Samstag, 26. November 2011

Genial verknüpft - Sibylle Knaus 'Eden'

Diesmal habe ich längere Zeit darüber grübeln müssen, welchen Titel ich am besten über diesen Beitrag stellen soll. Werde ich präziser, wird der Titel viel zu lang und ich kann es mir eigentlich sparen dann noch etwas zum Inhalt des Buches zu erzählen. Also habe ich es diesmal einfach bei einer Kernaussage belassen, die zwar zutrifft, aber relativ wenig über den eigentlichen Inhalt aussagt. Tatsächlich vereint das Buch zwei verschiedene Bücher bzw. zwei ozeitlich sehr, sehr lange auseinanderliegende Handlungsstränge, die Sibylle Knaus, Professorin für Text und Dramaturgie an der Filmakademie Baden-Württemberg, hier phantasievoll und unterhaltsam miteinander verknüpft.

Wir schreiben das Jahr 1935. Auf einer Dinner-Party in Cambridge lernt die junge Studentin Mary den zu dieser Zeit bereits berühmten Archäologen Louis Leaky kennen und verliebt sich trotz zahlreicher Warnungen in den notorischen Frauenhelden. Allerdings ist Leakey bereits verheiratet und hat Familie. Dennoch folgt sie ihm nach Ostafrika in seine Heimat und es beginnt eine die beiden lebenslang verbindende Arbeits- und schließlich auch Lebensgemeinschaft. Dort in der afrikanischen Wildnis inmitten von nachts umherstreunenden Löwen, Hyänen und Schakalen schlagen sie ihr Zelt auf und begeben sich auf die mühevolle und akribische Suche nach den Spuren der Anfänge der Menschheitsgeschichte. Parallel zum Leben, Lieben und Arbeiten der beiden Leakeys -- Louis lässt sich schließlich scheiden und heiratet Mary -- erzählt Sibylle Knauss die Geschichte unserer Vorfahren in einer ursprünglichen und wilden Urwelt mit dem täglichen Kampf ums Überleben.

Zugegeben, die Geschichte der Leakeys mit der eigenwilligen und eigenbrödlerischen Mary und ihrem um einiges älteren Mann Louis, der die Finger nicht von den jungen Studentinnen lassen kann, die ihn auf Schritt und Tritt anhimmeln, ist schon interessant genug, hätte das Buch aber alleine nicht getragen, auch wenn immer wieder von den bahnbrechenden Entdeckungen des Forscherehepaares berichtet wird. Spannend wird es dann, wenn Sibylle Knauss aus einer Zeit berichtet, aus der uns außer einigen Knochenresten und Steinen nichts mehr geblieben ist, und sie ihre grenzenlose Phantasie bemüht, uns ein Bild von dieser nicht gerade paradiesischen Welt aus dem eigenen Blickwinkel ihrer Bewohner schildert, die zu Beginn noch nicht einmal über eine Sprache verfügen. Wie haben diese primitiven Hominiden gedacht, wie haben sie gefühlt, und wie haben sie eine Welt erlebt, in der die Suche nach Nahrung und der Kampf ums Dasein jeden Tag von Neuem gekämpft werden musste. So erleben wir den faszinierenden Vorgang der Menschwerdung Schritt für Schritt mit, parallel zu den stetig eskalierenden Ehedramen der Leakeys. An manchen Stellen hat Frau Knauss etwas zu dick für meinen Geschmack aufgetragen und der immer wieder durchschimmernde Pathos der Schöpfungsgeschichte scheint mir zu verklärt, aber alles in allem ist ihr mit diesem Buch ein ungewöhnliches, interessantes und zugleich unterhaltsames Werk gelungen.

Fazit: Urgeschichte und Ehedrama zugleich bilden eine überaus interessante und vorallem ungewohnte Form der Lektüre. Lesen!



Sibylle Knaus
Eden

Hoffmann und Campe (2009)
384 Seiten
22,- Euro

Montag, 21. November 2011

Der Schatten der Vergangenheit - Daphne du Maurier 'Rebecca'

Kennt ihr das auch: Sommerferien und Dauerregenwetter. Man sitzt als Kind zu Hause und hat keine Lust nach draußen zu gehen. Das 1000-Teile Puzzle im Keller ist bereits fertig gelegt, zu Monopoly, Malefitz, Kartenspielen oder Lego fehlt einem die Lust. Da wäre noch das Fernsehen. Vergesst bitte nicht, wir befinden uns in den 1970er Jahren und es gibt gerade einmal drei Fernsehsender - naja vier, wenn man DDR1 mitzählen möchte. Großartige Sache, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen extra ein "Ferienprogramm" am Vormittag sendete, um die Frau des Hauses (Papa ist auf Arbeit und ja, die Mutter folgt dem Rollenklischee und kümmert sich um Haushalt und Kindererziehung) zumindest von der Zwangsbespaßung des Nachwuchses zu befreien und zu entlasten. Genau in dieser Zeit liefen die Filme, die meine Kindheit prägen sollten. Üblicherweise waren sie Schwarzweiß, oder war das nur unser Fernseher damals? Da gab es Filme wie den 'König der Freibeuter', 'Des Königs Admiral', 'Hatari', 'Tollkühne Männer in ihren fliegenden Kisten' aber auch einmal mehr oder weniger anspruchsvolle Krimis und Thriller des Film Noir. Auf alle Fälle im Gedächtnis geblieben ist mir 'Rebecca', dieser spannende Thriller von Hitchcock, der so schön harmlos anfängt und dann zumindest für mich als Kind reichlich gruselig endete.

