'Ein glückliches Ereignis', so nannte Johann Wolfgang von Goethe seine Freundschaft mit Friedrich Schiller zurückblickend auf die wenigen Jahre, die den gemeinsamen Lebensweg dieser beiden Giganten der deutschen Literatur- und Geistesgeschichte beschreiben. Für gut 10 Jahre standen Weimar und Jena im Mittelpunkt ihres gemeinsamen geistigen Schaffens und Wirkens und mit seinem neuen Buch 'Goethe & Schiller, Geschichte einer Freundschaft' gelingt es Rüdiger Safranski, diese Ausnahmefreundschaft lebendig, unterhaltsam und auch mit einem kleinen Augenzwinkern vor unserem geistigen Auge erblühen zu lassen.
Es gibt wohl kaum zwei Persönlichkeiten der deutschen Geistesgeschichte, die uns auch heute noch tagtäglich so präsent sind, wie Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller. Kaum einer verlässt heute die deutsche Schullandschaft, ohne nicht wenigstens über einen der beiden Literaten gestolpert zu sein, auch wenn sich ihr tatsächlicher Einfluss im Gegensatz zur Generation unserer Eltern und Großeltern heute hauptsächlich auf das beständig sich ausdünnende Bildungsbürgertum beschränkt. Rüdiger Safranski, der sich zuvor schon mit den Biografien Schillers, Nietzsches oder E.T.A. Hoffmanns befasst hatte, lässt in seinem neuen Buch 'Goethe & Schiller, Geschichte einer Freundschaft' ebendiese Männerfreundschaft chronologisch vor dem Auge des geneigten Lesers Revue passieren. Dabei stützt er sich weitgehend auf den von Goethe 20 Jahre nach Schillers Tod herausgegebenen Briefwechsel der beiden sowie auf zahlreiche weitere zeitgenössische Quellen, die feinsäuberlich im bibliografischen Anhang des Buches zusammengestellt wurden.
Er startet mit der ersten Begegnung des jungen Schillers mit dem 'Genie' Goethe, der im Jahre 1779 zusammen mit seinem Herzog Karl-August in offizieller Mission die Militärakademie der hohen Karlsschule in Stuttgart (heute Schloss Solitude) zum Zweck einer Preisverleihung an die Studenten besuchte. Der damals noch unbekannte Schiller war einer der Studenten der Karlsschule und der bereits in Amt und Würden tätige Goethe war durch seinen Roman 'Werther' und den 'Götz von Berlichingen' zu internationalem Ruhm gelangt. Aber es sollten noch 15 Jahre vergehen, ehe das 'glückliche Ereignis' eintreten konnte und sich die beiden tatsächlich kennen und wertschätzen lernten. Safranski schildert Charakter und Entwicklung der beiden Dichter und Denker bis zu diesem Zeitpunkt, wobei die beiden neben ihrem Genie eher gegensätzliche Positionen und Meinungen vertraten. Schiller wird berühmt als Autor der 'Räuber', dieses 1782 aufgeführten Meisterstücks der 'Sturm und Drang'-Zeit um den Konflikt zwischen Freiheit und Gesetz. Doch in diesen politischen instabilen Zeiten - die französische Revolution stand schon fast vor der Türe - brachte das von der Jugend umjubelte Stück seinem Autor reichlich Probleme. Herzog Karl-Eugen verwarnte den unbotmäßigen Autor mit 14 Tagen Festungshaft und verbot ihm fortan jegliche publizistische Tätigkeit. Schiller flieht und gerät 1787 schließlich nach Weimar, wo sich seine prekäre Lage langsam konsolidieren kann.
Während Schiller mit seinen 'Räubern' die Freiheit entdeckte, entdeckte Goethe an der Universität Jena den berühmten Zwischenkieferknochen, einem beim erwachsenen Menschen zurückgebildeten Knochen, dessen Existenz aber eine gemeinsame stammesgeschichtliche Entwicklung des Menschen und der Tiere nahelegte. Während Schiller vor seinem Herzog aus Stuttgart flieht, flieht Goethe vor seinen Verpflichtungen als Geheimer Rat am Weimarer herzoglichen Hof in seine gut 20 Monate währende Italienreise.
