Montag, 30. Juni 2008

Jane Austen: Kloster Nordhanger

Gothic Novels, also Schauerromane, waren zur Zeit der Romantik diesseits wie insbesondere jenseits des Ärmelkanals groß in Mode. Jedermann war dieses Genre geläufig, das mit Horace Walpoles Roman "Das Schloß von Ortranto" seinen Ausgang nahm. Das Setting hatte sich seither nicht allzusehr modifiziert: Grusel gepaart mit Liebe und Romantik.... Der Name "Gothic" leitete sich aus der historischen Epoche der Gebäude ab, in denen die Schauergeschichten spielten -- womit gleichzeitig auch ein sogenanntes "Gothic Revival" als Modeerscheinung ausgelöst wurde.

Mehr noch als als Walpole gilt Ann Redcliffe als "Mutter" des urtypischen Romans aus der Epoche der Gothic Novels. Ihr Werk "The Mysteries of Udolpho" dient denn auch oft als Zitat in Jane Austens Frühwerk "Kloster Northanger" (Kloster Nordhanger), der allerdings erst posthum veröffentlicht wurde. Geht es doch bei Redcliffe um das Schicksal des Mädchens Emily St. Aubert, die neben dem Tod ihres Vaters, diversen übernatürlichen Schrecken in einem düsteren Schloss ausgesetzt ist und sich gegen die Machenschaften eines italienischen Briganten zur Wehr setzen muss. Aber Jane Austen schreibt keine Gothic Novel im herkömmlichen Sinne, sondern fügt noch eine gehörige Portion Ironie und Sarkasmus mit dazu....

Hauptfigur bei Jane Austen ist die 17-jährige Catherine Morland (eine typische Gothic Novel Heldin...), die zusammen mit Mr. und Mrs. Allen, Freunden ihrer Familie, den Sommer über in die alte englische Küstenstadt Bath gereist ist. Hier verbringt sie ihre Zeit mit neu gefundenen Freunden wie Isabella Thorpe und mit gemeinsamen Ballbesuchen. Zwei junge Männer sind schnell an der so "frisch-naiven" Catherine interessiert: der draufgängerische John Thorpe (Isabellas Bruder), der gemeinsam mit Catherines Bruder an der Universität studiert, und der ruhige, junge Geistliche Henry Tilney. Catherine schließt mit Henrys Schwester, Eleanor Tilney, Freundschaft und wird von deren Vater, General Tilney in das ehemalige Kloster Northanger, den Wohnsitz der Familie Tilney eingeladen. Da Catherine gerade Ann Radcliffes berühmten Roman gelesen hat, glaubt sie in Northanger einen dramatisch düsteren und gruseligen Ort mit schaurigen Geschichten vorzufinden. General Tilney ist Witwer und der Tod seiner Frau gibt Catherine allerlei Anlass zu schaurigen Spekulationen. Alles läuft natürlich darauf hinaus, dass Henry und Catherine ein Paar werden, aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg aus Irrungen und Wirrungen, an denen Frau Redcliffe nicht ganz unschuldig ist.

Das Reclam-Buch verfügt über ausführliche Anmerkungen, ein Nachwort mit Erläuterungen, sowie einen Kartenteil. Kennt man Jane Austens feinen Sinn für Humor, so begegnet man ihm hier noch in recht ungeschliffener, aber dennoch überaus unterhaltsamer Form. Die Heldin gerät in allerhand peinliche Situationen und irgendetwas (oder irgendwer...am Ende gar sie selbst) verbaut ihr immer wieder den Weg zu ihrem angebeteten Henry, der sogar ihre Liebe zu den "unsäglichen" Schauerromanen teilt, indem er folgendes zum Besten gibt:

"The person, be it gentleman or lady, who has not pleasure in a good novel, must be intolerably stupid. I have read all Mrs. Radcliffe's works, and most of them with great pleasure. The Mysteries of Udolpho, when I had once begun it, I could not lay down again; I remember finishing it in two days – my hair standing on end the whole time."


Fazit: Ein wunderbares Frühwerk der großen Jane Austen, in dem Humor und Romanze sich die Waage halten und die klassische "Gothic Novel" durch den Kakao gezogen wird. Ein überaus unterhaltsames Werk nicht nur für "Jane Austen-Afficionados"!

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Dienstag, 27. Mai 2008

Andrea Maria Schenkel: Tannöd

Eigentlich zähle ich ja überhaupt nicht zu den typischen Krimilesern. Ok, natürlich mochte ich seinerzeit Arthur Conan Doyle's Sherlock Holmes und habe alle Geschichten verschlungen, die ich auftreiben konnte, aber die 'typischen' Who-Dunnit-Stories waren nie wirklich mein Ding. Ganz im Gegensatz zu meiner Mutter, die eine ausgeprägte Vorliebe für dieses Genre besitzt. Was lag also näher, als ihr bei der sich bietenden Gelegenheit das von allen Kritikern so fulminant in den Himmel gelobte Highlight der neuen deutschen Krimi-Szene 2007, Andrea Maria Schenkels 'Tannöd' zu schenken.

'Du, das ist alles wahr....", so zumindest meine Mutter, als ich sie kurz darauf fragte, wie ihr denn der neue Krimi gefallen hätte. Der Verschwörerton, den sie dabei aufblitzen lies, machte mich neugierig und kurzerhand habe ich mir das Buch einfach einmal ausgeliehen.

Es ist dunkel, für wahr. Das Cover ist tatsächlich mit Bedacht gewählt. Nachkriegszeit im ländlichen, bayerischen Voralpenland. Das ganze Buch aufgezogen wie eine Abfolge von Interviews mit den Beteiligten und Polizeibericht. Kurzes Vorgeplänkel und schon ist man mittendrin und versucht sich quasi an der Auflösung des rätselhaften Verbrechens in der Abgeschiedenheit des Tannöd Hofes, das einer kompletten Familie das Leben gekosten hat.

Es ist vor allen Dingen das Lokalkolorit, das diesen Krimi von so vielen anderen abhebt. Die Eigenheiten der bäuerlichen Bevölkerung, Neid und Eifersucht, die besondere Situation in den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg. "Man soll ja nichts böses über Tote sagen..." Und zwischendurch werden immer wieder diese katholischen Litaneien montiert


"Herr, erbarme Dich unser!
Christus, erbarme Dich unser!
Herr, erbarme Dich unser!
Christus höre uns!
Christus, erhöre uns!
Gott Vater vom Himmel, erbarme Dich Ihrer!
..."

Man meint sie förmlich zu hören, die Stimmen dieser alten Frauen, die im Gebetskreis einen Rosenkranz nach dem nächsten abarbeiten.

Die Charaktäre der einzelnen Personen sind lediglich in kurzen Momentaufnahmen beleuchtet. Die Handlung - und das ist das erstaunliche - gerät in den Hintergrund und ist irgendwie gar nicht so wichtig. Natürlich möchte man das Geheimnis lüften. Aber irgendwie sind plötzlich alle schuldig.