In 'Rebecca' erzählt Daphne du Maurier die Geschichte einer schüchternen jungen Frau, die als Gesellschafterin Mrs. Van Hopper, eine reiche ältere Dame, auf ihren Reisen begleitet. In Monaco lernt die die junge Frau abends im Hotel den wohlhabenden Witwer Maxim de Winter kennen. Der um einiges ältere Maxim findet Gefallen an seiner jungen Bekanntschaft und nach kurzer Zeit hält er vollkommend überraschend und nicht sonderlich romantisch um ihre Hand an. Nach den kurzen Flitterwochen nimmt er sie mit nach Manderley, dem herrschaftlichen Stammsitz der Familie de Winter. Doch ist die junge Frau der neuen Aufgabe als Schlossherrin über eine vielköpfige Dienerschaft nicht wirklich gewachsen. Dazu kommt, dass alles immerfort nur von Maxims erster Ehefrau, der verstorbenen Rebecca schwärmt. Allen voran die Haushälterin Mrs. Denvers, die der Dienerschaft vorsteht und Rebecca de Winter geradezu abgöttisch verehrt und glorifiziert. Sie kann es nicht ertragen, dass es eine neue Herrin auf Manderley geben soll und setzt alles daran, Maxims neue Frau zu demütigen und zu vertreiben. Doch es gibt ein dunkles Geheimnis, dass die schöne Rebecca umgibt, die damals bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen ist. Als dann bei einem Sturm ein Schiff auf eine nahegelegene Sandbank läuft, wird eine ungeheuerliche Entdeckung gemacht und die Vergangenheit kommt Schritt für Schritt unweigerlich ans Licht...

Mit etwas Abstand betrachtet kann ich jetzt milder über den Roman urteilen, der mir zunächst an vielen Stellen klischeebehaftet und kitschig erschien. Man muss zugeben, die anfängliche Romanze in Monte Carlo, der gut erhaltene und unglückliche Witwer mit dem düsteren Gemüt, das unerfahrene, schüchterne und mitunter selten dämliche Mädchen. Naja, aber der Roman entwickelt sich und mit ihm seine Protagonistin, die die Geschichte aus der Perspektive des Ich-Erzählers im Rückblick aufrollt. Am Ende drehen sich die Rollenverhältnisse beinahe um und zwischendurch wird es bei der Auflösung des Rätsels auch richtig spannend. Hitchcock hatte den Film 1942 kongenial mit Laurence Olivier und Joan Fontaine in Szene gesetzt und auch wenn ich ihn vor fast 30 Jahren zum letzten Mal im Fernsehen gesehen habe, erinnere ich mich noch, wie er mich in seinen Bann gezogen hat. Der Roman dagegen ist etwas langsamer erzählt und manchmal möchte man der Protagonistin einen kräftigen Schupps in die richtige Richtung geben.
"Ich dachte, wie viele Menschen in der Welt wohl litten und nicht aufhörten zu leiden, weil sie dem Netz ihrer eigenen Scheu und Zurückhaltung nicht entrinnen konnten und statt dessen in ihrer törichten Blindheit eine hohe Mauer um sich herum errichteten, die ihnen die Wahrheit verbarg. Ich hatte das auch getan. Ich hatte Zerrbilder in meiner Phantasie geschaffen, von denen ich meine Augen nicht hatte abwenden können. Ich war nie mutig gewesen, um die Wahrheit zu fordern..."(Seite 321)
Fazit: eine Gratwanderung zwischen sentimentalem Kitsch und spannenden Film Noir, aber auf alle Fälle ein lesenswerter Klassiker des Genres. Lesen!


Daphne du Maurier
Rebecca
3. Auflage
Fischer Taschenbuch Verlag,
Frankfurt a. Main, 2011
480 Seiten

8,00 Euro

Sonntag, 6. November 2011

...und die Moral von der Geschicht' - William Beckford 'Vathek'

Dass diese Geschichte nicht wirklich gut ausgehen kann, das weiss der geneigte Leser schon nach einigen wenigen Seiten bzw. insofern er sich die Mühe macht und das geistreiche Vorwort des genialen und phantastischen Erzählers Jorge Luis Borges gelesen hat, das der in der Bibliothek von Babel erschienenen Ausgabe des 'Vathek' vorangestellt ist. So bleibt dem Leser nurmehr übrig zu lesen und zu staunen, was sich William Beckford als nächste Steigerung der für den nimmersatten Kalifen einfallen ließ...

