Man beginnt also in den ersten Seiten vor sich hinzulesen und merkt recht schnell, wie einen die Geschichte in ihren Bann zieht. Fesselnd schreiben kann er ja. Nun, ob Sie's glauben oder nicht, Jake Epping, seines Zeichens Englischlehrer in der Erwachsenenbildung, wird von seinem krebskranken Freund Al Templeton, dem Besitzer eines alten Diners, in ein unglaubliches Geheimnis eingeweiht. Die Stufen hinab in den Vorratskeller von Als Schnellrestaurant führen geradewegs in die Vergangenheit des Jahres 1958, und zwar genau zum 9. September, 11.58 Uhr. Und das tun sie anscheinend immer wieder. Egal, wie lange man sich in der Vergangenheit aufhält, in der Gegenwart vergeht immer nur ein kurzer Augenblick. Geht man die Stufen wieder hinab, landet man in der selben Zeit und stets an der selben Stelle. Aber was passiert, wenn man auf diese Vergangenheit einwirkt und diese verändert, und zwar so, dass es unweigerlich Auswirkungen auf die Gegenwart haben muss...?
Dieser Frage widmen sich zahlreiche Autoren von Zeitreisegeschichten und lösen die dadurch verursachten Paradoxa im Ursache-Wirkungsgefüge unseres Raum-Zeit-Kontinuums einmal mehr oder weniger elegant. Üblicherweise folgen die Autoren dabei einem dieser drei Schemata:
- Unveränderliche Zeitlinie: Bei dieser Variante kann sich der Zeitreisende anstrengen, wie er will, er schafft es einfach nicht, den Strom der Zeit zu verändern, da immer irgend etwas dazwischen kommt. Entweder "wehrt" sich die Zeit, oder die Taten des Zeitreisenden haben auf den Fluss der Zeit keine weiteren schwerwiegenden Auswirkungen - wie ein kleiner Zweig, der in einen Strom fällt, diesen nicht veranlasst, sein Bett zu verlassen.
- Dynamische Zeitlinie: Der Zeitreisende verändert den Lauf der Zeit und damit seine ursprüngliche eigene Gegenwart. Hier treten Paradoxa auf, wie z.B. der Versuch, seine eigenen Vorfahren zu ermorden, so dass der Zeitreisende selbst nie geboren worden wäre und auch nie die Zeitreise angetreten hätte und daher auch nie seine Vorfahren hätte umbringen können.
- Multiversum: Jeder Zeitreiseversuch des Zeitreisenden zurück in die Vergangenheit erschafft ein neues (paralleles) Universum. Dort haben die Taten des Zeitreisenden Einfluss auf den weiteren Verlauf der Zeit, allerdings wirken sie nicht in seinem ursprünglichen Universum, das parallel zum neugeschaffenen Universum besteht.
Alles hängt mit allem zusammen, das soll einem die Lektüre dieses Buches verdeutlichen. Dabei geht es nicht nur um den vielzitierten Schmetterlingseffekt, bei dem der Flügelschlag eines Schmetterlings durch eine ungeahnte Verkettung von Ursache und Wirkung auf einem anderen Kontinent einen Orkan auslösen kann. Nein, auch Stephen Kings Werk wird in diesem Buch immer wieder zitiert und aufgegriffen. Und da vieles in seinen Büchern Kings persönlicher Biografie entnommen ist, führt uns dieses Buch irgendwie auch durch die Stationen der Lebenswelt seines Autors. Aber vor allen Dingen liest es sich unterhaltsam und spannend. Aufgrund seiner Länge ist es sicher nicht als Gute-Nacht-Lektüre geeignet, die man in kurzen 20-30 Seiten Häppchen liest, sondern verlangt nach einigen Regenwetter-Urlaubstagen, an denen man sich mit einer schönen Tasse Tee in den Seiten der unglaublichen Geschichte verlieren kann. Ich hatte ja so meine Bedenken, ob sich King am Ende aus der Paradoxie-Falle seines Zeitreisekonstrukts zu retten versteht, aber er hat es tatsächlich geschafft und hat die Geschichte zu einem schlüssigen Ende geführt.
Fazit: Großes Kino, spannend geschriebene, wohlrecherchierte und gut durchdachte Geschichte. Lesen!
Weitere Zeitreiseromane im Biblionomicon: