Leben nun selbst bedeutend wird, wenn alles um uns sich bewegt und braust, dann wird das Gewitter durch jene Gespenster nur noch fürchterlicher." (Seite 122)
Fazit: Ein heute wie damals sehr lesenswerter Roman mit interessanten Einblicken in das menschliche und eheliche Miteinander unter dem Zwang der gesellschaftlichen Ettiquette. Nicht immer ganz einfach, aber unbedingt LESEN!

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Dienstag, 6. April 2010

Was ist dran an so einem Bestseller? - Stieg Larsson "Verdammnis"

Eigentlich wollte ich schon vor gut 2 Wochen über den 2. Teil von Stieg Larssons Millennium-Trilogie schreiben, aber ich bin einfach nicht dazu gekommen. Daher hatte der sehr schnell gelesene Band, der seinem Ruf als "Pageturner" tatsächlich auch gerecht wird, diesmal einige Zeit, sich zu setzen und umso prägnanter kann meine Rezension jetzt werden: ja, ich werde auch noch den dritten Teil lesen. Warum ? Das werde ich gleich begründen....

"Das Mädchen, das mit dem Feuer spielte", so lautet der Originaltitel des zweiten Bandes der Millennium-Trilogie des jung verstorbenen schwedischen Kriminalautors Stieg Larsson ("Die Welt" bezeichnet ihn daher auch als den 'Heath Ledger' der Krimi-Autoren), der im Deutschen unter dem Titel "Verdammnis" erschienen ist. Warum, so frage ich mich, wurde der Titel abgesehen von der Alliteration mit den Titeln des Vorgängerbandes ("Verblendung", hier bereits im biblionomicon besprochen) bzw. des Nachfolgerbandes ("Vergebung") so genannt? In letzter Zeit denke ich öfter über die Übersetzungskünste deutscher Verlage nach (wie man aus den letzten Blogposts leicht ersehen kann) und muss mich stets wundern, da ich anscheinend einer der wenigen Leser zu sein scheine, der doch tatsächlich Zusammenhänge zwischen dem Titel und dem Inhalt des Buches sucht. Aber ich will nicht wieder gleich mit dem Gelästere anfangen, sondern erst einmal erzählen, worum es diesmal überhaupt geht.

Der Handlung des Bandes setzt ein gutes Jahr nach dem ersten Band ein. Wieder sind es der Journalist Mikael Blomqvist und die "quasi-autistische Punk-Hackerin" Lisbeth Salander, die im Mittelpunkt der Ereignisse stehen. Und zwar ist es diesmal Lisbeth, die ins Fadenkreuz der Ermittlungen gerät, da ihre Fingerabdrücke auf einer Mordwaffe gefunden werden und sie entsprechend ihrem "schrägen" Lebenswandel leicht auch für eine psychopathische Mörderin durchgehen könnte. Aber irgendwie passt alles nicht zusammen. Da gibt es zunächst einmal keine Verbindung zwischen den beiden Mordopfern und Lisbeth, aber schnell taucht noch ein drittes Mordopfer auf, Lisbeths von Gerichtswegen zugeteilter "Betreuer" (wir erinnern uns ja, dass Lisbeth als psychisch gestört gilt).

"Eine geraume Weile blieb sie sitzen und starrte vor sich hin. Es gibt keine Unschuldigen. Es gibt nur verschiedene Abstufungen von Verantwortung."(Seite 606)
"Lisbeth Salander war eine Frau, die Männer hasst, die Frauen hassen." (Seite 692)
Aber zunächst einmal steht die Polizei vor einem Rätsel, was das Motiv angeht. Das hindert die Behörden aber nicht, zur Großjagd auf Lisbeth Salander zu blasen. Mikael Blomqvist will der Version der Polizei keinen Glauben schenken. Er kennt Lisbeth Salander gut. Zwar hält er sie für durchaus fähig, einen Mord zu begehen, aber nur wenn sie dafür auch einen guten Grund dazu hätte. Blomqvist ermittelt auf eigene Faust, um die Wahrheit herauszufinden und um seiner untergetauchten Freundin aus der Patsche zu helfen. Dabei stößt er auf ein Netz von Prostitution und baltischen Mädchenhändlern, in das auch der lokale Polizeiapparat bis in die höchsten Kreise hinein verwickelt zu sein scheint.

Stop, das ist ja wieder ein Kriminalroman. Daher kann ich eigentlich auch nicht mehr zur Handlung erzählen, ohne einen Großteil der Spannung vorwegzunehmen. Und spannend, das ist der gut 750 Seiten starke Roman, auch wenn er zwischendurch einige kleinere Längen aufweist. Wir lernen wieder eine ganze Menge über den schwedischen Alltag, über IKEA, Ess- und Lebensgewohnheiten, und das macht auch einiges vom Charme dieser Romane aus. Auch diesmal wird wieder nicht von sexueller (und anderer) Gewalt zurückgeschreckt, nur dass es im Gegenteil zum ersten Band "Verblendung" diesmal nicht "in der Familie" bleibt. Wir lernen neue Seiten (geahnt oder auch ungeahnt) an Larssons Protagonistin Lisbeth Salander kennen und entgegen aller Erwartungen gelingt es, alle losen Enden der vielschichtigen Erzählung am Ende zu einem stimmigen Ganzen zu verknüpfen. Aber eigentlich - und ich lehne mich jetzt hier nicht zu weit zum Fenster hinaus und verrate etwa zu viel - eigentlich ist der Roman am Ende ja noch gar nicht zu Ende, sondern der Autor hinterlässt dem verblüfften Leser einen echten Cliffhanger. Das ist zwar nicht tragisch, d.h. ich hatte nicht sofort das unstillbare Bedürfnisse übergangslos den dritten Teil zu lesen (dazu war das Ganze doch nicht spannend genug), aber lesen werde ich den letzten Band noch auf alle Fälle.

Fazit: Band zwei ist fast noch besser als der erste - auch wenn es einige kleinere Längen gibt. 750 Seiten, die sich gut und gerne in wenigen Tagen in einem Rutsch durchlesen lassen und den Appetit nach mehr anregen.

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