Montag, 15. November 2010

Eine kurze Geschichte der verbotenen Bücher - Index Librorum Prohibitorum

Heute begehen wir den 44. Jahrestag der offiziellen Aufhebung des Index Librorum Prohibitorum, des Verzeichnisses der verbotenen Bücher der katholischen Kirche, der gut 500 Jahre lang bestanden hat. Jedem Katholiken wurde unter Androhung der Exkommunikation verboten, eines der im Index verzeichneten Bücher zu lesen, zu besitzen oder zu verbreiten. Das gedruckte Wort darf damit wohl als eine der schärfsten Waffe im Kampf gegen Unterdrückung, Ungerechtigkeit und Dogma angesehen werden.

Kaum dass der Buchdruck und Gutenbergs Druckerpresse ab ca. 1440 für eine erste massenhafte Verbreitung neuer Ideen sorgte, entstand die Furcht, dass unliebsame bzw. "gefährliche" Gedanken allzuweite Verbreitung und Popularität gewinnen könnten. So führte der Mainzer Kurfürst und Erzbischof Berthold von Henneberg (1441–1504) als erster deutscher Fürst mit seinem Edikt vom 22. März 1485 für alle ”aus dem Griechischen, Lateinischen oder einer anderen Sprache“ ins Deutsche übersetzten Bücher die Zensur ein mit dem Ziel, zu verhindern, dass bestimmte Kenntnisse und nur unter Gelehrten diskutierte Meinungen populär werden könnten:
”... gewisse Menschen, verführt durch die Gier nach eitlem Geld und Ruhm“ könnten ”diese Kunst missbrauchen.“
Zudem forderte der Bischof 1485 den Frankfurter Stadtrat auf, alle auf der Frühjahrsmesse ausgestellten, gedruckten Bücher auf ihren Inhalt zu prüfen und in Zusammenarbeit mit den kirchlichen Behörden gegebenenfalls zu verbieten. Zu diesem Zweck gründete das Kurfürstentum Mainz und die Freie Reichstadt Frankfurt 1486 gemeinsam die erste weltliche Zensurbehörde.

Aus der Erkenntnis von Staat und Kirche heraus, dass durch den Buchdruck unliebsame oder gefährlich erscheinende Ideen schnell und weit verbreitet werden könnten, wurde die Zensur bald schon etwas alltägliches. Ebenso wurde eine Übersetzung der Bibel vom Lateinischen in die Volkssprache unterdrückt, da -- so Henneberg -- ”die Ordnung der heiligen Messe“ durch die Übersetzung ins Deutsche ”geschändet“ würde.

Papst Leo X.(1475–1521) bestärkte 1515 dieses Verbot, da er eine wild wuchernde Verbreitung von ”Glaubensirrtümern“ befürchtete. Würde auf einmal jeder die Bibel zu lesen verstehen, werde diese entweiht und die alleinige Vormachtstellung des Klerus zur Auslegung der heiligen Schrift gefährdet.

Sowohl die Präventivzensur, die eine eingehende Prüfung der Schriftstücke bereits vor der Drucklegung durch die Zensurbehörde vorsah, als auch Repressivzensur, die sich auf bereits veröffentlichte Werke konzentrierte und deren weitere Verbreitung per Verbot oder Beschlagnahmung untersagte, wurden sogar durch päpstliche Bullen bereits durch Papst Innozenz VIII. (1432–1492) und Papst Alexander VI. (1430–1503) institutionalisiert. Zu diesem Zweck musste jedes von der katholischen Kirche genehmigte Buch mit einer Imprimatur (=[lat.] es darf gedruckt werden) der kirchlichen Behörden versehen sein. Zuwiderhandlungen wurden mit drakonischen Strafen – Exkommunikation und sehr hohen Bußgeldern, sowie Berufsverbot – bedroht.

1559 erschien erstmals der berühmte Index librorum prohibitorum, die schwarze Liste verbotener Bücher, der tatsächlich noch bis in das Jahr 1966 existierte, bis er von Papst Paul VI. (1897–1978) am heutigen Tage vor 44 Jahren offiziell aufgehoben wurde (mit Wirkum zum 29. April 1967). Zu den gefährlichen Büchern zählten unter anderem Liebesromane von Honore de Balzac und Alexandre Dumas, philosophische Werke Réné Descartes, die berühmte Encyclopédie der Aufklärung von Diderot und d'Alembert, aber auch Werke von Galileo Galilei, Heinrich Heine, Immanuel Kant oder Jean Paul Sartre. Einer der Gründe für seine Abschaffung war unter anderem, dass sich die katholische Kirche Mitte des letzten Jahrhunderts einer derartigen Flut von Neuerscheinungen ausgesetzt sah, dass eine umfassende, gründliche und zeitnahe Beurteilung derselben nicht mehr im Bereich des Machbaren lag -- abgesehen davon, dass die Fortführung des Indexes in Verbindung mit dem zugehörigen Strafkatalog als nicht mehr zeitgemäß erschien.