Dabei gewinnt das Bändchen vor allen Dingen durch seine präzise Kürze. 125 Seiten, nicht allzu eng bedruckt. Ein Urlaubstag sollte auf alle Fälle ausreichen, bevorzugt natürlich in ländlicher Umgebung zu genießen...

Fazit: ein ungewöhnlicher, kurzer und düsterer Krimi. Er hat jetzt nicht irgendwie mein Leben verändert, war jedoch kurzweilig und vor allen Dingen kann ich jetzt 'mitreden', wenn es um aktuelle deutsche Kriminalliteratur geht ;-)

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Mittwoch, 21. Mai 2008

Eduardo Galeano: Das Buch der Umarmungen

Ich zähle Ernest Hemingway zu meinen Lieblingsautoren. Insbesondere seine Kurzgeschichten - die Short Stories haben es mir angetan. Drei Sätze....und Du bist hineinkatapultiert in eine Handlung oder gar ein ganzes Leben. Mehr brauchte der Großmeister der 'wenigen Worte' nicht, um seine Leser mitzureisen und die Geschichten in Gang zu setzen...

...Wenn man es denn dann aber schafft, die komplette Geschichte in drei Sätzen zu erzählen, glaubt man erst einmal nicht daran, dass sich dahinter tatsächlich etwas Lesenswertes verbergen könnte. Zugegeben, ich wäre von alleine wohl niemals auf Eduardo Galeano gekommen, auch wenn ich mir in letzter Zeit vermehrt lateinamerikanische Autoren zu Gemüte führe. Nein, zu Eduardo Galeano kam ich über Hemingway....und zwar in Tschechien im vergangenen Jahr. Auf einer Konferenz im tschechischen Harrachov lernte ich Jose, einen portugisischen Professor, kennen, mit dem ich mich in einige überaus interessante Unterhaltungen über Literatur verwickelte. Natürlich kam ich auch auf Hemingway zu sprechen, und dass ich seine kurze prägnante, oft auch harte Erzählweise schätze. Wie erstaunt war ich, als mir Jose erzählte, dass Eduardo Galeano den Hemingway'schen Erzählstil ins Extreme führen würde und seine Geschichten - meist nur eine knappe Seite lang - doch die Wahrheit eines ganzen Lebens enthalten können.

Zufällig fiel mir nun kürzlich eine Ausgabe des 'Buchs der Umarmungen' in die Hände. Angefüllt mit unzähligen Geschichten, Viele nur knapp eine halbe Druckseite lang, führt uns Galeano dabei in eine wunderbare, fantastisch faszinierende Welt, die sehr zum Nachdenken und vor allem aber zum Weiterlesen anregt. Wie durch ein kurzes Blitzlicht werden die Geschichten in Momentaufnahmen in verdichteter Form festgehalten. Und auf diese Weise lernt der Leser in Form kleiner Lebensweisheiten etwas über die Seele Lateinamerikas.

"Das System
Die Funktionäre funktionieren nicht.
Die Politiker reden, sagen aber nichts.
Die Wähler gehen zur Wahl, haben aber keine Wahl.
Die Medien informieren nicht, sie deformieren.
Die Lehranstalten leeren.
Die Richter verurteilen die Opfer.
Die Militärs führen Krieg gegen ihre Landsleute.
Die Polizisten bekämpfen nicht das Verbrechen, weil sie damit beschäftigt sind, es zu begehen,.
Der Bankrott wird sozialisiert, der Gewinn privatisiert.
Freier als die Menschen ist das Geld.
Die Menschen sind den Dingen untertan."


Fazit: Ein überaus ungewöhnliches, aber nicht minder interessantes Buch. Kein durchgängiges Lesevergnügen, sondern eher etwas zum darüber Nachdenken.

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Mittwoch, 14. Mai 2008

Choderlos de Laclos: Gefährliche Liebschaften

Gut zwei Monate ist es jetzt her, dass ich die letzten Zeilen hier im Blog hinterlassen habe. Zwei Monate und ein ganzer Stapel Bücher, über die ich jetzt alle schreiben kann....

Den Anfang macht der klassische Briefroman 'Gefährliche Liebschaften' von Cholderlos de Laclos, den man zumindest in seiner opulenten filmischen Umsetzung durch Stephen Frears mit einem genialischen John Malkovich und einer eiskalten wie skrupellosen Glen Close kennt. Damit ist die Handlung ja auch schon eigentlich erzählt. Denn gleich dem Film, dreht sich das Buch um die Machenschaften der Marquise de Merteuil, die mehr aus Langeweile gleichsam aus Sportsgeist ihre Mitmenschen verdirbt, betrügt, hintergeht oder intrigiert. Kurzum, die Marquise de Merteuil langweilt sich so sehr in ihrem aristokratischem Dasein, dass sie mit dem Leben anderer spielt, gleichwohl ihr bewusst ist, dass sie alleine schon mit einer geschickt platzierten Bemerkung ganze Lebensplanungen zerstören und ein Dasein vernichten kann.
Klingt übertrieben dekadent, aber Laclos zeichnet ein überspitzt dargestelltes Sittenbild des späten französischen Rokoko, das unweigerlich wenige Jahre später in der Revolution münden muss.

Der Roman -- und das macht ihn zu einem besonderen Genuss - ist als Briefroman angelegt. Die Briefe stammen von der Hand der Marquise de Merteuil, ihres Kompagnon und früheren Geliebten, des Vicomte de Valmont, der jungen und zunächst unschuldigen Cecile de Volange, ihres Verehers und Liebhabers, des Chevalier Danceny. Dazu kommen noch die Präsidentin de Trouvel, die das ausgemachte Ziel aller Wünsche Valmonts verkörpert, sowie einige weitere, weniger wichtige Personen. Valmont will die Präsidentin de Trouvel verführen, die als Tugendhaftigkeit in Person gilt, und deren Niederlage gegen Valmont von diesem zunächst aus rein sportlichem Interesse und reinem Ehrgeiz angestrebt wird. Die Marquise de Merteuil dagegen stachelt Valmont dazu an, die junge Cecile de Volanges zu verführen und zu verderben, um deren zukünftigen Ehemann -- der Comte de Gercourt, einem ehemaligen Geliebten der Merteuil -- zu demütigen. Derart ausgestattet entspannt sich der Reigen, doch entwickelt sich alles etwas anders als geplant, als Valmont tatsächliche Gefühle für die Präsidentin de Trouvel (Michelle Pfeiffer) entwickelt. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf....und obwohl man ja schon aus dem Film weiss, wie die Geschichte endet, ist das Büchlein ein wahrer Genuss - auch wenn die Schwülstigkeit und Ausführlichkeit der brieflichen Darstellungsform für viele etwas gewöhnungsbedürftig sein mag

