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Samstag, 23. Januar 2010

Spiele der Macht im Alten Rom - Robert Harris 'Titan'


"Wir häufen für uns selbst Reichtümer an, während der Staat bankrott ist." Manche Dinge, so scheint es, die ändern sich nie. Auch wenn dieser Ausspruch Catos des Jüngeren aus dem Jahr 63 v. Chr. stammt, hat er auch heute noch nichts an seiner Aktualität verloren. So führt uns Robert Harris in seinem aktuellen Roman 'Titan' erneut ins alte Rom zurück und lässt uns die Zeit miterleben, in der Cicero als Konsul des Römischen Reiches auf dem Höhepunkt seiner Karriere die Verschwörung des Catilinas aufdeckt und vereitelt, bis er nur fünf Jahre später ins Exil gehen muss.

Ich hatte mich schon einige Zeit sehr darauf gefreut, den zweiten Band von Robert Harris Trilogie über das Leben des bekanntesten römischen Redners, Schriftstellers und Politikers Marcus Tullius Cicero, zu lesen. Den ersten Band 'Imperium', in dem Ciceros politischer Aufstieg bis hin zu den gewonnenen Konsulatswahlen im Jahr 64. v. Chr. geschildert wurde, hatte ich bereits 2007 gelesen und hier im biblionomicon besprochen. Um so spannender versprach die Fortsetzung zu werden, sollte es sich dabei doch um die vielen von uns aus dem Lateinunterricht bekannte 'Verschwörung des Catilinas' handeln, die die römische Republik an den Rande des Abgrunds führen sollte und die durch Ciceros Hilfe aufgedeckt und vereitelt werden konnte. Wir werden Zeuge von fünf besonders kritischen Jahren der römischen Geschichte zur Zeit des Niedergangs der Republik.
"Eine Zeitspanne, die wir sterblichen LUSTRUM nennen, die für die Götter aber nicht mehr als ein Blinzeln ist." (Seite 21)

Das Buch startet zur Jahreswende, dem Auftakt von Ciceros Konsulat, das er sich notgedrungen mit Gaius Antonius Hybrida teilen muss, einer wenig schillernden Marionettenfigur seiner politischen Gegner. Ein toter Sklavenjunge wird am Hafen aus dem Wasser gefischt, auf furchtbare Weise ausgeweidet. Wie sich herausstellen soll, stecken politische Verschwörer hinter diesem "Menschenopfer", mit dem sie ihre finsteren Pläne besiegeln wollten. Kopf der Verschwörergruppe ist Lucius Sergius Catilina, der bei der Wahl zum Konsulat von Cicero geschlagen wurde. Die Verschwörer bauen auf die politischen Spannungen zwischen Plebejern und Patriziern, dem gemeinen Volk und den Aristokraten. Auf abenteuerliche Weise gelingt es Cicero, hinter die Pläne der Verschwörer zu kommen und er wird seine erste berühmte 'Rede gegen Catilina' halten, die mit den vielzitierten Worten beginnt:
"Quo usque tandem, Catilina, abutere patientia nostra? - Wie lange noch, Catilina, willst Du unsere Geduld missbrauchen? " (Seite 221)
In all diesen politischen Verwicklungen taucht auch stets Gaius Julius Cäsar auf, dem es durch geschicktes Taktieren immer wieder gelingt aus allen Situationen für sich und seine politischen Ziele Kapital zu schlagen. Ciceros Waffe, die er geschickt wie kein Zweiter zu führen versteht, ist das Wort, während seine Gegner meist schlachterfahrene Strategen und Feldherren sind.
"In diesen Minuten glich Cicero einem ausgefuchsten Teppichhändler auf einem überfüllten Bazar, der verstohlen seinem Kunden erst über die Schulter blickt und dann nach hinten über die eigene Schulter schaut, dabei die ganze Zeit leise redet, beschwörend die Hände hebt und auf den Abschluss des Handels drängt." (Seite 196)"

"Ciceros größter Schwachpunkt als Staatsmann war seine Unkenntnis in militärischen Dingen." (Seite 117)

Denoch gelingt es ihm, ein Todesurteil für Catilina und seine Verschwörer durchzusetzen - doch dies soll ihm später noch zum Verhängnis werden. Zunächst ist er der Held der Stunde und wird sogar mit dem Titel 'Pater Patriae', dem Vater des Vaterlands geehrt. Sein Stern beginnt aber bereits kurz nach seinem Konsulatsjahr zu bröckeln. Pompeius Magnus, der große Feldherr, der in den vergangenen Jahren das römische Imperium im Osten bis weit über seine Grenzen hinaus 'befriedet' hat, kehrt zurück und bedrängt als neuer Machtfaktor die römische Hauptstadt. Marcus Licinius Crassus, vormals der wohl reichste Mann Roms, sichert sich nach allen Seiten hin ab und macht keinen Unterschied darin, mit wem er gerade paktiert, Hauptsache es gereicht ihm persönlich zum Vorteil. Übertroffen wird er darin nur noch von Cäsar. Nichts kann diesen davon abhalten, seine politischen Ziele mit allen Mitteln zu durchzusetzen. Am Ende muss Cicero um sein Leben bangen und wird ins Exil getrieben.
"Und weißt Du, warum Du so verdorben bist, Cäsar - schlimmer als Pompeius und Clodius, sogar schlimmer als Catilina? Du wirst solange keine Ruhe geben, bis wir alle vor dir auf die Knie gehen müssen." (Seite 520)
Der Roman selbst entpuppt sich bereits wie sein Vorgänger als wahrer "Pageturner". Flüssig geschrieben möchte man das Buch eigentlich gar nicht mehr aus der Hand geben. Erzählt werden die 5 Jahre der Handlung durch Ciceros Privatsekretär, dem Sklaven Tiro. Geschickt, denn so erleben wir diese Epoche aus der Sicht eines genauen Beobachters, der aber nicht in der Lage ist, die Beweggründe der handelnden Personen immer sofort zu durchschauen. Dieser Kunstkniff schafft den nötigen Abstand zu den vor über 2000 Jahren verstorbenen Personen der Handlung und macht das Miterleben für den Leser um so spannender. Immer wieder drängen sich dem Leser aber auch Parallelen zu den aktuellen politischen Themen auf, und man begreift, dass die moderne Welt gar nicht so modern ist, wie sie immer scheint. Politisches Intrigenspiel auf höchstem Niveau, das gab es bereits in der Antike und dagegen sind unsere Berliner Repräsentanten wahre Waisenknaben. Nur die Heuchelei, die steht heute weitaus höher im Kurs als noch vor 2000 Jahren. Damals nämlich war es durchaus legitim und in keiner Weise verwerflich, in aller Öffentlichkeit ganz unverfroren nach der politischen Macht zu gieren.

Aber bei aller Begeisterung gibt es auch einige Kritikpunkte. Erst einmal eine Frage an den Übersetzer bzw. wohl eher doch an den Heyne Verlag, der das Buch hier in Deutschland herausgebracht hat. Warum bitte in aller Herrgottsnamen habt ihr das Buch mit dem Titel 'Titan" verunstaltet?? Der Originaltitel lautet "Lustrum". Auch wenn es heute nicht mehr viele Bildungsbürger geben mag, die tatsächlich wissen, dass dieser Begriff für eine 5 Jahre andauernde Zeitspanne steht, der Autor selbst beendet ja das erste Kapitel seines Buches mit dem o.a. erläuternden Satz (Seite 21), in dem der Titel erklärt und auf ihn hingewiesen wird. Warum also ein anderer Titel? Warum in aller Welt Titan? Diese Frage hätte mir fast das Lesen verdorben. Der Begriff "Titan" taucht in den 540 Seiten des Buches nicht auf (wenn, dann habe ich ihn überlesen). Wahrscheinlich ist damit wohl Cäsar gemeint. Cicero kann es ja kaum sein, da er nach seinem Konsulatsjahr auf feinsäuberliche Art demontiert wird. Warum also, lieber Heyne Verlag? Da mag man es ja noch interessanter finden, dass der Roman auf der Webseite dieses Verlages sogar mit einem falschen Originaltitel (Conspiracy) geführt wird. Mein Rat: Suchen Sie sich für diese Art Bücher Lektoren, die wenigstens eine humanistische Schulbildung genossen haben und trauen Sie Ihren Lesern selbst ein klein wenig Bildungsarbeit zu.