Zum Weiterlesen:




Nein, der Tod ist nicht nett - Markus Zusak 'Die Bücherdiebin'

"Ich bin nach Kräften bemüht, dieser Angelegenheit eine fröhliche Seite zu verleihen, Aber die meisten Menschen haben einen tiefsitzenden Widerwillen, der es ihnen unmöglich macht, mir zu glauben, so sehr ich auch versuche, sie davon zu überzeugen, Bitte glaubt mir: Ich kann wirklch fröhlich sein. Ich kann angenehm sein. Amüsant. Achtsam. Andächtig. Und das sind nur Eigenschaften mit dem Buchstaben "A". Nur bitte verlangt nicht von mir, nett zu sein. Nett zu sein ist mir völlig fremd."

Was für eine grandiose Idee, den Tod zum Erzähler der Geschichte zu machen, dachte ich mir. Der Anfang der 'Bücherdiebin' des australischen Autors mit deutsch-östereichischen Wurzeln Markus Zusak ist wirklich genial. Der Tod lamentiert, dass ihn die Menschen nicht verstehen. Wen wundert es? Aber das ist gar nicht die Hauptsache in diesem Buch. Vielmehr geht es darum, Jugendlichen und jungen Erwachsenen das stille Grauen einer Zeit vor Augen zu führen, die uns zwar durch die Augen der Medien heute schon so allgegenwärtig geworden ist, dass wir sie geflissentlich ignorieren oder auch schon gar nicht mehr sehen können oder mögen. Markus Zusak führt uns das Grauen des Nationalsozialismus und des Krieges durch die Augen des 10-jährigen kleinen Mädchens Liesel Memminger vor...

Die Geschichte beginnt damit, dass Liesel zu ihren neuen Pflegeeltern Hans und Rosa Hubermann gebracht wird. Auf der Zugfahrt nach Molching bei München stirbt ihr kleiner, kränkelnder Bruder und Liesel stiehlt während der Beerdigung ihr erstes Buch 'Das Handbuch für Totengräber', das einem der Totengräber aus der Tasche gefallen sein muss. Damit beginnt für Liesel ihre Karriere als 'Bücherdiebin'. Ihre neue Pflegemutter Rosa legt eine besonders rauhe Schale an den Tag, aber zu ihrem Pflegevater Hans fasst sie schnell Vertrauen. Er ist es, der sich an ihr Bett setzt und sie tröstet, wenn sie nachts von Albträumen geplagt wird. Er ist es auch, der mit ihr während der nächtlichen Stunden beginnt, gemeinsam ihr erstes Buch zu lesen und Liesel damit das Lesen beibringt. Die Bücher, die Liesel auf ihrem Weg begegnen sind mit ein paar Ausnahmen (Duden und 'Mein Kampf') fiktive.

Und dann ist da noch Rudi Steiner, mit dem sie Fußball spielt und der von den anderen spöttisch nur Jesse Owens genannt wird. Das rührt daher, dass sich Rudi in lauter Begeisterung für den dunkelhäutigen Olympiasieger eines Tages auf dem Sportplatz mit Kohle beschmiert und seine Runden läuft. Der Nationalsozialismus und der Krieg machen sich auch in Molching bemerkbar. Rudi hat so seine Probleme mit persönlichen Feindseligkeiten in der Hitlerjugend und die Hubermanns verstricken sich tiefer in Probleme als ihnen lieb ist. In ihrem Keller haben sie Max, einen Juden untergebracht und schützen ihn vor der Verfolgung. So ist die Angst vor Entdeckung allgegenwärtig, aber auf der anderen Seite wächst eine tiefe Freundschaft zwischen Liesel und Max heran, die ihr ganzes Leben, Denken und Handeln verändern wird.

Als der Krieg schließlich auch Süddeutschland erreicht, kommen die angstvollen Bombennächte im Schutzkeller. Und hier erweist sich Liesel als Heldin, als sie beginnt, aus einem ihrer Bücher vorzulesen und dadurch den Menschen für einen kurzen Moment die Angst nimmt. Auch Max hat ein Buch mit in den Keller der Hubermanns gebracht. Bizarrerweise ist es ausgerechnet Hitlers 'Mein Kampf', der aber zweckentfremdet wird, indem Max die Seiten mit weißer Farbe bemalt, um ein eigenes, neues Buch zu schreiben, das für seine Freundin Liesel gedacht ist und seine eigene Geschichte widerspiegelt. Der Krieg wird immer drückender, auch Liesels Ziehvater muss Soldat werden und das Dorf wird Zeuge, wie Juden auf ihrem Weg nach Dachau brutal durch die Straßen getrieben werden. Und mit dem Krieg kommt auch wieder der Tod.