Die größte und eindrucksvollste Szene für mich ist diejenige, in der Valmont, quasi erpresst von der Merteuil als Opfer seiner eigenen Ambitionen, mit der bereits verführten Präsidentin de Trouvel entgegen seiner Überzeugung und seiner wahren Gefühle brechen muss, um nicht das Gesicht gegenüber der Merteuil -- und seinen 'guten' Ruf -- zu verlieren. Dabei legt ihm die Merteuil die Worte in den Mund, die Malkovich im Film gleich einer unwilligen, aber zu ihrem eigenen Untergang verdammten Marionette abspult:


"Man bekommt alles einmal satt, mein Engel. Das ist ein Naturgesetz. Meine Schuld ist es nicht.
Wenn ich als heute eines Abenteuers überdrüssig bin, dass mich seit vier langweiligen, grässlichen Monaten ausschließlich in Anspruch genommen hat, so ist es nicht meine Schuld.
Wenn ich beispielsweise just so viel Liebe gehabt habe, wie du Tugend besaßest, und das will sicher viel besagen, so ist es nicht erstaunlich, dass die eine zur selben Zeit aufgehört hat wie die andere. Meine Schuld ist es nicht.
Daraus folgt, dass ich Dich seit einiger Zeit betrogen habe. Aber Deine erbarmungslose Zärtlichkeit hat mich gewissenmaßen auch dazu gezwungen! Meine Schuld ist es nicht!
Heute verlangt eine Frau, die ich über alles liebe, dass ich Dich aufgebe. Meine Schuld ist es nicht.
Ich fühle wohl, das wird eine schöne Gelegenheit abgeben, Zeter und Mordio wegen meines Eidbruchs zu schreien. Aber wenn die Natur den Männern nur Beständigkeit verliehen hat, während sie die Frauen mit hartnäckigerem Beharren begabte, so ist es meine Schuld nicht,
Glaube mir, wähle Dir einen anderen Liebhaber, wie ich eine andere Geliebte erkoren habe. Dieser Rat ist gut, sehr gut sogar. Findest Du ihn aber schlecht, so ist es meine Schuld nicht.
Leb wohl mein Engel, ich habe Dich mit Freuden genommen, ich verlasse Dich ohne Reue. Vielleicht komme ich einmal wieder zu Dir zurück. So ist der Lauf der Welt. Meine Schuld ist es nicht...."


Fazit: Ein opulentes Werk in Briefform über menschliches Begehren, Intrigenspiel, Liebe und Moral. Auch wenn sich die Zeiten seit de Laclos deutlich geändert haben, das Spiel der Liebe und Intrigen hat auch heute noch Bestand und ist so aktuell wie zuvor. Meine Schuld ist es nicht.....

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Freitag, 22. Februar 2008

500 Seiten und 50 Jahre später kriegen sie sich - Gabriel Garcia Marquez "Liebe in Zeiten der Cholera"


Eigentlich ist damit ja schon alles gesagt. Florentino Ariza und Fermina Daza sind ein mehr oder weniger "verhindertes" Liebespaar, dessen gemeinsames Glück mehr als 50 Jahre lang auf sich warten lässt. Doch Gabriel Garcia Marquez macht daraus einen großen Roman, der die beiden Liebenden über das Fin de Siecle hinweg bis in die frühen Jahre des 20. Jahrhunderts hinein begleitet.

Da bin ich also wieder bei einem lateinamerikanischen Autor gelandet. Nach Isabel Allende jetzt also der kolumbianische Nobelpreisträger Marquez. Und wenn man meint, die Allende könne schon recht gut erzählen, dann hat man noch nichts von Marquez gelesen. Aber - so zumindest mein Eindruck - man muss sich ein wenig an seinen Stil und seine Erzählweise gewöhnen, die nicht unbedingt für meine zügige Art zu lesen geeignet ist. Aber kommen wir zunächst erst einmal zur Geschichte.

Ein alter Schachspieler liegt tot in seinem Bett -- Selbstmord. Doktor Juvenal Urbino, der geachtete Mediziner und Patrizier, stellt ungerührt die Todesursache seines Schachpartners fest und veranlasst alles weitere, damit dieser schnell unter die Erde kommt. Juvenal Urbino, selbst schon ein alter Mann, überschätzt seine Kräfte und stürzt von der Leiter zu Tode, als er den entflogenen Papagei wieder einfangen möchte. Während der tote Doktor noch aufgebahrt in seinem Haus liegt, damit Angehörige und Freunde von ihm Abschied nehmen können, ist auch Florentino Ariza unter den Gästen und gesteht der frischgebackenen Witwe seine unvergängliche Liebe. Diese findet das natürlich alles andere als passend und wirft ihn kurzerand hinaus.

Doch die beiden sind einander keine Unbekannten. Bereits vor 50 Jahren hatten sich die beiden in der kolumbianischen Hafenstadt, in der die Geschichte spielt, ineinander verliebt, doch das Schicksal, die gesellschaftliche Ordnung und der nicht zu unterschätzende Eigensinn von Fermina Daza verhindern, dass daraus mehr als nur eine platonische Beziehung entsteht. Zwar werden unzählige Briefe geschrieben und ausgetauscht, aber Fermina Daza beendet schließlich diese "Beziehung". Beziehung ist wirklich ein eigenartiges Wort für das Verhältnis der beiden. Bis der allererste Kontakt zustande kommt, bis der erste Brief tatsächlich ausgetauscht wird und bis dieser von Fermina Dazas Seite erwidert wird....da gehen schon einmal ein knappes hundert Seiten ins Land. Marquez kostet es wahrlich aus, dass im 19. Jahrhundert die Uhren noch anders tickten, das Leben sozusagen "entschleunigt" ablief. Doch alles kommt natürlich anders. Schließlich heiratet Fermina Daza Doktor Juvenal Urbino, einen der begehrtesten Junggesellen der Stadt -- und das, obwohl sie ihn eigentlich gar nicht liebt. Wieder ist auch dieses Verhältnis der beiden ein seltsames. Er liebt sie eigentlich auch nicht wirklich, aber irgendwie scheint eine Heirat "doch das Beste"....

Nun ja, Florentino Ariza kommt über Fermina Daza nicht hinweg. Daran können auch die vielen Kurzbekannt- und Liebschaften nichts ändern -- und es sind ihrer hunderte, die da über die Jahre zusammenkommen. Tatsächlich gipfelt das Ganze sogar darin, dass er ihr über 50 Jahre später nach der ersten verbrachten Liebesnacht gegenüber lamentiert, er habe sich für sie "aufgehoben" (die 622 Liebschaften und sexuellen Affären einmal ausgenommen...). Aber bis das passiert, da dauert es natürlich eine Weile -- und noch einmal über 140 Briefe, die Florentino Ariza nach seinem etwas deplatzierten Geständnis im Haus des toten Doktors an die Witwe Florentina Daza schreibt. "Liebe in unserem Alter", so Fermina Dazas Tochter "ist lächerlich. Doch in ihrem Alter", das der Mutter, "ist es eine Ferkelei." Ferkelei hin oder her, sie kriegen sich. Und da die gesellschaftlichen Konventionen noch immer nicht in der Moderne angekommen sind, wird der Flussdampfer, auf dem sie sich ihre Liebe gestanden haben für immer ihr Refugium bleiben. Mit gehißter Quarantäne-Flagge (-> die Cholera....) wird er noch heute zwischen den Anlegestellen kreuzen, ohne je wieder anzulegen......

