Sonntag, 26. Juni 2011

Abgerechnet wird zum Schluss - Isabel Allende 'Das Geisterhaus'

Die gelesenen Bücher stapeln sich bereits und ich komme mit den Rezensionen nicht nach. Da heute ein klein wenig Zeit bleibt, habe ich mich entschlossen, einen kurzen Beitrag über eines der etwas langwierigeren Leseunterfangen der vergangenen Monate zu verfassen. Es geht heute um ein wirklich vielschichtes und erzählgewaltiges Werk, über das man am Ende aber ruhig geteilter Meinung sein darf: Isabel Allendes berühmter Roman 'Das Geisterhaus'.

Natürlich hatte ich den Film bereits schon vor Jahren gesehen. Aber außer dass darin Meryl Streep und Jeremy Irons die Hauptrollen spielten und es sich irgendwie um eine Familiengeschichte handelte, hatte ich die eigentliche Handlung bereits vollkommen vergessen. Gut, dachte ich mir, du hast ja schon einmal etwas von Isabel Allende gelesen ('Goldrausch, Emanzipation und kulturelles Durcheinander - Isabel Allende 'Fortunas Tochter', Biblionomicon 2. Januar 2008), warum also nicht auch ihr vielleicht bekanntestes Werk, ihr 1982 erschienener Debütroman 'Das Geisterhaus'. Aber alleine schon die Handlung auf ein vernünftiges Mindestmaß zusammenzufassen und dabei gleichzeitig dem Werk gerecht zu werden, stellt gewichtige Ansprüche, angesichts der Fülle des Stoffes.

Erzählt wird dabei die Geschichte der chilenischen Familie Trueba vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis hinein in die 1970er Jahre. Esteban Trueba, verliebt sich in die außergewöhnlich schöne, aus guter Familie stammende Rosa del Valle. Um das für die Hochzeit nötige Vermögen zu gewinnen, versucht er sein Glück in den Goldminen im Norden Chiles. Doch während seiner Abwesenheit stirbt Rosa an Gift, das eigentlich für ihren Vater aus politischen Gründen vorgesehen war. Clara, Rosas jüngere Schwester, ist ebenso wie ihre Mutter mit einem Hang zum Übersinnlichen gesegnet und hatte den Unglücksfall vorhergesehen. Aus Trauer und um seiner herrschsüchtigen Mutter zu entgehen flieht Esteban Trueba aufs Land, wo er das verkommene Gut "Die drei Marien" wieder zu bewirtschaften beginnt. Tatsächlich gelingt der Plan, auch wenn sich Esteban nicht gerade einen guten Ruf bei der Landbevölkerung erworben hat, da er zu starkem Jähzorn neigt und gerne die Töchter der benachbarten Bauern schwängert.

Clara, die neun Jahre lang nach dem Tod ihrer Schwester geschwiegen hatte, sagt plötzlich ihre eigene Hochzeit voraus und tatsächlich kommt Esteban Trueba und hält um ihre Hand an -- wie er es seiner Mutter am Sterbebett versprochen hatte. Es wird groß geheiratet und während Esteban zurück aufs Land geht, bleibt Clara zurück in der Stadt. Nur in den Sommermonaten hält sie sich auf den drei Marien auf und bekommt im Laufe der Jahre drei Kinder: ihre Tochter Blanca und die beiden Zwillinge Jaime und Nicholas.

Die Tochter Blanca lernt schon früh Pedro, den Sohn des Verwalters der drei Marien kennen und lieben, aber ihr Vater billigt diese Beziehung aufgrund des Standesunterschieds nicht. Nichtsdestotrotz schwängert Pedro Blanca und der vor Wut rasende Esteban schlägt bei einem Streit seiner Frau die Zähne aus, worauf sich die beiden voneinander trennen. Pedro, der sich den Kommunisten angeschlossen hat, verliert im Kampf mit Esteban einige Finger und Blanca wird gegen ihren Willen mit einem zwielichtigen französischen Grafen verheiratet....

Und das ist erst der Anfang, denn die Geschichte zieht sich noch über zahllose Seiten mit Nebenhandlungen, Anekdoten, Geschichten und Untergeschichten. Wenn man einige südamerikanische Autoren kennt, weiß man, dass diese gerne Geschichten erzählen und dabei nicht gerade die "schnellsten" sind, denn sie kommen gerne vom hundertsten ins tausendste und verlieren sich in Nebensächlichkeiten. So auch Isabel Allende. Etwas mehr Tempo und vielleicht etwas weniger Geschichten in der Geschichte wären schon eher nach meinem Geschmack gewesen und hätten dem erzählgewaltigen Werk nicht geschadet. So fragt man sich immer wieder, warum es denn nicht voran geht und warum jetzt schon wieder eine solch seltsame Randgeschichte erzählt wird.

Zwar ist das Buch in meinen Augen fulminant gestartet, wurde dann aber ab der Hälfte etwas zäh und ich hatte wirklich irgendwann keine rechte Lust mehr daran. Kurz gesagt, ich war froh, als ich es dann endlich hinter mir hatte und hätte mir gerne den Schwung der anfänglichen Geschichte zurückgewünscht, die mich in ihren Bann geschlagen hatte. Dennoch handelt es sich um eines der Bücher, die man auf alle Fälle gelesen haben sollte, und die einem die südamerikanische Erzähl- und Erlebenswelt ein wenig näher bringen können. Man bemerkt allerdings auch, dass Isabel Allende anfangs mit ihrer Geschichte, die wie viele andere ihrer Geschichten von autobiografischem Material zehrt, noch nicht ganz so professionell und 'Bestsellerlike' umzugehen versteht, wie in späteren Werken. Dies ist einerseits ein großes Lob, geht andererseits aber auch auf Kosten der Lesbarkeit und des Lesespaßes.

Fazit: Großes südamerikanisches Epos mit unzähligen Geschichten in der Geschichte, das einerseits Klassikerstatus verdient hat, aber wahrscheinlich nicht jedermanns Geschmack trifft. Lesen ja, aber nicht unbedingt....

Links:


Isabel Allende
Das Geisterhaus
Suhrkamp Verlag (1989)
501 Seiten
10,00 €