Dienstag, 29. Juni 2010

Das hat die gute Jane nicht verdient - Jasper Fforde 'The Eyre Affair'

Man stelle sich vor, eine Welt, in der Literatur nicht nur bierernst genommen wird, sondern in der sich die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit vermischen. Das Ganze garniert mit einem Happen Zeitreisefolklore und alternativer Realität. Dann nehme man einen (oder mehrere) englische Klassiker der Literatur des 19. Jahrhunderts, rühre das Ganze kräftig herum und frage sich, was wohl Douglas Adams aus so einer Gemengelage hätte machen können...

Der walisische Autor Jasper Fforde ist ja eigentlich Kameramann (Kamera-Assistent um genau zu sein) und laut Wikipedia gar kein so unbekannter. Dort steht nämlich zu lesen, er habe z.B. in 'Goldeneye' oder 'The Saint' hinter der Kamera gestanden. Aber, er hat auch eine Figur und mit ihr verbunden eine alternative Welt erfunden, die es mittlerweile sogar auf mehrere Fortsetzungsbände gebracht hat: Thursday Next, die Literatur-Agentin. Nein, nicht wie wir das jetzt verstehen würden. Denn in Ffordes Welt, ist Literatur eine ernst zu nehmende Sache und Thursday Next ist Officer der paramilitärischen Special Ops Network Organisation. Eine ihrer vielen Unterabteilungen beschäftigt sich mit 'literarischen Verbrechen', so z.B. mit dem Aufspüren von illegal gedruckten oder gefälschten literarischen Werken. Laut Verlagstext handelt es sich bei Miss Next um eine krude Mischung aus Bridget Jones und Dirty Harry. Den etwas feinsinnigeren unter uns sträubt sich jetzt mit Sicherheit bereits das ein oder andere Nackenhaar...

Doch damit nicht genug. Jasper Fforde beschreibt uns eine Alternativwelt, in der England nicht das uns bekannte vereinigte Königreich darstellt, sondern eine geteilte Republik mit einem unabhängigen Wales ist, die sich seit mehr als einem Jahrhundert mit dem zaristischen Russland im noch nicht entschiedenen Krimkrieg befindet. Um es noch ein wenig weiter auf die Spitze zu treiben, sind Zeitreisen anscheinend nichts wirklich besonderes in dieser Welt, während auf der anderen Seite Überlandreisen mit der guten alten Eisenbahn oder in Luftschiffen unternommen werden, und dann auch noch Werwölfe, Vampire und Geister ein durch und durch reales Dasein fristen...

Doch es passieren dann doch wirklich 'unerhörte Dinge'. Alles fängt damit an, dass das Original Dickens-Manuskript des Romans 'Martin Chuzzlewit' gestohlen wird und dann noch tatsächlich eine anscheinend aus diesem Roman stammende Figur tot auf dem Seziertisch eines Polizeipathologen liegt und folglich auch nicht mehr weiter im Roman auftaucht, sondern verschwunden bleibt. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion sind auf einmal durchlässig geworden, dank einer genialen Erfindung von Thursdays Onkel Mycroft (ja, genau...so hieß übrigens auch der hochintelligente Bruder von Sherlock Holmes), einem verschrobenen Erfinder, Mathematiker und Physiker. Hades Acheron (was für ein dämlicher Name), ein unglaublich durchtriebener Schurke, ausgestattet mit übermenschlichen Kräften, erpresst das Land mit der Drohung, ein Nationalheiligtum Englands unwiderruflich zu zerstören: Er bringt Mycroft in seine Gewalt und entführt Jane Eyre mitten aus Charlotte Brontes gleichnamiger Geschichte (um genau zu sein irgendwo auf Seite 120) und da das Buch in Janes Ich-Erzählperspektive geschrieben ist, sind plötzlich alle nachfolgenden Seiten leer....

Klingt alles ziemlich aberwitzig? Ist es auch! Aber irgendwie konnte ich mit dieser Welt nicht wirklich warm werden. Letztendlich wurde es dann selbst mir zu 'seltsam'. Zeitreisen gepaart mit Vampiren, Shakespeare und Bronte ... das ist schon starker Tobak. Dabei ist die Grundidee, sich einen Klassiker herauszugreifen und etwas aus der Geschichte zu 'remixen' gar nicht so schlecht. Der Erfolg solcher literarischer Remixe, wie z.B. der Jane Austen-Verschnitt 'Stolz und Vorurteil und Zombies' scheint dem ganzen ja recht zu geben. Mögen muss man es dabei aber noch lange nicht.

