Also die 'Frau des Zeitreisenden', der letzte Roman von Audrey Niffenegger, war wirklich ein Sahneschnittchen im grauen Meer der Bücherbrühe, die mir in den letzten Jahren so um die Ohren geschwappt ist (die Rezension dazu gabs hier im Biblionomicon: 'Lost in Time'). Da waren die Erwartungen natürlich ganz beträchtlich, als ich vom Nachfolgeroman hörte. Aber da ich ja weiß, dass allzu große Erwartungen meist gar sehr enttäuscht werden, schwand mir die eigentliche Lust, das Werk zu lesen. Als dann der Zufall - sprich Weihnachten - das Buch auf den Gabentisch meiner Liebsten spülte, wuchs auch in mir wieder die Neugier, doch einmal einen Blick in das Buch zu riskieren....
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Tja, wer einen großen Wurf vorlegt, hat es meist schwer, an den Erfolg anzuknüpfen, zumindest was die Qualität des Geschriebenen angeht, die ja nicht immer mit den erzielten Verkaufszahlen korrespondieren muss. Also wagte sich Audrey Niffenegger nach der verschwurbelten, kreuz und quer durch die Zeit erzählten, spannenden und liebevoll gestrickten Zeitreiseliebesgeschichte 'Die Frau des Zeitreisenden' in ihrem neuen Roman 'Die Zwillinge von Highgate' an ein neues Thema: Zwillinge(!).
Klingt jetzt nicht sonderlich spannend? Naja, es geht ja auch gleich um 2 Zwillinge. Nein, ich weiß, Zwillinge sind ja immer zu zweit. Es geht um zwei Zwillingspärchen: Elspeth und Edwina, sowie Edwinas Töchter Valentina und Julia. So. Und was erzählt man gerne, wenn es um Zwillinge geht? Geistergeschichten?!? Quatsch! Verwechslungsgeschichten á la Kästners 'Das doppelte Lottchen'. Naja....oder im vorliegenden Falle doch vielmehr beides. Aber alles erst einmal der Reihe nach.
Die Zwillinge Elspeth und Edwina leben seit vielen Jahren jeder ihr eigenes Leben, Elspeth in ihrer Heimat London und Edwina mit ihren beiden Töchtern Valentina und Julia in den USA, als Elspeth stirbt. In ihrem Testament vermacht Elspeth ihr am Londoner Highgate Friedhof (dort liegt übrigens auch Karl Marx begraben) gelegenes Haus samt bescheidenem Vermögen ihren beiden Nichten, den Zwillingen Valentina und Julia unter der Bedingung, dass die beiden für ein Jahr zusammen in Elspeths Wohnung leben müssen, die ihre Eltern (also Edwina) unter keinen Umständen während dieser Zeit betreten dürfen. So beginnt für das Zwillingspaar ein neues, aufregendes Leben in Übersee, d.h. in London, das so ganz anders ist als ihre gewohnte kulturelle Heimat in den USA.
Elspeth ist zwar tot, aber nicht ihr Geist, der an die engen Grenzen der eigenen, ehemaligen Wohnung gebunden versucht, sich mit dem 'neuen Leben' als gegenstandsloses Etwas zu arrangieren. Die Interaktionsmöglichkeiten mit der realen Welt gestalten sich für Elspeth als überaus schwierig, wenn nicht gar vollkommen unmöglich. Im Haus am Highgate Friedhof gibt es aber auch noch einige lebende Mitbewohner: Da ist an erster Stelle zunächst einmal Robert, Elspeths trauernder Lebensgefährte, der mit ihrem Tod nicht zurecht kommt und sich in sein Schneckenhaus zurückzieht. Dann das Pärchen Mareike und Martin. Mareike verlässt den hochgradig neurotischen Martin, der seit über einem Jahr keinen Fuß mehr über die Türschwelle der gemeinsame Wohnung nach draußen gesetzt hat und dessen Leben fast nur noch aus Zwangshandlungen und neurotischen Ticks besteht.
In diesen seltsamen Mikrokosmos geraten die beiden nicht minder seltsam anmutenden Schwestern Valentina und Julia, die ihre Tante zu Lebzeiten nie kennengelernt hatten. Dabei stoßen die beiden auf die Spur eines unerhörten Familiengeheimnisses, das verantwortlich dafür war, dass sich Elspeth und Edwina so plötzlich voneinander lossagen mussten.
Was mir an dem Roman gefallen hat, waren vor allen Dingen die reichlich kruden Charaktäre. 'Normal' ist hier eigentlich keiner. Elspeth ist ein Geist, der mit seinem aktuellen Zustand nicht wirklich zurecht kommt. Robert richtet sich vor Trauer fast zu Grunde und schlittert gleich ins nächste Wechselbad der Gefühle, als er sich in eine der Zwillingsschwestern verliebt. Martin scheitert an der 'normalen' Außenwelt und möchte seine Mareike zurück haben. Dabei kann er aber nicht -- was notwendig wäre -- über seinen eigenen Schatten springen. Und die beiden Zwillinge Valentina und Julia, die sind wirklich seltsam. Nichts können sie zunächst für sich alleine machen. Das komplette Leben erfolgt für sie stets im Doppelpack, auch wenn sich das Ganze zusehends problematischer gestaltet.
Diese Melange garniert Niffenegger mit einer skurilen Geisterliebesgeschichte und der Jagd nach einem Familiengeheimnis, das sich aber als irdischer erweist, als man zunächst meinen möchte. Alles in allem wird daraus ein athmosphärisch stimmiger, mit seiner Leichtigkeit bestechender Roman, der einem einen Besuch in London und insbesondere das Bummeln über alte Friedhöfe schmackhaft macht. Auch wenn das Buch gegen Ende hin zur Auflösung des Rätsels einige Schwächen zeigt, bleibt der Spaß am Lesen erhalten und man kann Frau Niffenegger bescheinigen, dass ihr ein hinreichend guter und nicht wirklich enttäuschender Nachfolger ihres großen Wurfs gelungen ist.
Fazit: Das 'doppelte Lottchen' meets 'Ghost', eine Zwillings-Geister-Liebesgeschichte mit skuril und liebevoll gezeichneten Charaktären, die durchaus lesenswert ist.
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