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Sonntag, 2. August 2009

Eine unauffällige Perle - Die Eleganz des Igels

Ein Buch, das sich einem nicht sofort erschließt und das von Vielen sicherlich nach einigen wenigen Kapiteln entnervt oder auch enttäuscht zur Seite gelegt werden wird, aber das den Leser, der es bis über die erste Hälfte hinweg durchgehalten hat, mit einer warmherzigen und außergewöhnlich schönen Geschichte belohnt, die ihn ganz in ihren Bann ziehen wird...

Was können eine 54 Jahre alte Concierge Namens Renée ( "Ich bin Witwe, klein, häßlich, mollig, ich habe Hühneraugen und in gewissen Morgenstunden einen Mundgeruch wie ein Mammut.") und die 12-jährige Paloma, hyperintelligente Tochter wohlhabender Eltern ("Meine Eltern sind reich, meine Familie ist reich, und meine Schwester und ich sind folglich potentiell reich. Doch ich weiß schon lange, daß die Endstation das Goldfischglas ist, die Leere und der Unsinn des Erwachsenenlebens.") gemeinsam haben. Nichts als dass sie im selben Haus wohnen, so scheint es auf den ersten Blick. Aber - wie uns der mehrfach preisgekrönte Roman von Muriel Barbery zeigt, sind alle Dinge es wert, dass man ihnen einen zweiten Blick zugesteht, um unvoreingenommen zu urteilen.

Renée, nach außen die stachelig, bärbeißige und einfache Concierge, spielt seit Jahren ein privates Versteckspiel mit der Gesellschaft, indem sie nach außen hin eben die einfältige Concierge aus der Unterschicht gibt, während sie nur heimlich und in der Verborgenheit der Portiersloge ihrer Vorliebe für japanische Filmemacher, russischer Literatur des 19. Jahrhunderts, klassischer Musik und der Philosophie hingibt. Paloma lebt im selben Haus wie Renée und hat ebenfalls beschlossen, ihre Intelligenz und grenzenlose Neugier vor ihrer Umwelt geheim zu halten und spielt insbesondere ihrer eigenen Familie die renitente 12-jährige vor.

Als Monsieur Ozu, ein neuer Bewohner, in die Rue de Grenelle 7 einzieht, verändert sich alles. Anders als die übrigen Bewohner des Hauses geht er mit offenen Augen durch die Welt, dem die Besonderheit von Renée und Paloma nicht lange verborgen bleibt...

Muriel Barbery gelingt mit ihrem Roman "Die Eleganz des Igels" wirklich ein ziemlich großer Wurf. Das Buch hat mich nachhaltig beeindruckt, auch wenn die anfänglichen Versuche, beider Protagonistinnen mit übertriebener Intellektualisierung zu beeindrucken manches Mal ein wenig daneben geraten sind. Da kann man von Glück sagen, dass dem gewöhnlichen Leser (d.h. wahrscheinlich den meisten Lesern dieses Buches) Edmund Husserls Phänomenologie (die sagt mir auch recht wenig) oder William von Ockhams Position im mittelalterlichen Universalienstreit ("Jedes Universale ist ein Einzelding und daher nur von bezeichnungswegen ein Universale") nicht wirklich geläufig sind. Dabei, ich möchte Muriel Barbery nicht Unrecht tun. Ihre kurze Passage über Ockham gibt wirklich ein hervoragendes Beispiel für meine Studenten ab, wenn ich im kommenden Semester wieder die Einführung in das "Semantic Web" mit einer Vorlesung zur Geschichte des Ontologiebegriffes anreichere und dabei Barberys kurze Textpassage zur Existenz des "Tisches ansich" einfließen lasse. Dabei geht es um den alten Streit, ob den "Universalien" (= Platons "Ideen" bzw. bei Informatikern eben "Klassen") eine Existenz in der Realität (eine "Instanz") zugesprochen werden kann oder nicht, eine interessante Fragestellung, inwieweit wir unser Denken überhaupt verstehen können....

Daneben beschäftigt sich das Buch mit der ebenso philosophischen Fragestellung, was -- in welcher Situation und in welcher Beziehung auch immer -- "angemessen ist" und ob dies lediglich durch gesellschaftliche Normen festgelegt wird. Genauso geht es mit der Schöhneit und der Kunst, ganz im Stile von Marcel Proust. Allesamt interessante Fragestellungen, die in Tagebuchmanier dargelegt und diskutiert werden, während sich darum eine entzückende Geschichte entwickelt.

"Madame Michel (Renée) besitzt die Eleganz des Igels:Außen ist sie mit Stacheln gepanzert, eine echte Festung, aber ich ahne vage, dass sie innen auf genauso einfache Art raffiniert ist wie die Igel, diese kleinen Tiere, die nur scheinbar träge, entschieden ungesellig und schrecklich elegant sind."


Fazit: Die Eleganz des Igels ist nichts für oberflächliche Gelegenheitsleser ("Not for the faint of heart"). Im Gegenteil. Dem etwas tiefergründigen Leser aber erschließt sich eine Welt, die einem den Blick für das Schöne im Leben öffnen kann.

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