So stark der Roman auch beginnt, auf seinem Weg durch die Geschichte lässt er immer wieder nach, um dann für einige Momente wieder aufzuflackern, die wirklich bemerkenswert sind. Auf mich wirkte er aber über weite Spannen etwas sehr getragen und an manchen Stellen arg konstruiert und pathetisch. Aber wenn man das Zielpublikum unter den sogenannten 'jungen Erwachsenen' ab 14 Jahren verortet, dann wird er seinen Zweck erfüllen, und dem jungen Publikum eine Zeit nahebringen, fern ab von den heute in dieser Altersgruppe über alle Maßen beliebten Zauberern und Vampiren. Er steht damit auch nicht alleine: John Boynes "Der Junge mit dem gestreiften Pyjama" versucht sich ebenfalls am Thema Holocaust, wirkt dabei aber nicht so steif, und überrascht durch die Perspektive eines kleinen Jungen, aus dessen Blickwinkel das allgegenwärtige Grauen eine ganz neue Seite gewinnt (siehe auch die Biblionomicon-Rezension). Aber auch Markus Zusak wählt mit dem personifizierten Tod als Erzähler der 'Bücherdiebin' eine ungewöhnliche Erzählperspektive, die den Roman überaus lesenswert macht. So erzählt der Tod von dem Grauen der Schlachtfelder und der Gaskammern, und wie er all die zarten Seelen behutsam aus den gequälten und geschundenen Körpern zieht. Es ist aber nicht das Leid der Sterbenden, das ihn umtreibt, sondern derer, die zurückbleiben müssen. Um diesem unerträglichen Leid auszuweichen, lenkt er seinen Blick jedesmal auf die Farben des Himmels, die immer wieder in den unterschiedlichsten Nuancen von der Schönheit des Lebens erzählen.
"Die Frage ist, welche Farbe die Welt angenommen haben wird, wenn ich euch holen komme. Was wird der Himmel uns erzählen? Ich persönlich mag einen schokoladenfarbenen Himmel. Dunkle Bitterschokolade. Die Leute behaupten, das passt zu mir. Ich versuche trotzdem, mich an jeder Farbe zu erfreuen, die ich sehe, an dem ganzen Spektrum. Etwa eine Milliarde Schattierungen, keine wie die andere, und ein Himmel, der sie langsam in sich aufsaugt. Das nimmt dem Stress die Schärfe. Und es hilft mir, mich zu entspannen."

Fazit: Ein ungewöhnliches Buch, nicht nur für Kinder und junge Erwachsene. Zwar stellenweise mit Schwächen, aber überaus lesenswert!

Links:



Montag, 1. November 2010

So fern und doch so nah... - Samuel Pepys Tagebuch


Vor sage und schreibe 350 Jahren führte der Beamte des Londoner Flottenamtes Samuel Pepys über 10 Jahre hinweg ein Tagebuch sorgfältig und in Kurzschrift, d.h. nicht für jedermann zu lesen. Diesem glücklichen Umstand ist es zu verdanken, dass wir heute einen ungeahnten Einblick in das Leben des barocken Londons in den Jahren 1660-1669 gewinnen, aus der sehr persönlich gefärbten Perspektive eines bürgerlichen Aufsteigers und Genießers in der Zeit der Restauration des englischen Königtums unter Karl II. nach dem Tode Oliver Cromwells.