Eingebettet ist das Ganze in das schillernde Zeitkolorit des ausgehenden 19. Jahrhunderts und dem Einzug der Moderne im Norden Südamerikas. Wir werden Zeugen des ersten Radios der Stadt, der ersten Luftpostzustellung Kolumbiens und die Geschichte seiner Befreiung und seiner Revolutionshelden. Marquez steht in seiner Erzähltradition im Reigen der großen südamerikanischen Autoren, die allesamt die Tragik des menschlichen Daseins stets mit einem kleinen Augenzwinkern zu schildern wissen Gerade das macht wohl auch den Reiz dieser Geschichten aus und gerade deshalb sollte man sich auch die dazu nötige Zeit nehmen.

Fazit: Eine wuchtige südamerikanische Erzählung, stets mit leichter Ironie, aber mit gewissen Längen, die aber eigentlich dazugehören. Marquez ist sicher nicht jedermanns Geschmack. Beim Lesen habe ich mich des öfteren über diese Längen und die Langsamkeit beschwert. Aber im Nachhinein war es alle Mühe wert.

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Samstag, 9. Februar 2008

Geheimrat als Geheimagent - Robert Löhr: Das Erlkönig-Manöver

Man stelle sich vor, Goethe - jawohl, unser aller Deutschen Dichterfürst - im stattlichen Alter von 55 Jahren, begleitet von seinem Freund Schiller, den Dichterkollegen Achim von Arnim, Heinrich von Kleist und Bettine Brentano (später Bettine von Arnim), und dazu noch Alexander von Humboldt, auf einer tollkühnen Mission im napoleonisch besetzten Mainz, um den vermeintlichen letzten Erben der französischen Monarchie zu befreien. Klingt nach Räuberpistole? Ganz genau....

Aber alles von Anfang an. Wir schreiben das Jahr 1805. Geheimrat Goethe - man verwechsle diese Dienststellung, die einem Minister gleich kommt bitte nicht mit "Geheimagent" - wird also von seinem Herzog und Freund Carl-August mit der heiklen und bereits geschilderten Mission betraut. Als Motivation des Herzogs muss seine Sorge um das Wohlergehen seines "Thüringischen Athens" angenommen werden, da es Napoleons Eroberungsplänen leicht zum Opfer fallen könnte. (Tatsächlich ist Weimar später auch nur "um ein Haar" der Brandschatzung durch napoleonische Truppen entgangen...). Ziel des Herzogs ist vornehmlich die Restauration der Bourbonischen Monarchie, da es dem einzigen Sohn Ludwigs XVI., Louis-Charles, unter der Mithilfe des Polizeichefs Barras gelungen sein soll, unter Vortäuschung seines Todes aus der republikanischen Gefangenschaft zu entkommen.

Goethe stellt seine "Crew" zusammen: Sein enger Freund Friedrich von Schiller (erinnern wir uns....1805 war doch auch das Todesjahr Schillers...) und -- welch Zufall, da er doch gerade in Weimar weilt -- Alexander von Humboldt als Weltreise-erfahrenen "Scout". Unterwegs stoßen noch Achim von Arnim und dessen Zukünftige, Bettine Brentano zu der illustren Gesellschaft. Und da ist noch jener junge Soldat, der Goethe schon in Weimar nachstellt, um ihm sein Drama schmackhaft zu machen, auf dass Goethe es auf Weimars Theaterbühne groß herausbringe. Das Drama - wie sich später herausstellt -- ist kein geringeres als Heinrich von Kleists "Der zerbrochne Krug". Und tatsächlich, Goethes immer wiederkehrende Schramme unter seiner Perücke erinnert doch fatal an Dorfrichter Adams Blessur, die von besagtem Krug her stammte....

Es gelingt den Dichtern und Denkern tatsächlich unerkannt in das besetzte Mainz einzudringen und den vermeintlichen Dauphin rasch zu befreien, doch gestaltet sich die anschließende Flucht um so schwieriger und langwieriger. Dass dabei natürlich nicht alles so "glatt" läuft wie gedacht und dass das Ende in Weimar natürlich noch nicht das Ende der Geschichte ist, macht diesen kurzweiligen Roman doch lesenswert.

Aber ein paar VIPs zusammengewürfelt mit ein paar literarischen Zitaten, verstrickt in eine abenteuerliche -- aber zugegebenermassen weit hergeholten -- Handlung machen noch keinen guten Roman aus. Natürlich ist es besonders schwer, diesen Ikonen der deutschen Geisteskultur Leben einzuhauchen. Doch die Charaktere sind mir persönlich bei Robert Löhr doch leider etwas zu blass geraten. Am Anfang wird uns kaum Zeit gelassen, die Hauptpersonen richtig kennenzulernen. Humboldt ist ein ganz besonders gutes Beispiel für dieses Manko. Vergleicht man seine Darstellung mit der aus Daniel Kehlmanns genialem Meisterwerk "Die Vermessung der Welt", hat man das Gefühl es hier nur mit einem nichtssagenden Abziehbild des Kehlmannschen Sonderlings und Ausnahmeforschers zu tun zu haben. Und überhaupt, wenn Goethe und Schiller fortwährend sich selbst zitieren, so mag das zwar für die Literaturrecherche des Autors spechen, macht aber die Dialoge nicht wirklich glaubwürdiger. Natürlich zaubert es uns ab und an ein Lächeln um die Lippen, wenn das ein oder andere Bonmot fällt, das uns noch aus zähen Deutsch- und Lektürestunden nachhängt. Aber näher bringt es uns die beiden nicht - und menschlicher macht sie das ganz und garnicht.

Nichtsdestotrotz habe ich die Lektüre dieses Buches sehr genossen. Kurzweilig geschrieben und spannend, so dass man einfach dranbleiben musste. Für einen derzeitigen Wahl-Weimarer (es heißt nicht "Weimaraner", denn das ist der Name für eine Hunderasse...) wie mich macht die Schilderung des Goetheschen Weimars und des thüringer Umlandes natürlich auch einen beträchtlichen Teil des Charmes dieses Buches aus.

Fazit: kurzweilige Lektüre für alle, denen Schiller und Goethe im Deutschunterricht immer fremd geblieben sind und eventuell eine Chance, diese erstmalig kennenzulernen....vielleicht auch, um tatsächlich einmal selbst einen Blick in deren reichhaltige Hinterlassenschaft zu werfen....

