Der erste Band der 'Bibliothek von Babel' ist dem Spanier Pedro Antonio de Alarcón gewidmet, einem Autor des 19. Jahrhunderts, der den meisten von uns heute sicherlich völlig unbekannt sein dürfte. Er enthält die beiden Erzählungen 'Der Freund des Todes' (El amigo de la muerte) und 'Die große Frau' (La mujer alta), die seinem Buch 'Unwahrscheinliche Geschichten' (Narraciones inverosimiles) entnommen sind, und die der in Guadix in der Provinz Granada geborene Autor als Überlieferung aus dem Munde der ortsansässigen Ziegenhirten aufgeschnappt haben soll.
'Der Freund des Todes' erzählt vom Schneidersohn Gil Gil, dem das Leben übel mitspielt. Die Schönheit seiner Mutter blieb dem Grafen von Riónuevo nicht verborgen, der Gil als Pagen mit an seinen Hof nimmt, wo er sich in die schöne Elena, die Tochter des Herzogs von Monteclaro verliebt. Doch als der Graf stirbt, wird Gil von dessen Frau, die ihn nie ausstehen konnte, aus dem Haus geworfen. So verliert er binnen kurzem nicht nur seine Anstellung, sein Ansehen, sondern auch seine große Liebe. Als er vor lauter Verzweiflung schließlich beschließt, sich umzubringen, tritt im der leibhaftige Tod gegenüber und trägt ihm, dem Bedauernswerten seine Freundschaft an. Er bietet ihm ein glückliches Leben an, versehen mit der Gabe, als Wunderarzt stets erkennen zu können, ob ein Patient genesen oder sterben wird, wobei ihm der Tod höchstpersönlich jeweils die entscheidenden Hinweise geben würde. So beginnt ein erneuter Aufstieg Gils, der ihm seiner geliebten Elena schließlich wieder nahe bringen soll. Doch dieses Glück währt nur für allzu kurze Dauer....
"Du wirst nicht sterben, weil Du schon tot bist; aber Du wirst bis drei Uhr heute nachmittag schlafen und dann..." (Seite 120)Während die erste Geschichte des Bandes in der Mitte des 18. Jahrhunderts, also in ferner Vergangenheit spielt, ist die zweite Erzählung 'Die große Frau' zu Lebzeiten des Autors um 1860 angesiedelt. Darin erscheint der Tod in Gestalt einer großen, unheimlichen Frau, die dem Ingenieur Telesforo zunächst zufällig in den nächtlichen Straßen der Stadt begegnet und ihn buchstäblich fast 'zu Tode' erschreckt. Aber jede der darauf folgenden Begegnungen mit ihr kündigt das Ableben eines ihm nahestehenden und geliebten Menschen an. Am Ende wird die große Frau auch am Grab Telesforos stehen...
"Die große Frau begann zu lachen und zeigte mit ihrem Fächer auf mich, um mich zu demütigen, als ob sie meine Gedanken erraten hätte und den Leuten meine Feigheit preisgeben wollte..." (Seite 152)Die beiden phantastischen Geschichten personifizieren den Tod, verleihen ihm ein eigenes Gesicht und stellen ihn mitten unter uns ins Leben. Bei aller Kürze trifft Alarcón doch einen Nerv, der uns die geradelinig gezeichneten Gestalten plastisch vor Augen treten lässt und uns mit hinein reißt in den Strudel der schaurigen Geschehnisse.
Fazit: Zwei magische Geschichten eines hierzulande nahezu unbekannten Autors, die ich allen Freunden der phantastischen Literatur ans Herz kann.
Der Freund des Todes,
Die Bibliothek von Babel, Band 1,
übersetzt von Astrid Schmidt,
edition Büchergilde (2007)
152 Seiten
17,90 Euro