Der 1760 geborene englische Autor William Beckford, der sich neben seinem literarischen Schaffen auch als Politiker, Kritiker und Kunstsammler einen Namen machte, galt als ausgesprochener Exzentriker. Als Erbe eines Millionenvermögens konnte er sich Zeit seines Lebens ausschließlich seinen persönlichen Vorlieben, der Kunst und der Architektur, sowie dem Schreiben widmen.
"Ich fürchte, ich werde nie halb so weise noch tauglich sein, zu irgend etwas als dem Komponieren von Melodien, Erbauen von Türmen, Anlegen von Gärten, Sammeln alten japanischen Porzellans und dem Verfassen einer Reise nach China oder zum Mond."
So schrieb er 1781 an seine Cousine Lady Hamilton. Seiner Vorliebe für phantastische Illusionen und Kunst-Installationen folgend, inspiriert durch ausgedehnte Reisen in fremde und exotische Kulturen, entsprang auch die Idee zu dem seinen Ruhm begründenden Roman 'Vathek', den er in einem einzigen Zug in nur drei Tagen und zwei Nächten niederschrieb.

Vathek ist der 9. Kalif des Abassidenreiches. Er lebt in größtem Luxus und ist ein Freund aller nur erdenklicher Sinnesfreuden. Gleichzeitig gilt er aber auch bei seinen Untertanen als ausgesprochen gerechter und guter Herrscher. In seiner Selbstüberschätzung lässt Vathek einen Turm von babylonischer Höhe errichten, um den Gestirnen so nahe wie möglich zu sein, damit er die Geschicke des Planeten zu enträtseln vermag und auf alle übrigen Länder des Globus herabblicken kann. Eines Tages erhält Vathek von einem fremden Händler einen edlen Krummsäbel mit einer nicht zu entziffernden Inschrift. Ein weiterer Fremder, der sich ebenfalls wie der Händler buchstäblich wieder in Luft auflöst, ist in der Lage, den sich jeden Tag ändernden Text zu lesen. War der Text am ersten Tage noch ganz nach dem Geschmack des Kalifen und versprach große Reichtümer und Macht, so birgt er kurz darauf eine Warnung:
"Weh dem Sterblichen, der zu wissen trachtet, was ihm die Vorsehung verschweigt, weh dem, der wagt, was seine Macht übersteigt."
Doch Vathek lässt sich ein auf die Magie und folgt der Stimme aus der Finsterniss, die von ihm verlangt,  dem rechten Glauben abzuschwören und die Mächte des Dunkelns anzubeten. Denn dann, so die unheimliche Prophezeiung,
"..wird sich ihm das Alcazar des unterirdischen Feuers erschließen. Unter seinen Kuppeln wird er die Schätze schauen können, die ihm die Gestirne verheißen haben, die Talismane, welche die Welt unterwerfen, die Kronreifen der präadamitischen Sultane und des Suleiman Bendaud."
Zudem soll er 50 unschuldige Knaben opfern und seinen gesamten Hofstaat der Residenz des Bösen überlassen. In seiner unersättlichen Gier willigt Vathek schließlich ein und bricht auf zu einer Reise, die ihn ins Verderben führen wird...

Beckfords Werk gilt als Wegbereiter der phantastischen Literatur. Er beeinflusste unter anderem literarische Größen wie Lord Byron, Edgar Allan Poe, Charles Baudelaire und H.P. Lovecraft. Trotz der Kürze lässt sich das Werk aber nicht ganz so einfach lesen. Zwar mutet es wie eine der zahlreichen Geschichten aus Tausend und Einer Nacht an, aber sicher nicht jeder wird auch einen Zugang zur artifiziell anmutenden exotischen Geisteswelt William Beckfords finden. Irgendwie kann man sich auch nicht des Eindrucks erwehren, dass Beckford in die Fußstapfen seines Protagonisten Vateks trat, als er sich seinen Landsitz 'Fonthill Abbey' mit einem gigantischen, mehr als 130 Meter hohen Turm errichten ließ und sich mit seiner Bibliothek, seinen Dienern, Musikern, Zwergen und Pferden als dekadenter Einsiedler aufs Land zurückzog. Allerdings stürzte der Turm von Fonthill Abbey aufgrund bautechnischer Mängel mehrmals ein und gilt heute noch als Abbild baulichen Größenwahns aufgrund technischer Unkenntniss.

Fazit: Ein schillerndes und phantastisches Märchen, das aufgrund seiner Exzentrik und seiner Bedeutung für die nachfolgende Generation der phantastischen Literatur besticht. 


William Beckford
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. Main, 1999
339 Seiten
4,99 Euro