Und um so einen Gastronomiekritiker, genauer um den König der Gourmets, geht es in Muriel Barberys Roman 'Die letzte Delikatesse'. Der Inhalt des kurzen Bändchens ist schnell erzählt. Pierre Arthens, ein maßloser Gourmet und der König der Restaurantkritiker liegt im Sterben. Ihm bleiben nur noch 48 Stunden und er versucht in seinen Erinnerungen den einen und absoluten Geschmack heraufzubeschwören, um noch einmal das köstlichste, das er jemals genießen durfte, ein allerletztes mal zu kosten.
"Ich werde sterben, und es gelingt mir nicht, mich an einen Geschmack zu erinnern, der mir nicht aus dem Herzen will. Ich weiß, dass dieser Geschmack die erste und letzte Wahrheit meines Lebens ist, dass in ihm der Schlüssel zu einem Herzen verwahrt liegt, das ich seither zum Schweigen gebracht habe."(Seite 9)
Seine Suche nach diesem aboluten Geschmack führt uns durch verschiedene Stationen seines Gourmetlebens, von den allerersten Anfängen sinnlichen und geschmacklichen Erlebens über sein Debut als Kritiker bis hin zu seinen großen Erfolgen. Dabei wechseln sich Erinnerungskapitel jeweils mit Stimmen seiner Familie, seiner Bekannten, seiner Freunde und seiner Feinde ab, die alle noch ein letztes mal Stellung beziehen. Dabei wird eines klar: die allerstärksten Eindrücke hinterlässt nicht unbedingt das Raffinierteste, sondern vielmehr die einfachen Dinge, die uns bereits früh in unserem Leben geprägt haben.
Und hier gerät der Roman auch schon in den Dunstkreis von Marcel Proust, der über das Eintauchen eines Madeleines in Kräutertee und das Schlürfen der krümeligen Brühe das gesamte Universum seiner 'verlorenen Zeit' vor Augen geführt bekommt, worüber Pierre Arthens übrigens nur eine abfällige Bemerkung übrig hat aufgrund der 'Banalität' der Proustschen Geschmacksempfindung. Dagegen führt uns Muriel Barbery ein in ein wahres Geschmacksuniversum und führt uns die sensorischen Verführungskünste der einfachen, aber eben dadurch besonderen Dinge, wie Brot, Fleisch, Kräuter, Fisch, oder auch 'das Rohe' (nämlich Sushi) wortgewaltig vor Augen und Geschmacksknospen. Allerdings übertreibt sie es manchmal auch mit ihren Mammutsatz-Ungetümen und Adjektivgebirgen, so dass sich der wunderschön durchkomponierte, kurze Roman nicht unbedingt leicht von der Hand lesen lässt.
Am Ende wissen wir nicht, ob wir Pierre Arthens ob seines genussreichen Lebens beneiden oder aufgrund der damit verbundenen Opfer bedauern sollen. Denn auf Kosten des guten Geschmacks blieb so Einiges, insbesondere seine Kinder, auf der Strecke.
"...wenn ich es heute bedenke, denn was sind Kinder anderes als die monströsen Auswüchse unserer selbst, ein erbärmlicher Ersatz für unsere nicht verwirklichten Wünsche? Für jemanden wie mich, der im Leben schon Erfüllung gefunden hat, verdienen sie erst Interesse, wenn sie endlich weggehen und etwas anderes werden als Söhne und Töchter."(Seite 38)
Am Ende findet Pierre Arthens doch noch 'seinen einen Geschmack'. Aber zum Glück dauert es eben bis zum Ende des Romans und wir werden bei seiner Suche zu Zeugen und Mitwissern seiner unerhörten geschmacklichen Geheimnisse.
Fazit: Ein Buch für Liebhaber des 'guten Geschmacks', die sich nicht von Satzgebirgen abschrecken lassen und Freude an ausführlich geschilderten Geschmackserlebnissen haben.