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Sonntag, 15. Mai 2011

Liebesleid und Standesschranken - Theodor Fontane 'Irrungen Wirrungen'

Ja, ich habe einmal wieder ganz tief in den Bücherschrank gegriffen und ein altes Buch hervorgeholt, von dem ich mir überhaupt nicht sicher war, dass ich es lesen sollte. Zugegeben, nach Fontanes 'Effie Briest', die mir tatsächlich gut gefallen hatte, war ich ob der Schaffensfülle dieses Autors doch etwas erschlagen. Außerdem sei ja Fontane, der übrigens approbierter Apotheker war, nach Aussage eines guten (nichtgenannten) Bekannten der wohl am meisten überschätzte Autor deutscher Sprache. Bevor aber nun die gesammelten Werke im Bücherschrank verrotten müssen oder schlussendlich bei ebay für einen Euro über den Tresen gehen, habe ich mir eines der dünneren Bändchen herausgesucht, um meine Meinung in dieser Hinsicht vervollständigen zukönnen....

So geht es also diesmal um Theodor Fontanes 'Irrungen und Wirrungen', erschienen 1888, eine Geschichte über die nichtstandesgemäße Liebe des Barons Botho von Rienacker zur kleinbürgerlichen Schneidermamsell Lene Nimptsch. Klingt kitschig, aber wir werden sehen...

Die Geschichte spielt in der Gründerzeit in Berlin in den 1870er Jahren. Lene lebt zusammen mit ihrer alten Pflegemutter in einem kleinen Häuschen bei einer Gärtnerei nahe dem Zoologischen Garten. Im Sommer hatte Sie bei einer Kahnpartie den Baron Botho von Rienäcker kennen und lieben gelernt. Doch anders als andere Romanheldinnen zu dieser Zeit ist sie realistisch genug einzusehen, dass der Standesunterschied alle romantischen Pläne zunichte machen wird, und das ganz im Gegensatz zum schwärmerischen und unreifen Botho.
"Jeder Stand hat seine Ehre" (Seite 27)
"Warum nicht? Man muss allem ehrlich ins Gesicht sehen und sich nichts weismachen lassen, und vor allem ich selber nichts weismachen."(Seite 41)
Bothos Familie aber hat andere Pläne mit ihm. Finanzielle Schwierigkeiten, so legt ihm sein Onkel nahe, lassen sich am besten lösen, wenn er endlich die reiche Cousine Käthe heiratet, die ihm ja eigentlich schon so gut wie versprochen wäre. So soll denn eine gemeinsame Landpartie zum letzten Höhepunkt in der Beziehung zwischen Lene und Botho werden, doch machen ihnen drei Regimentskameraden mit ihren Geliebten, die unangemeldet in die Zweisamkeit der beiden platzen, einen Strich durch die Rechnung. Der Standesunterschied wird nur allzu deutlich, so dass ein weiterer Umgang miteinander in der Öffentlichkeit ausgeschlossen scheint.
"Rienäcker, trotz seiner sechs Fuß, oder vielleicht auch gerade deshalb, ist schwach und bestimmbar und von einer seltenen Weichheit und Herzensgüte...Aber die Verhältnisse werden ihn zwingen und er wird sich lösen und freimachen, schlimmstenfalls wie der Fuchs aus dem Eisen." (Seite 62)
Botho resigniert und trennt sich von Lene. Aber Lene, die diese Entwicklung von Anfang an kommen sah, zeigt Verständnis für Botho und ergibt sich ihrem Schicksal. Botho heiratet die oberflächliche Cousine und alles verläuft wieder in konventionellen Bahnen. Lene, die ihren ehemaligen Geliebten beim Gang durch die Stadt sieht, beschließt diesem jetzt besser aus dem Weg zu gehen. Ihrer "Vorgeschichte" zum Trotze findet Lene doch noch einen ehrlichen Mann, den Laienprediger und Fabrikmeister Gideon Franke. Franke sucht Botho auf, um sich über Lenes Beziehung zu ihm Klarheit zu verschaffen. Daraufhin verbrennt Botho alle alten Briefe Lenes, erkennt aber, dass er seine romantischen Erinnerungen und Gefühle dadurch nicht los werden kann...
"Er wog das Päckchen in den Händen und sagte, während er den Faden ablöste: Viel Freud, viel Leid, Irrungen, Wirrungen. Das alte Lied." (Seite 197)
"Und was predigt dies Denkmal mir? Jedenfalls das eine, dass das Herkommen unser Tun bestimmt. Wer ihm gehorcht, kann zu Grunde gehen, aber er geht besser zu Grunde als der, der ihm widerspricht. (Seite 116)
Naja, wieder so eine Schmonzette aus dem 19. Jahrhundert mag man jetzt denken. Aber der Roman enthält für die damalige Zeit einiges an gesellschaftlichen Sprengstoff. Nicht notwendigerweise die damals als freizügig erachtete Liebesgeschichte, die die Standesdünkel in Frage stellt und ihnen widerspricht. Vielmehr ist es die moralisch überlegene Sichtweise des aus der sozialen Unterschicht stammenden Mädchens gegenüber dem standeshöheren Baron, die die Gemüter erregte. Dennoch wirkt die Geschichte heute etwas altbacken, da unsere Lebensrealität das Standesdenken der damaligen Zeit trotz aller heute noch bestehenden sozialen Gegensätze nicht mehr ganz nachvollziehen kann und die geschilderte Sozialromantik auf die Dauer etwas anstrengt. Was den kleinen Roman für mich aber doch wieder interessant gemacht hat, das war das Berliner Lokalkolorit, das dem Ortsansässigen von heute eine ganz andere Sichtweise auf die Stadt und ihre nähere Umgebung eröffnet.

Fazit: Nicht ganz zeitgemäße Liebesgeschichte, voll von Sozialkritik und Lokalkolorit. Interessant, aber sich nichts für jedermann.

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