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Freitag, 1. Februar 2008

Aschenbrödel bekommt etwas lädierten Prinzen - Charlotte Bronte: Jane Eyre

Es gilt vielen ja als eine Art "Kultklassiker" des Feminismus, andere (wohl eher Vertreter des männlichen Geschlechts) sehen in der biographischen Geschichte des Waisenkindes Jane Eyre eher eine "Schmonzette" allererster Güte. Aber beide haben meines Erachtens nach Unrecht. Jane Eyre ist ein ganz besonderer Roman, der mich schwer beeindruckt hat, und ich werden gleich ausführen, warum.

1847 ist das Buch von Charlotte Brontë erschienen, im selben Jahr übrigens, in dem ihre Schwester Emily ihre weltbekannte "Sturmhöhe" veröffentlichte. Um sich als Frau nicht den Vorurteilen der frühviktorianischen Kritiker und Rezensenten auszusetzen, veröffentlichte Charlotte ihr Werk zunächst unter dem unverfänglichen Pseudonym "Currer Bell". Die Brontë-Schwestern (Charlotte, Emily, Anne und es gab da auch noch mindestens einen Bruder -Branwell...) sind eine interessante literarische Erscheinung des 19. Jahrhunderts, die die Belletristik ihrer Zeit nachhaltig geprägt haben.

Aber kommen wir zuerst auf die Geschichte "Jane Eyres" zurück. Jane wächst als kleines Mädchen bei ihrer Tante, der Witwe Reed und deren drei Kindern auf. Auf dem Sterbebett nahm ihr der seelige Mr. Reed das Versprechen ab, das Kind seiner verstorbenen Schwester, das unter seiner Obhut stand, aufzunehmen und zu pflegen, als wäre es ihr eigenes Kind. Aber wie es meistens ist, natürlich wird das Waisenkind nicht mit der gleichen Liebe umsorgt, eher das Gegenteil ist der Fall. Die kleine Jane, gerade einmal 10 Jahre alt, ist allerhand Schikanen ausgesetzt, die darin gipfeln, dass ihre Tante beschließt, das Kind in das strenge Internat "Lowood" abzugeben, was für Jane aber eher eine Erleichterung zu versprechen scheint.

Noch glaubt sich Jane dem unerfreulichen Hause Reed entronnen, doch Mr. Bocklehurst, Geistlicher und Kurator Lowoods, brandmarkt Jane gleich am ersten Tag vor den Lehrerinnen und allen anderen Mitschülerinnen als Lügnerin. Bei ihren Mitschülerinnen allerdings verschafft die erniedrigende Strafmaßnahme für Jane sogar Pluspunkte. Die Mädchen müssen -- auf Bocklehursts Geheiss -- in Lowood mit altertümlicher und unzulänglicher Kleidung vorlieb nehmen. Schlechtes und knapp gehaltenes Essen und die Kälte rufen schließlich eine Typhus-Epidemie hervor und Herr Bocklehurst, dessen Frau und Tochter im strengen Gegensatz zu den Schülerinnen Lowoods in Prunk und Protz auftreten, muss als Kurator zurücktreten. Jane gewinnt eine liebenswerte und intelligente Freundin, die allerdings schon bald von der Schwindsucht dahingerafft wird. Schließlich findet sie in der Erzieherin Miss Temple ein Vorbild, das sie verehrt und dem sie nacheifern kann. So wird sie am Ende sogar selbst Lehrerin.

Als Miss Temple heiratet und die Schule verlässt, hält es auch Jane nicht mehr in Lowood und sie bewirbt sich auf eine Stellenanzeige als Gouverante in einem vornehmen Haushalt. "Thornfield" ist der Name des Herrenhauses, das einen neuen Abschnitt in Janes Leben einläutet. Dort soll sie sich um das Mündel des unverheirateten Mister Rochester kümmern, den sie zunächst erst einmal nicht zu Gesicht bekommt. Als er auf der Bildfläche erscheint, wird er als roh und mürrisch, von athletischer Statur und im eigentlichen Sinne alles andere als "schön" beschrieben. Aber es wäre ja auch ein Wunder, wenn es der klugen Jane nicht gelänge, auch den spröden Mister Rochester für sie einzunehmen. Als eine vornehme Gesellschaft für einige Zeit in Thornfield zu Gast ist, erlebt Jane, wie Mr. Rochester dem schönen Fräulein Ingram den Hof macht und jeder glaubt, dass sie es sein wird, die einmal die zukünftige Mrs. Rochester werden wird. Währenddessen gehen aber auch geheimnisvolle Dinge vor. Stimmen aus dem Obergeschoss, Mr. Rochesters Bett wird von einem Unbekannten in Brand gesetzt und Jane gelingt seine Rettung in letzter Sekunde. Ein alter Freund von Mr. Rochester wird von einer Person aus den oberen Stockwerken schwer verletzt. Eine verzwickte Situation, deren Aufklärung sich lange hinzieht, die aber nichts desto trotz in einem Eklat mündet, der Janes Leben wieder in eine völlig neue Richtung wirft.

Wieder beginnt sie ein neues Leben und wieder gelingt es ihr, eine neue Situation zu meistern. Aber diesen und den noch folgenden Teil der Geschichte darf ich an dieser Stelle nicht preisgeben, da ich sonst die Spannung völlig zunichte machen würde.

Was mich nachhaltig an Charlotte Brontës Roman begeistert hat, ist die Liebe zum Detail, mit der sie ihre Figuren zu gestalten weiß. Ausgefeilte Dialoge, emotionale Schilderungen von Situationen und Geschehnissen, eine ausgesuchte Sprache und die wunderbare Langsamkeit der viktorianischen Erzählkultur. Dabei weht auch ein gehöriges Stück von "Gothic Novel" durch die Seiten, auch wenn bis auf eine "Telepatie-Episode" (zugegebenermassen ist meine Benennung dieser Szene etwas weit hergeholt...) am Ende alles eigentlich mit "rechten" Dingen zugeht. Man fiebert in allen Umständen zusammen mit der unscheinbaren, explizit als "nicht hübsch" dargestellten, aber intelligenten Jane mit, die es immer wieder schafft, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Niemand soll über sie und ihr Leben bestimmen, wenn sie es nicht will, und das auch nur zu ihren Bedingungen. Hart....zugegeben....aber konsequent. Dazu kommen natürlich allerlei glückliche Fügungen und zum Ende gar ein 'viktorianisch' übliches Happy Ending. Aber obwohl Handlung und Figuren in einer uns allzu fernen Epoche spielen, erscheint uns Jane als "eine von uns". Sie ist emanzipiert (auch wenn es das Wort in diesem Zusammenhang zu dieser Zeit noch gar nicht gab) und das Buch kommt auch keineswegs moralisierend oder mit allzuviel and Gesellschaftskritik oder Zeitkolorit daher. Vielmehr ist es eine mehr oder minder zeitlos schöne Geschchte.

Fazit: Ein beeindruckendes Buch, für das man sich Zeit und Muse nehmen sollte. Speziell etwas für Leseratten und tatsächlich ein wahres Kontrastprogramm zu den "Sturmhöhen" der Schwester Emily. Lesen!!