Und wenn ich noch eine weitere Verlags-Schelte austeilen darf: Der auf dem Umschlag des Buches abgebildete Titusbogen ist zwar der älteste erhaltene römische Triumphbogen, doch er wurde 107 Jahre nach Ciceros Konsulat errichtet. Das wäre in etwa so, als würden auf dem Umschlag eines biografischen Romans über den US-amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln (Amtszeit 1861-1865) die Twin Towers des World Trade Centers (fertiggestelt 1973) abgebildet werden....Die englischen Kollegen von Hutchinson, bei dem der Roman im Original erschienen ist, die haben das wirklich besser hinbekommen (und das, obwohl Hutchinson ebenso wie Heyne eine Randomhouse-Tochter ist).

Robert Harris selbst ist ja gelernter Historiker. Dies zeigt sich auch vor allem darin, wie gut es ihm gelingt die wirklich komplexen politischen Handlungszusammenhänge in plastischer und stets spannender Manier zu entflechten und Schritt für Schritt aufzudecken. Natürlich wurde über die Catilinarische Verschwörung schon in der Antike geschrieben und es existiert dazu eine Menge historischer Literatur. Aber bei aller Genauigkeit ist mir doch folgendes aufgefallen. Das Buch startet zum Jahreswechsel des Jahres 63. v. Chr. In Rom fällt - im Roman - Schnee und es herrscht tiefster Winter. Da ich mich beruflich schon mehrmals mit unterschiedlichen Kalendern habe herumschlagen müssen, wurde ich hellhörig. Zwar stimmt es, dass auch das römische Jahr ab dem Jahr 153 v. Chr. mit dem 1. Januar begann, doch nicht umsonst reformierte Cäsar 45 v. Chr. das römische Kalendersystem und führte den nach ihm benannten julianischen Kalender ein, der in manchen Teilen der Welt sogar noch bis ins 20. Jahrhundert hinein seine Gültigkeit behalten sollte. Dies war notwendig, weil der römische Kalender das Jahr nach dem Gang des Mondes berechnete und sich daher gegenüber dem Sonnenjahr immer weiter verschob. Cäsar musste 80 (!) Schalttage einfügen, um den Kalender wieder mit der Sonne und den Jahreszeiten zu synchronisieren. Damit startete Ciceros konsularisches Jahr bereits Mitte Oktober, eine Zeit, in der es in Rom wohl eher noch herbstlich warm war. Natürlich könnte es sich bei dem Jahr 63. v. Chr. um ein besonders kaltes Jahr gehandelt haben. Dem widerspricht aber Harris Beschreibung, als der Senat Anfang April in die Frühlingspause geht, und Ciceros Familie bereits warme und sonnige Tage an der See verbringt - was dann ja wohl eher Mitte Januar bedeutet.

Aber Harris charakterliche Schilderungen der Hauptpersonen sind qualitativ über jeden Zweifel erhaben. Insbesondere die innere Widersprüchlichkeit Ciceros, dem einerseits immer an Ehre und Gewissen sowie am Wohle des Landes gelegen ist, der andererseits aber auch nicht vor politischen Winkelzügen bis hin zum Betrug zurückschreckt. Besonders geheimnisvoll taucht dann immer wieder Cäsar auf. Ein hochintelligentes Monstrum, ein strategisches Genie, ein schillernder Frauenverführer, der immer wieder auf die Füße fällt und selbst noch aus Niederlagen Gewinn zu ziehen versteht. Ein ganz anderes, aber nichts desto trotz faszinierendes Charakterbild Julius Cäsars zeichnet Thornton Wilder in seinem ganz besonders zu empfehlenden Briefroman "Die Iden des März", in denen Cäsars letztes Lebensjahr in literarisch großartiger Weise geschildert wird.

Fazit: Ein auf jeder Seite spannendes Intrigenspiel um die Macht im alten Rom zur Zeit des Niedergangs der römischen Republik, das gewollt oder nicht, zahlreiche Parallelen in unsere heutige Zeit ziehen lässt und dadurch noch an Brisanz und Aktualität gewinnt. Meine o.a. Kritikpunkte sind - außer der Verlags-Schelte - wohl eher etwas für die "ewigen Besserwisser" unter uns und schmälern den Lesegenuss in keiner Weise. LESEN!

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