Die Figuren des Romans waren mir allesamt zu plakativ und es fehlen die Erklärungen. Woher stammen die 'Superkräfte' des Ultrabösewichts? Warum ist er so geworden, wie er ist? Er war doch vorher anscheinend ein mehr oder wenig 'harmloser' Literaturdozent. Und überhaupt, warum ist Literatur in dieser Welt so ungeheuer wichtig? Vielleicht bieten ja die übrigen Thursday Next Bände hier weitere Aufschlüsse, aber ich habe erst einmal genug von dieser seltsamen Welt. Die einzigen guten Stellen des Romans waren die, in denen Fforde kräftig aus Charlotte Brontes Werk zitiert und mit der Geschichte spielt. Doch wahrscheinlich haben mir diese Stellen doch nur gefallen, weil ich 'Jane Eyre' so gerne habe (sie auch meine Rezension 'Aschenbrödel bekommt etwas lädierten Prinzen').

Fazit: Da versucht einer an Douglas Adams kruden Sinn für exzentrische Geschichten anzuknüpfen, hat eigentlich eine ganz gute Idee, schießt aber meiner Meinung nach etwas über das Ziel hinaus. Weniger wäre wohl eher mehr gewesen.

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Sonntag, 6. Juni 2010

Furioses Finale mit kleinen Schwächen - Stieg Larsson 'Vergebung'

So...jetzt bin ich also durch mit der Millenium-Trilogie des schwedischen Kriminalautors Stieg Larsson, die schon seit ich weiß nicht wann in den Top-Ten der Bestsellerlisten steht. Hat es sich tatsächlich 'gelohnt' diese insgesamt gut 2000 Seiten skandinavischer Kriminalliteratur zu lesen? Würde ich jetzt noch einen vierten Band lesen, so es denn noch einen gäbe? Hmm...da muss ich wohl etwas weiter ausholen, bevor ich eine abschließende Antwort geben kann.

Stieg Larsson ist ja mittlerweile ein Mythos der schwedischen Kriminalliteratur. 15 Millionen verkaufte Exemplare weltweit. Das soll ihm erst einmal einer nachmachen! Aber kommen wir als erstes auf den letzten Band 'Vergebung' zu sprechen, den ich hier im Biblionomicon nach den beiden anderen Bänden 'Verblendung' und 'Verdammnis' bewerten möchte. Band drei setzt nahtlos an die Handlung des zweiten Bandes an. Lisbeth Salander, die quasi-autistische Punk-Hackerin mit dem in Band 1 'gerechtfertigtermaßen' ergaunerten Milliardenvermögen, kommt mit einer Kugel im Kopf in die Notaufnahme eines Krankenhauses in Göteborg. Wie durch ein Wunder überlebt sie diese schwerwiegende Verletzung, die ihr von ihrem Vater, den in den 70er Jahren geflohenen, kriminell gewalttätigen, russischen Agenten Zalatschenko, und ihrem Halbbruder, einem überdimensionalen, deutschstämmigen, brutalen Hühnen, beigebracht wurde. Zwar haben sich die schweren Anschuldigungen, die ihr in Band 2 zur Last gelegt wurden - dreifacher Mord usw. - als unhaltbar erwiesen, dennoch wird sie in ihrem Krankenzimmer während ihrer Rekonvaleszenz in Sicherheitsverwahrung genommen. Zalatschenkos Untaten wurden und werden von der 'Sektion', einer speziellen Abteilung des schwedischen Geheimdienstes, die eigentlich gar nicht existiert, gedeckt. Aus diesem Grund wurde Lisbeth bereits als Jugendliche mundtot gemacht, indem man sie nach einem Attentatsversuch auf ihren Vater in eine geschlossene Anstalt zwangseinwies. Doch jetzt scheint alles aus dem Ruder zu laufen.