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Sonntag, 27. Januar 2008

Schein oder Sein - Ian McEwan: Abbitte

Alles ist nur eine Frage des Standpunkts. Eine Frage des Blickwinkels und des sich daraus ergebenden Kontextes. So kommt es auch, dass das Schicksal zweier Menschen einen dramatisch anderen Verlauf nimmt, da vom Standpunkt eines Kindes aus gesehen, die zugegebenermassen unglückliche Verkettung der Umstände und Dinge 'auf 'falsche' Weise interpretiert wurden.

Briony Tallis ist der Name des Mädchens, das die Schuld an der ganzen 'Misere' trägt, die sich im Verlauf der Handlung von Ian McEwans Roman 'Abbitte' ergibt. Die Handlung spielt in den 30er Jahren der Vorkriegszeit in England. Wir erleben einen Sommertag auf dem Anwesen der Familie Tallis. Briony verzweifelt an den Vorbereitungen der Inszenierung eines selbstgeschriebenen Theaterstücks (ein kitschiges und naives Ritter-rettet-und-heiratet-schöne-Maid-Drama), das anlässlich des Besuchs ihres Bruders Leon von Briony, ihren beiden Cousins und ihrer Cousine Lola aufgeführt werden soll. Aber Briony hat sich zu viel vorgenommen. Lola und ihre beiden Brüder wurden bei der Familie Tallis untergebracht, da sich ihre Eltern gerade in der Trennungsphase befinden. Dementsprechend angespannt stellt sich das Nervenkostüm der Kinder dar und Briony muss schließlich ihre Pläne für den Abend aufgeben. Fau Tallis, Brionys Mutter, liegt mit Migräne im Bett und verfolgt die Vorgänge im Haus blind im Dunkeln und ausschließlich aus den Geräuschen heraus, die sie von ihrer Ruhestätte wahrnimmt. Brionys Vater, ein hoher Regierungsangestellter, verbringt seine Tage in London, vermutlich mit einer Geliebten.

Von ihrem Zimmer aus beobachtet Briony eine Szene am Brunnen im Garten zwischen ihrer älteren Schwester Cecilia und Robby, dem Sohn einer Hausangestellten. Cecilia möchte eine kostbare, ererbte Vase am Brunnen mit Wasser füllen, die im Laufe des Disputs mit Robby (der schon lange in Cecilia verliebt ist) zu Bruch geht. Cecilia lehnt Robbies weitere Hilfe entschieden ab, und entledigt sich zur Bergung der kostbaren Scherben ihrer Kleidung, um in nahezu durchsichtiger Unterwäsche in den Brunnen zu steigen und unterzutauchen. In Brionys überspannter Phantasie gibt es für das Gesehene zunächst keine Erklärung.

Auch Robbie, der zusammen mit den Tallis-Kindern Cecilia, Briony und Leon aufgewachsen ist, ist zum Abendessen im Hause Tallis eingeladen. Um sich zu entschuldigen will Robby einen Brief schreiben, den er Cecilia noch vor dem Abend zukommen lassen will. Aber er tippt auf seiner Schreibmaschine nicht nur einen Entschuldigungsbrief. Die erste Fassung vielmehr ist in kurzen, nahezu brutalen Worten Ausdruck seines Verlangens und seiner Begierde nach Cecilia. Natürlich verwirft er diesen Brief und tippt noch eine gesellschaftlich 'korrekte' Version. Aber mit der Verwechslung der beiden Briefe nimmt das Drama seinen Lauf.

Auf dem Weg vom Gärtnerhaus zum Herrschaftshaus trifft Robbie Briony und übergibt ihr den Brief an ihre Schwester. Aber Briony öffnet den Brief und ist von seinem Inhalt schockiert. Robbie erscheint ihr als 'gefährliches Monster', das gestoppt werden muss. Aber sie gibt den Brief ihrer Schwester. Anstelle sich schockiert abzuwenden, findet sich Cecilia in ihrer Liebe zu Robbie bestätigt...auch wenn dieser Mesalliance keine große Zukunft beschieden sein wird. Währenddessen beginnt das Abendessen. Zu Gast ist auch noch ein Freund Leons, ein steinreicher Schokoladenfabrikant. Aber da sind auch noch die Zwillinge und Lola. Aus Verzweiflung über die bevorstehende Trennung ihrer Eltern beschließen die Zwillinge fortzulaufen und die abendliche Gesellschaft bricht zu einer Suchaktion auf, in deren Verlauf es zur Katastrophe kommt. Lola wird vergewaltigt und Briony glaubt - auch wenn sie den Täter nicht wirklich erkennen kann, dass Robbie, das 'Monster', der Täter sein muss.

Robbie wird verhaftet, Cecilia bricht mit ihrer Familie, Robbie wird als einfacher Soldat in den Kriegsdienst verpflichtet. Und hier wirft uns der Autor direkt in das von den Deutschen eroberte Frankreich. Die englische Armee befindet sich im verzweifelten Rückzug nach Dünnkirchen und Robbie erlebt das Grauen des Krieges.Inzwischen ist auch Briony erwachsen geworden. Anstelle wie ihre Schwester zu studieren, verpflichtet sie sich als Krankenschwester.....um 'Abbitte' zu leisten. Auch sie hat erkannt, dass sie mit ihrer falschen Aussage damals ein großes Unglück heraufbeschworen hat.....

Natürlich werde ich hier nicht verraten, wie und ob sich der Knoten löst und wie die Geschichte enden wird. Ian McEwan ist auf alle Fälle ein bemerkenswerter Roman gelungen. Das besondere daran war für mich die Darstellung des Geschehenen aus vielen unterschiedlichen Perspektiven. Kleine Indizien bilden für alle Beteiligten einen Kontext, der das Gesehene in völlig unterschiedlichem Licht erscheinen lässt. McEwans Figuren sind fein und mit großer Sorgfalt gezeichnet. Seine Sprache ist anspruchsvoll und wunderschön zu lesen (vielen Dank an die Übersetzer!). Und die Geschichte zieht einen schon nach wenigen Seiten ganz in ihren Bann. Der Leser fiebert mit den Figuren mit, versucht das Geheimnis dieser einen Nacht zu ergründen aus den Wahrnehmungen und Eindrücken der Beteiligten und versucht zu verstehen. Nicht umsonst gewann die Verfilmung kürzlich einen Golden Globe und errang eine Oscar-Nominierung.

Fazit: Eine großartig erzählte Geschichte, aber Vorsicht! Wer einfache und leicht zu lesende Lektüre erwartet, der muss sich hier schon ein wenig anstrengen. Dafür wird man aber mit einem Leseerlebnis erster Güte belohnt. Ein Roman, wie ich ihn schon lange nicht mehr gelesen habe...

