Die menschliche Zivilisation, wie wir sie kennen, endete im 20. Jahrhundert mit einem verheerenden nuklearen Krieg. Die "Flammenflut" wütete über die Erde und die Überlebenden der Katastrophe wandten sich in ihrem Hass und ihrer Verzweiflung gegen alle Technologie und diejenigen, in denen sie die Helfer und Verantwortlichen dieser Technologie sahen -- und dazu zählten sogar alle diejenigen, die des Lesens und Schreibens mächtig waren. Ein Bilder- und Büchersturm -- die große "Vereinfachung" oder "Simplifikation" -- vernichtete auch noch die letzten Reste der Zivilisation und des technologischen Wissens der Menschheit. Übrig blieben nur noch die "Simpel" ... und ein kleiner albertinischer Mönchsorden, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Reste des menschlichen Wissens, Bücher und technische Papiere zu retten und für zukünftige Generationen zu bewahren.
Isaac Edward Leibowitz, ursprünglich ein jüdischer Ingenieur, konvertierte nach der "Flammenflut" zum Katholizismus und gründete den später nach ihm benannten "Orden des Leibowitz", dessen Aufgabe darin bestand, die noch übrig gebliebenen Bücher aufzuspüren, an einen sicheren Ort zu schmuggeln, sie auswendig zu lernen und durch Abschreiben vor dem Verfall und dem Vergessen zu bewahren. Auf dieser Grundlage erzählt Walter M. Millers Roman "Lobgesang auf Leibowitz" (Original: A Canticle for Leibowitz) in drei sich über mehr als 1000 Jahre erstreckenden Episoden die Geschichte des Ordens und der neu entstehenden Zivilisation.
Fiat Homo
Die erste Episode spielt etwa 600 Jahre nach der großen Vereinfachung. Bruder Gerard Francis, ein Novize des Ordens des (noch nicht) heiligen Leibowitz, fastet in der Wüste und trifft auf einen seltsamen alten Pilger, mit dessen Hilfe er einen verschütteten Bunker aus der Zeit der Katastrophe entdeckt. Darin finden sich originale Schriftstücke des Ordensgründers, dessen Kanonisierung bereits im Gange ist und die wir mit Bruder Francis miterleben dürfen.
Fiat Lux
Gut 1100 Jahre nach der Katastrophe treffen wir wieder auf den Orden des heiligen Leibowitz. Wie schon seit Jahrhunderten bewahren die Mönche immer noch Fragmente des von ihnen nicht oder nur halbverstandenen technologischen Wissens. Das dunkle Zeitalter geht zu Ende und eine neue Renaissance bricht an. Die Mönche machen erste zaghafte Versuche mit der Entdeckung der Elektrizität und die Stämme und Völkerschaften rund um das Kloster kämpfen um die Hegemonie auf dem amerikanischen Kontinent. Ein (weltlicher) Gelehrter kommt in das Kloster, um die "Memorabilien" des verschollenen Zeitalters zu sichten und ist sichtlich frustriert von der Aussicht eines bloßen "Wiederentdeckens". Wieder tritt ein (jüdischer) Eremit -- ein Freund des Abtes -- auf, wie der Pilger aus dem ersten Teil eine Anspielung auf die Figur des "ewigen Juden" Ahasverus, die auch im dritten Teil auftaucht.
"Die Mönche warteten. Es war für sie ohne jede Bedeutung, dass das Wissen, welches sie bewahrten, nutzlos war, dass jetzt das meiste davon nicht eigentlich Wissen genannt werden konnte und in gewissen Fällen den Mönchen genauso rätselhaft war, wie es einem unwissenden jungen Wilden hinter den Bergen sein musste. Dieses Wissen hatte seinen Inhalt verloren, weil sein materieller Gegenstand längst nicht mehr existierte..."
Fiat Voluntas tua
1700 Jahre nach der großen Vereinfachung hat die Welt wieder denselben (oder gar noch fortgeschritteneren) Zustand erreicht, den sie zuvor hatte. Der Orden des heiligen Leibowitz existiert noch immer. Seit über 50 Jahren herrscht schon ein kalter Krieg zwischen den Großmächten, der droht "heiß" zu werden. In der Dämmerung eines erneuten Atomkrieges schicken sich die Ordensbrüder an, das einst verlorene Wissen der Menschheit für die große Reise zu den Sternen zu sichern, wo sie ihre heilige Mission des Bewahrens geflissentlich fortsetzen werden...
Alleine schon die Idee, die mittelalterliche Klostertradition der Bewahrung des antiken Wissensschatzes, der Klosterbibliotheken und Skriptorien, in einer post-apokalyptischen Zeit fortzusetzen, hatte mich schon lange auf dieses 1960 erschienene Buch neugierig gemacht. Schade nur, dass auch die Neuauflage schon wieder seit einigen Jahren vergriffen ist, so dass man auf das Antiquariat oder die englische Originalausgabe angewiesen ist. Aber das Warten hat sich gelohnt. Walter N. Miller hat ein solides Stück Literatur geschaffen, das in der kurzlebigen Welt der Science Fiction noch lange seinen Platz behaupten wird. Seine Figuren sind von feiner Hand herausgearbeitet und haben ihre Ecken und Kanten, so dass sie nicht so leicht in eines der vielen Genre-eigenen Schemata hineinpassen. Die episodische Sicht auf diese Zivilisationsgeschichte verdankt ihren Ursprung der Tatsache, dass die einzelnen Episoden zunächst als Kurzgeschichten veröffentlicht worden waren und von Miller anschließend überarbeitet und in einem gemeinsamen Rahmen zusammengefasst wurden. Auch nach gut 50 Jahren hat das Buch nichts von seiner ständig spürbaren Beklommenheit verloren und beeindruckt nachhaltig, insbesondere die letzte Episode, in der sich eine geradezu körperlich spürbare Beklemmung breitmacht, wenn die ersten Opfer der radioaktiven Katastrophe und die Arbeit des regierungseigenen Euthanasiedienstes geschildert werden.
"Das Angesicht Luzifers erhob sich in pilzförmiger Hässlichkeit über der Wolkenbank, wuchs langsam in die Höhe wie ein Titan, der nach Jahren der Einkerkerung in den Tiefen der Erde nun auf die Füße klettert..."
Fazit: Ein Stück große Literatur, auch wenn das Genre nicht allen gefallen wird. Aber die Idee ist originell, die Thematik regt zum Nachdenken an und letztendlich blickt Miller auch ab und an mit einem lächelnden Auge auf seine Ordensbrüder. LESEN!
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