"Die Doppelexistenz als Pegasus und Amtsschimmel war ihm zu anstrengend geworden...Er fühlte seine poetische Ader austrocknen." (Seite 47)
Der reifere und erfahrenere Goethe sieht in Schiller auch immer ein wenig seine eigene jugendliche 'Sturm und Drang'-Zeit, die er als überwunden betrachtete. Revolution ist ihm etwas Schreckliches. Er ist zwar kein Verfechter der Adelsprivilegien, aber der mit der Revolution verbundene 'soziale Vulkanausbruch' ist ihm genauso wie alles andere 'Plötzliche und Katastrophische' verhasst, 'in der Natur ebenso wie in der Gesellschaft. Das Allmähliche zog ihn an. Er suchte nach Übergängen, vermied Brüche' (Seite 81). Diese Voreingenommenheit gegenüber Schiller verhinderte auch eine frühere Annäherung der beiden, so dass das 'glückliche Ereignis' ihrer näheren Bekanntschaft erst am 20. Juli 1794 stattfinden konnte.
"Wir gingen beide zufällig heraus, ein Gespräch knüpfte sich an, er (Schiller) schien an dem Vorgetragenen Teil zu nehmen, bemerkte aber sehr verständig und einsichtig und mir sehr willkommen, wie so eine zerstückelte Art die Natur zu behandeln, den Laien, der sich gern darauf einließe, keineswegs anmuten könne." (Seite 107)
Mit diesen Worten beginnt Goethe im Rückblick die Schilderung dieses ersten denkwürdigen Freundschaftsmoments, der die beiden Literaten für die folgenden 11 Jahre aneinander binden sollte.
Safranskis Darstellung ist übervoll mit Zitaten und kleinen Anekdoten, mit denen er es versteht die Persönlichkeiten seiner beiden Protagonisten plastisch zum Leben zu erwecken. Die schwierige Annäherung Schillers an Goethe während seiner anfänglichen Weimarer Zeit, gemeinsame Phasen hoher Produktivität sowie auch einzelner Trockenphasen, in denen der eine den anderen freundschaftlich beratschlagt und unterstützt, anhand zahlreicher Begebenheiten und Beispielen haben wir an dieser kurzen Hochzeit der 'Weimarer Klassik' teil. Für mich umso interessanter, da mir das Lokalkolorit aus meinen eigenen Jahren in Weimar und Jena sehr vertraut ist. Auch glaubt man manchmal ein kleines Augenzwinkern des ansonsten wissenschaftlich akribischen Autors zu erkennen, wenn er beispielsweise den Besuch Madame de Staels in Weimar schildert, zu dem sich Goethe durch gewollte Abwesenheit geschickt aus der Affäre zu ziehen versucht.
"Madame überraschte Weimar mit solch raffinierter Natürlichkeit, aber vorallem mit ihrer außerordentlichen Beredtheit. Man muss sich ganz in ein Gehörorgan verwandelt um ihr folgen zu können, berichtet Schiller, dem zuerst die Aufgabe zugefallen war, ihr gegenüber das geistige Weimar zu repräsentieren, da Goethe noch zögerte, von Jena herüberzukommen." (Seite 287)
Die epochemachende Freundschaft endete aber auch nicht mit Schillers viel zu frühem Tod 1805. Im Nachhinein steigerte und verklärte Goethe seinen Freund zusehends. Auch die Episode mit Schillers Schädel (der nachgewiesener Maßen gar nicht der von Schiller war) gibt zu denken. Dieser wurde 1826 anlässlich einer Erweiterung der Gewölbegrabstätte zusammen mit zahlreichen weiteren Gebeinen in Weimar exhumiert. Der Weimarer Bürgermeister Karl Leberecht Schwabe deklamierte dabei den größten gefundenen Schädel als Schillers Haupt, und dieser fand seinen Weg in Goethes Privatbibliothek, in der er ein gutes Jahr lang stehen sollte...
Am Ende fasst Goethe diese Freundschaft mit den folgenden Worten auf wunderbare Weise zusammen:
"Ein Glück für mich war es...dass ich Schillern hatte. Denn so verschieden unsere beiderseitigen Naturen auch waren, so gingen doch unsere Richtungen auf Eins, welches denn unser Verhältnis so innig machte, dass im Grunde keiner ohne den anderen leben konnte." (Seite 310)
Fazit: Eine wunderbare, sorgfältig recherchierte und aufbereitete Chronologie einer epochemachenden Freundschaft zwischen den beiden deutschen Geistesgiganten, die unsere Kultur für immer prägen sollten. Anspruchsvoll, aber durchaus immer unterhaltsam und interessant zu lesen. Lesen!
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