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Donnerstag, 24. Januar 2008

Kurze Kulturgeschichte des Lesens

Du bist, was Du liest. Zumindest möchte uns das die Verlagsindustrie glauben machen und heizt dazu die Leselust (wohl besser die Kauflust) ihrer Konsumenten an. Lesen ist heute natürlich "Lifestyle", d.h. die einen schmücken -- wie schon der Bildungsbürger früherer Jahrhunderte -- ihre Regale mit gewichtigen, aber oft ungelesenen Meisterwerken, die anderen stellen sich die aktuellen Bestseller ins Regal, um den Eindruck des intellektuellen, fortschrittlichen, kultivierten, hippen, zeitkritischen, emanzipierten oder einfach nur informierten Zeitgenossen zu erwecken.....und der damit verbundene Geschmack der 'Massen', der kann ja nicht so sehr daneben liegen.... Aber abgesehen davon, dass heute mehr Bücher gedruckt und verkauft werden, als je zuvor in der Menschheitsgeschichte, was wird denn tatsächlich noch gelesen....und wie lesen wir überhaupt?

Lesen heute orientiert sich -- und das weiss jeder aus eigener Erfahrung -- oftmals an anderen antrainierten Konsumgewohnheiten. Das Massenmedium Fernsehen mit seinen hunderten Kanälen wird heute anders konsumiert als zu der Zeit, als nur drei Kanäle zur Auswahl standen. Das 'Zappen' steht im Vordergrund und so haben wir auch das Lesen auf unzählige kleinste Happen aufgeteilt, die wir uns in öffentlichen Verkehrsmitteln, vor dem Zubettgehen oder in anderen spärlichen 'freien' Minuten zu Gemüte führen. Ein Buch 'am Stück' durchzulesen ist ein Luxus, den wir uns höchstens noch im Urlaub leisten können (außer, wir sind Lektor und werden dafür bezahlt). Aber das Lesen, wie wir es heute kennen, war nicht immer so, sonder hat sich im Laufe der Geschichte mehr und mehr gewandelt. Grund genug, heute einmal einen kurzen Blick auf die Kulturgeschichte des Lesens zu werfen....


Ganz anders als wir es heute gewohnt sind, leise und im Stillen für uns alleine zu lesen, liegen die Ursprünge unserer an sich bürgerlichen Lesekultur im rezitativen, lauten Vorlesen. So war es zumindest seit der Antike im hellenistischen Zeitalter um das 3./4. Jahrhundert v. Chr. üblich. Zuvor galten Schriften höchstwahrscheinlich ausschließlich als reine Gedächtnisstütze. Die griechischen und römische Autoren der Antike beschreiben uns anschaulich die damalige Praxis eines langsamen und lauten Vorlesens, das aber aller Wahrscheinlichkeit nach dem Lesen 'in Gesellschaft', d.h. zusammen mit anderen vorbehalten war.
So galt lange Zeit eine Anekdote aus den Bekenntnissen des hl. Augustinus als Beleg dafür, dass das individuelle, leise Lesen nicht als 'normal' galt. Augustinus berichtet, dass er seinen Mentor, den Bischof Ambrosius beim leisen Lesen ertappt hätte, "wobei dessen Augen über die Zeilen geglitten seien, die Stimme jedoch habe geschwiegen (vox autem et lingua quiescebant)". Er drückt sein Erstaunen darüber aus und sucht nach Erklärungen. Allerdings gilt es heute immer noch als umstritten, ob Augustinus sich über das leise Lesen an sich oder nur darüber wundert, dass Ambrosius in Gegenwart seiner Schüler leise liest, obwohl diese sich von ihm Anweisung und Leitung erhofften.

Erst ab dem Hochmittelalter tritt eindeutig die Wende hin zum stillen, individualisierten Lesen ein. Einige Autoren stellen zwischen diesem stillen Lesen und den in diese Zeit fallenden, ersten Universitätsgründungen einen Zusammenhang her. Nicht nur, dass man durch das stille Lesen andere Kommilitonen in ihrer Arbeit nicht mehr stört, wichtiger vielleicht war die Tatsache, dass man niemandem mehr preisgeben musste, was man las.

In die Zeit des Spätmittelalters fällt auch die Erfindung der ersten Lesebrillen.
Waren bis zu diesem Zeitpunkt ältere Zeitgenossen auf das Wohlwollen und Vorlesen durch die Jüngeren angewiesen, konnten sie sich jetzt mit der neuen Sehhilfe ausgestattet, wieder selbst an das Lesen der Schriftwerke machen. In der Regel wurden Bücher zu dieser Zeit in lateinischer Sprache geschrieben. In der jeweiligen Volkssprache geschriebene Bücher bildeten eine rare Ausnahme. Daher zählten zu den ersten eifrigen Lesern der Stand der Geistlichkeit, da diese sich des Lateinischen für die gesamte Kirchenliturgie bedienten. Erst ab dem 16. Jahrhundert konnte sich langsam das Publizieren landessprachlicher Werke durchsetzen.

Danach setzte sich das Lesen zuerst in den Städten durch. Kaufleute, Akademiker und Juristen sahen es als eines ihrer Privilegien an, das sie vor der 'tumben' Landbevölkerung auszeichnete. Allerdings las man nur wenige Bücher, diese aber dafür oft ein Leben lang immer wieder. Zum bevorzugten Lesestoff zählte dabei natürlich besonders die Bibellektüre neben anderen erbaulichen Werken, denen vor allen Dingen eine auf das eigene Leben anwendbare Moral abgewonnen werden sollte.

Erst im 18. Jahrhundert kann ein Trend weg von den religiösen Titeln hin zur Belletristik (von [franz.] les belles lettres) beobachtet werden. Der Lesegeschmack veränderte sich hin zu weltlicher Thematik und es kam zu ersten Fällen attestierter "Lesewut", ein Übergang von der vormals intensiven Lektüre hin zu extensivem Leseverhalten, das im Lesehabitus des Bildungsbürgertums im 19. Jahrhundert seinen Höhepunkt findet.

Doch die Monopolstellung des Buches beginnt zunehmend zu schwinden.
Neue Medien -- Fotografie und Phonograph -- erscheinen ab Mitte des 19. Jahrhunderts auf der Bildfläche, das Kino, Radio und insbesondere das Fernsehen schwächen zunehmend die Leselust. Die Vormacht des Papiers scheint fast vergessen, auch wenn heute mehr neue Bücher pro Jahr verlegt werden als jemals zuvor.

Weiterführende Literatur:

  • Hans-Joachim Griep: Geschichte des Lesens: von den Anfängen bis Gutenberg. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2005.

  • Alberto Manguel: Eine Geschichte des Lesens. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2000.