10. März 1666:
„Die meisten Männer, die es in der Welt zu etwas bringen, vergessen das Vergnügen während der Zeit, in der sie ihr Vermögen machen. Sie warten, bis sie es geschafft haben, und dann ist es zu spät, sich daran zu erfreuen.“
Tja, und genau das tut er auch, dieser Samuel Pepys, Beamter im Londoner Flottenamt, der es zum Präsidenten der Royal Society, zum Abgeordneten und Staatssekretär bringen soll. Dabei lässt er uns minutiös teilhaben an kleinen und großen Ereignissen in seinem Leben. 1633 in bescheidenen Verhältnissen geboren, ließ ihm ein wohlhabender Verwandter, Edward Montagu, der spätere Earl of Sandwich, eine gute Ausbildung angedeihen und nahm ihn unter seine Fittiche. Die Wirren der frühen Restaurationszeit nach dem Tode Cromwells überstand er als Sekretär Edward Montagues, der maßgeblich an den politischen Manövern zur Wiedereinführung der englischen Monarchie beteiligt war, unbeschadet und trat 1660 eine Stelle als Schreiber im Londoner Flottenamt an. Hier beginnt auch das besagte Tagebuch, das er annähernd 10 Jahre lang führen sollte.
8. März 1660
"Früh aufgebrochen. In Deal Pferde genommen. Hatte viel Mühe mit der Gitarre des Königs und mit Fairbrother, dem Halunken, dem ich aufgetragen hatte, zu Fuß zu gehen und sie zu tragen. Ich glaubte nämlich, ihn verfehlt zu haben. In Canterbury angekommen und dort gegessen. Den Pfarrer aufgesucht und die Überreste von Becketts Grab besichtigt...Nach Gravesend gekommen. Dort ein hübsches Mädchen geküsst, das erste, das ich seit langem gesehen hatte.
Mit Mylord zu Abend gegessen...Müde und erhitzt bei Mr. Moore zu Bett gegangen."
Seit 1665 gehörte Pepys auch der Royal Society an und lernt dort bedeutende Wissenschaftler seiner Zeit kennen, wie Isaac Newton, Christopher Wren, John Wilkins oder Robert Hooke, auch wenn er - wie er zugibt - deren Vorträge und Ausführungen nicht immer ganz verstand. Insbesondere sind es diese "kleinen" Schwächen, die er seinem Tagebuch anvertraut und die ihn für uns so lebensnah erscheinen lassen -- auch wenn er nicht unbedingt der liebenswerteste Zeitgenosse gewesen sein muss. Seine Freude und Begeisterung für guten Wein, Musik, Theater und natürlich das andere Geschlecht -- alles Dinge, die seiner puritanischen Erziehung zuwiderlaufen -- scheinen grenzenlos. Der Puritaner meldet sich nur in Form kleiner Gelübde zurück, die er alljährlich zum guten Vorsatz nimmt, um seinem Konsum an Alkohol und Vergnügen Herr zu werden.
20. August 1662:
"Mittag bei einem Mr. Barwell. Seine Frau sehr üppig gebaut, ihre Dienerin ein hübsches, braunhaariges Mädchen. Spüre, dass meine alte Neigung zum Wein wieder stärker wird."
Aber auch die großen historischen Ereignisse, wie die Ankunft des Königs Karl II. in England und das Wiedererstarken der Monarchie, der Krieg gegen die Holländer, die Pest und das große Feuer in London erleben wir aus Pepys ganz eigener Perspektive.
3. September 1665:
"Zog meinen neuen farbigen Seidenanzug an und meine neue Perücke. Was wohl für eine Mode in Perücken kommt, wenn die Pest vorüber ist? Jetzt wagt niemand, Haare zu kaufen, aus Angst, es könnte von einer Pestleiche stammen...Niemand nimmt sich die Probleme des Landes zu Herzen, jeder denkt nur an seinen persönlichen Vorteil oder an sein Vergnügen, der König kümmert sich nur um sein persönliches Wohlergehen - so treibt alles dem Untergang zu..."
Aber zu großer Popularität haben es doch die freizügigeren Stellen des Tagebuchs gebracht, auch wenn diese nur einen kleinen Teil des Pepyschen Universums einnehmen. Aber nichts bleibt ungesühnt. Natürlich bekommt Frau Pepys auch irgendwann Wind von den Eskapaden ihres Gattens und das wird nicht ohne Folgen bleiben...Aber bis dahin erfreuen wir uns an so herrlichen Einträgen wie diesen, den ich nicht weiter kommentieren muss:
2. Februar 1666:
"Zu Lord Brouncker, dort mit meiner lieben Mrs. Knipp zusammen gesungen. Stieg abends in ihre Kutsche, nahm sie auf meinen Schoß, spielte mit ihren Brüsten und sang."
Ein Buch wie dieses kommt nicht ohne Anhänge aus. Pepys Zeit ist nur den wenigsten von uns geläufig und so sind die vielen Erklärungen und Hintergrundinformationen unabdingbar sowohl für das Verständnis als auch für den Genuss des Werkes. Meine kleine Reclam-Ausgabe stellt auf ihren gut 400 Seiten auch nur einen Ausschnitt aus den insgesamt 9 Bänden der Pepyschen Hinterlassenschaft mit ihren mehr als 4.000 Seiten dar, die jetzt bei Zweitausendeins komplett erschienen sind (die kommen übrigens auf meinen persönlichen Wunschzettel). Wer sich von Pepys Charme überzeugen möchte, dem sei schon einmal das unten verlinkte Pepys Projekt anempfohlen, in dem das Tagebuch in deutscher Sprache als täglich fortgeschriebenes Blog zu lesen ist.

Fazit: Üppig, barockes Tagebuch eines minutiösen Chronisten seiner Zeit, der nichts hat anbrennen lassen, kein Blatt vor den Mund nimmt und uns öfters einmal einen Spiegel vors Gesicht hält. Großartig! Prächtig! Unbedingt lesen!

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