Die Sektion lässt nichts unversucht, die neue Affäre zu vertuschen und schreckt in diesem Zusammenhang auch nicht vor schweren Straftaten zurück. Mikael Blomquist, bekannter Journalist der Zeitschrift Millenium und ebenfalls Held der letzten beiden Bände, muss seiner Freundin Lisbeth beistehen, um sie vor einer erneuten Verurteilung und Zwangseinweisung zu bewahren. Aber Lisbeth ist isoliert und kann von ihren Hacker-Fähigkeiten, die schon zur Aufklärung der ersten beiden Bände beigetragen haben, keinen Gebrauch machen.

Wie bei Kriminalromanen üblich, darf ich hier auf gar keinen Fall schon zuviel verraten, sondern gegebenenfalls höchstens etwas Appetit auf 'mehr' machen. Letztendlich - man kann es sich denken - geht natürlich alles gut aus. Aber halt! Lassen wir zunächst einmal das geschilderte Personal Revue passieren: Eine kurzgewachsene, autistisch veranlagte Punk-Hackerin, die zu kaum einer (positiven) Gefühlsneigung gegenüber anderen fähig ist (Sherlock Holmes und Mister Spock lassen grüßen), ein gewalttätiger, krimineller russischer Ex-Agent, ein (deutschstämmiger) Monsterbodybuilder (eventuell eine Anspielung auf Frankensteins Schöpfung?), der Leuten mit seinen bloßen Händen das Genick bricht....das klingt doch schon etwas extrem oder? Zudem bekommt der extrovertiert promiskuitiv lebende Mikael Blomquist alle Frauen in Null-komma-nix ins Bett - natürlich auch die blonde, 1,84m große, muskelbepakte Extremsportlerin, die den Fall von Seiten des Verfassungsschutzes unterstützt. Das klingt doch alles fast schon ein bißchen nach 'RTL Bielefeld-Premiere' und ist fern von dem, was ich sonst hier bespreche. Nicht umsonst habe ich für die gut 200 Seiten Jorge Luis Borges, die ich hier zuvor rezensiert habe, länger gebraucht als für die 800 Seiten Larsson.
"Lisbeth Salander markierte ihr privates Revier als feindliches Territorium. Die Nieten an ihrer Lederjacke waren ihm immer wie die Stacheln eines Igels vorgekommen. Es war ein Signal an die Umwelt: Versucht bloß nicht, mich zu streicheln. Ihr würdet euch bloß wehtun."(Seite 699)
Für den 'gemeinen Leser' bedeutet das aber: auch dieser Band ist wieder ein absoluter 'Pageturner'. Fängt man erst einmal an, stellt man fest, dass man unbedingt schnell weiterlesen muss, da der Spannungsbogen diesmal bis zum Schluss gehalten wird. Larssons Figuren werden einem nach dem dritten Band langsam vertraut, auch wenn sich diesmal keine neuen Akzente in deren Charaktereigenschaften offenbaren konnten. Würde ich also noch einen weiteren Band lesen wollen? Nur wenn sich einiges fundamental ändern würde. Stieg Larsson konnte fesselnde und spannende Kriminalromane schreiben, aber bitte nicht wieder mit exakt demselben Personal in der nächstbesten Variation sexuell motivierter Gewaltverbrechen.

Fast hätte ich's vergessen. Natürlich hatte ich mich schon über die Gestaltung der deutschen Titelübersetzungen in meinen Rezensionen zu 'Verblendung' und 'Verdammnis' geäußert. Aber 'Vergebung'....wie bitte soll ich denn jetzt das verstehen? Wer vergibt hier eigentlich wem? Das einzige, das der Vergebung bedarf, ist die seltsame Phantasie der deutschen Titelredakteure, lautet doch der übersetzte Originaltitel ''Das Luftschloss, das gesprengt wurde" (das übrigens einen direkten Bezug auf die bereits genannte 'Sektion' des schwedischen Geheimdienst hatte)...

Fazit: Wer schon die ersten beiden Bände gelesen hat, für den ist der letzte Band natürlich ein 'Muss'. Sollte man sich an die gesamte Trilogie heranwagen? Nur dann, wenn man nicht zu hohen Anspruch und tiefgründige Charakterstudien erwartet. Alles in allem erwartet den Leser atemlose Spannung und leichtgewonnenes Lesevergnügen.

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