  • Peter Stein: Schriftkultur. Eine Geschichte des Schreibens und Lesens. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006./li>


Links:

Samstag, 19. Januar 2008

Zitierte Postmoderne - Marisha Pessl: Die alltägliche Physik des Unglücks

Eigentlich haben wir das alles doch schon mal irgendwo gelesen. Nein halt - das soll auf keinen Fall ein Verriss werden. Es geht vielmehr um die Tatsache, "dass jede Geschichte bereits schon mal erzählt" wurde und wenn wir eine neue Geschichte lesen, erkennen wir diese Versatzstücke wieder, aus denen der Autor schöpft, oder in denen wir eine andere Geschichte zu erkennen glauben, die wir schon gelesen haben und letztendlich erkennen wir vielleicht sogar uns selbst.

Marisha Pessls Erstlingswerk "Die alltägliche Physik des Unglücks" ist eine wahre Schatzgrube an Zitaten und Referenzen - und das keinesfalls auf versteckte Art und Weise. Nein, Marisha Pessl folgt vielmehr dem Muster wissenschaftlicher Arbeiten und zitiert und referenziert was das Zeug hält. Abbildungen (selbstgezeichnete) sind sauber durchnummeriert und im Text wird jeweils darauf Bezug genommen und bald jeder dritte Satz endet mit einer (geklammerten) bibliografischen Angabe. Das klingt nicht unbedingt nach Lesevergnügen, sondern vielmehr nach einem anstrengenden und ermüdenden, immerwährenden Vor- und Zurück. Aber halt (schon wieder!), das Buch von Marisha Pessl ist wirklich etwas Besonderes! ... und dazu ein Lesevergnügen aller erster Güte!!

Aber worum geht es eigentlich? Blue van Meer (natürlich erinnert mich bereits der Name an Jan Vermer, diesen barocken Ausnahmemaler, der mit seiner Exaktheit der Lichtführung, der Farben und der Details jedesmal Erstaunen hervorruft...schon wieder ein Zitat) Blue van Meer ist ein Teenager im letzten Highschool-Jahr. Ihre Mutter starb bei einem tragischen Unfall als Blue noch ein kleines Kind war. Seither zieht sie mit ihrem Vater - Universitätsprofessor und Herzensbrecher - von einer Gastprofessur zur nächsten quer durch die Vereinigten Staaten. Natürlich fragt man sich, warum dieses ständige Umherziehen denn wirklich nötig sei.....aber wir werden sehen. Gleich zu Beginn erfahren wir -- eigentlich ist der Roman ja als Rückblick angelegt -- vom Tod einer Freundin -- Hannah Schneider -- die sich (anscheinend) selbst erhängt hat. Warum es soweit kam -- eigentlich werden wir es nie "vollständig" erklären können, aber wir werden Zeuge der Ereignisse aus Blues Sicht. Alles beginnt wie immer. Stockton, North Carolina, der Einzug in ein neues Haus, der erste Tag in der neuen Schule, Blue ist wieder einmal "die Neue". Allerdings mit einer ganzen Menge Vorschusslorbeeren, schließlich war sie bislang immer Klassenbeste. Nicht ohne Grund, denn wer hat schon einen Professor für Politikwissenschaft zum Vater, der die meiste Zeit damit verbringt, mit seiner Tochter durchs Land zu fahren und mit ihr die Literaturlisten seiner Vorlesungen und die Arbeiten seiner Studenten zu besprechen. Schon am ersten Tag in Stockton begegnen die beiden Hannah in einem Supermarkt. Wie sich später herausstellt, unterrichtet Hannah Filmgeschichte (wieder Stoff für endlose Zitate) an Blues Schule. Hanna hat einen illustren kleinen Zirkel von Schülern um sich geschart, die "Bluebloods", in den sie Blue einführt. Eigentlich passiert erst einmal recht herzlich wenig und man hat schon das Gefühl, man wäre in einer etwas besseren Version von "Beverly Hills 90210" gelandet, immer mit der Tendenz hin zu einer Art "Der Fänger im Roggen" (jawohl....schon wieder bibliografische Referenzen).

Aber bald schon wird alles anders und es gibt den ersten Toten, der Kopfunter in einem Swimmingpool treibt (...kennt Ihr den Anfang von Billy Wilders "Boulevard der Dämmerung"?). Und ab jetzt wird alles mysteriös. Niemand ist eigentlich mehr ganz der, der er vorgibt zu sein. Jeder hat ein Geheimnis. Blues Freunde, Hannah....und natürlich auch Blues Vater. Alles gipfelt letztendlich in einem Camping-Ausflug der "Bluebloods" in einem Naturpark mit dem eingangs geschilderte Selbstmord Hannahs (oder war es etwa Mord...?!). Die Bluebloods machen schließlich Blue für den Tod Hannahs verantwortlich, aber gegen Ende gelingt es Blue, Irrungen und Wirrungen (zumindest teilweise) aufzulösen....und irgendwie passt dann auch alles wieder zueinander. Wie.....das sei an dieser Stelle natürlich nicht verraten.

Marisha Pessls Buch besticht durch seine sprachliche Qualität, die ihre deutsche Übersetzerin Adelheid Zöfel kongenial umzusetzen verstand. Statt einem Inhaltsverzeichnis der einzelnen Kapitel steht dem Buch eine Lektüreliste voran. Die einzelnen Kapitel des Buches sind mit den Büchern der Lektüreliste überschrieben. Ob man dabei die jeweiligen Bücher als Voraussetzung zum Verständnis der Kapitel betrachtet oder als interessante Ergänzung sei jedem Leser selbst überlassen. Zuminest besteht natürlich ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen Kapitelüberschrift, Kapitelinhalt und dem jeweiligen Buchinhalt, sodass die Lektüreliste auf alle Fälle Lust auf das Lesen der vielleicht noch unbekannten literarischen Werke macht. Um dem Stil treu zu bleiben endet das Buch mit einem "Examen", das in Form eines Tests die wichtigsten Teile des Inhalt zusammenfasst und den Leser (humorvoll) auf die Probe stellt. Allerdings übertreibt es Frau Pessl manchmal mit ihren Metaphern, die eher an eine Fleissarbeit eines Kurses in "kreativem Schreiben" erinnern.
Mit der gleichen Unschuld, mit der sich die Trojaner um das eigenartige hölzerne Pferd scharten, das vor den Toren der Stadt stand, um dieses Wunderwerk der Handwerkskunst zu bestaunen, fuhr Hannah am Freitag, dem 26. März, unseren gelben Mietwagen auf den ungepflegten Parkplatz des Sunset Views Encampment und parkte auf Nummer 52.

Wenn man sich erst einmal auf Marisha Pessls Stil eingelassen hat, möchte man das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Mir hat es auf alle Fälle einige spannende Tage in den Weihnachtsferien verschafft.

Fazit: Ein außergewöhnliches Buch, das den geneigten Leser voll in seinen Bann ziehen kann. Ein Zitatenfeuerwerk, das umso mehr gefällt, je mehr der zitierten Werke man tatsächlich kennt, und ein Werk, das Lust auf mehr macht und dem Leser auch gleich die entsprechende Lektüreliste (siehe Links) mitliefert. Lesen!

Links (Lektüreliste in Auswahl...):