Genauso geht es Francis Dean, knapp achtzehn Jahre alt, dessen Mutter gerade ins Krankenhaus eingewiesen wird, weil die Depressionen einmal wieder verstärkt durchschlagen. Aber nach dem Selbstmordversuch seiner Mutter findet Francis einen Brief, der alles ändern soll. Sein Vater, so schreibt seine Mutter, sei in Wahrheit ein erfolgreiches Genie, ein Cello-spielender Harvard-Wissenschaftler mit einem IQ von 170. Francis sei im Rahmen eines Experiments, an dem seine Mutter teilgenommen hatte, in der Retorte gezeugt worden. Dabei greift Wells auf eine reale Geschichte zurück, die vor gut 10 Jahren durch die Presse geisterte: die 1980 vom Eugeniker Robert Klark Graham gegründeten Hochbegabten-Samenbank. Dachte Francis zuvor, dass sein Vater ein Niemand gewesen sei, ein Versager, der seine Familie im Stich gelassen hat, so ist er jetzt überzeugt davon, dass sein Leben einen Sinn hat und er unbedingt seinen richtigen Vater finden muss.
"All diese verlorenen Gestalten, die nichts zustande brachten, die es nicht in sich hatten, je etwas Großes zu stemmen. Und plötzlich durchzuckte es Francis. Er würde einmal so werden wie sie, egal wie sehr er sich wehrte. Er würde niemals von hier wegkommen!" (Seite 57)Zusammen mit seinem schrägen Freund Grover und der knapp älteren Anne-May, in die sich Francis in der Klinik verliebt hat, macht sich das Trio auf den Weg. Mit dem von seinem Stiefvater abgetrotzten Geld starten sie zu einem Roadtrip, der sie durch mehrere Bundesstaaten nach Las Vegas und schließlich nach Kalifornien führen soll, zur Klinik, in der Francis gezeugt wurde, um dort Informationen über seinen Vater zu bekommen. Doch Las Vegas wird auch zu einer Art Wendepunkt für Francis. Zunächst verliert er all sein Geld, dann kommt es auch noch zum Streit zwischen den Freunden. Schließlich gelingt es Francis tatsächlich mehr über seinen Vater herauszubekommen. Der Weg führt dabei sogar bis nach Mexiko und am Ende erweist sich der Traum vom 'perfekten Vater' doch nur als Irrweg. Alles kommt anders als man denkt, aber letztendlich passt doch alles zusammen.
"Weißt du, es heißt ja immer, dass man mit harter Arbeit und Fleiß alles erreichen kann,,aber dabei vergisst man, dass Glück und Pech im Leben eine oft noch viel größere Rolle spielen. Es hängt so viel mehr vom bloßen Zufall ab, als wir wahrhaben wollen." (Seite 242)'Fast genial' ist also der erste Roman, den Wells nach seinem Durchbruch mit 'Becks letrzter Sommer' schrieb. Allenthalben (außer in der NZZ) wird der Roman von Benedict Wells hochgelobt. Ja, der Roman liest sich flott, spannend und gleich unterhaltsam. Aber mit dem Zeichnen der Figuren tut sich Benedict Wells noch schwer. Irgendwie kommen die Zerrissenheit und die tatsächlichen Gefühle der drei Hauptakteure nicht wirklich beim Leser an, so dass man sich in sie hineinversetzten könnte. Und ja, die Geschichte wirkt reichlich "konstruiert". Das Coming-of-Age Roadmovie fesselt zunächst mit dem abstrusen Gedanken, dass ein Verlierer seine geniale Herkunft entdeckt und darüber zum Gewinner mutieren könnte. Doch fällt es Wells auch hier schwer, die Triebkraft seiner Gralssuche über mehrere Bundesstaaten und knapp 300 Seiten hinweg aufrecht zu halten. Immer wieder werden dabei Klischees über Klischees gestapelt. Auch wenn viel passiert auf dieser Reise quer durch die USA, am Ende blieb ein schales Gefühl zurück. Dennoch, es sind die Dialoge und Gespräche der drei Heranwachsenden, in denen die Träume und Sehnsüchte dieser Ruhelosen zum Ausdruck kommen, die mich letztendlich doch mit dem Buch versöhnt haben.
Fazit: Roadmovie, Gralssuche und Erwachsenwerden, das alles bietet Benedict Wells Roman. Nur dass er an die stilistischen Vorbilder ('Der Fänger im Roggen' oder 'On the Road') dabei nicht ganz heranreicht. Trotzalledem nicht schlecht.
Benedict Wells
Fast genial
Diogenes (2011)
336 Seiten
19,90 Euro