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Freitag, 15. April 2011

Kurze Geschichte des Buchdrucks (4): Der Buchdruck macht Geschichte

Würden sich die Auswirkungen von Gutenbergs Erfindung lediglich auf den philologischen und wissenschaftlichen Bereich erstrecken, würden wir heute wohl kaum von einer medientechnischen Revolution sprechen, die die Erfindung des Buchdrucks ausgelöst hat. Vielmehr war es die politische Instrumentalisierung des neuen Mediums, die nahezu verzugslos einsetzte, die zu einer die Geschichte umwälzenden, revolutionären Erneuerung und Veränderung führte.

Schon sehr früh wurde die gerade erst entwickelte Drucktechnik auch zum Zwecke politischer Propaganda eingesetzt. So erschien 1455 eine Flugschrift von sechs Seiten Umfang, der sogenannte Türkenkalender (”Eine Mahnung der Christenheit wider die Türcken“), in dem zu einem Kreuzzug gegen die Türken aufgerufen wurde, die kurz zuvor unter Sultan Mehmed II. im Jahre 1453 das vormals christliche Konstantinopel erobert hatten.

Ein besonders zahlungskräftiger Auftraggeber für auflagenstarke Kleinpublikationen war vor allem die katholische Kirche und die von ihr ausgegebenen Ablassbriefe. Durch den Verkauf dieser Schriftstücke versuchte die Kirche im 15. Jahrhundert ihre Finanzkasse aufzubessern, indem Sie gegen die Zahlung einer individuellen Gebühr den Ablass (die Vergebung) der begangenen Sünden versprach und mit dem offiziellen Ablassbrief besiegelte. Der Ablassbrief wurde dann bei der nächsten Beichte vorgelegt und erwirkte einen vollkommenen Erlass der auferlegten Sündenstrafen.
„Sobald der Gülden im Becken klingt im huy die Seel im Himmel springt.“ (Johann Tetzel, 1460-1519), Ablassprediger)

Diese aus dem heutigen Blickwinkel fragwürdige Praxis stellte einen der Hauptkritikpunkte der Reformatoren - allen voran Martin Luther (1483–1546) - dar. Der Ablassbrief selbst war ein vorgedrucktes Formular, lediglich der Name des Sünders sowie Datum und Unterschrift des Ablassverkäufers wurden nachträglich von Hand eingesetzt (irgendwie erinnert mich das Ganze an die heute noch existierenden Vordrucke zur Einkommensteuererklärung...). Damit war dieses Schriftstück geradezu ideal geeignet für eine massenhafte Vervielfältigung. Frühe Ablassbriefe erreichten Auflagen von mehreren Tausend bis hin zu über Hunderttausend.

"Man lehre die Christen, daß wer dem Armen gibt oder dem Bedürftigen leiht, besser handelt, als wer Ablaß löst." (Martin Luther, These 43)

Die Reformation gilt als eine der Hauptprofiteure an der Erfindung des Buchdrucks. Insbesondere die Verbreitung der in die Volkssprache übersetzten heiligen Schrift spielte dabei eine entscheidende Rolle. Die erste vollständige deutschsprachige Bibel erschien bereits 1466 und stammte aus der Werkstatt des Straßburger Druckers Johannes Mentelin . Allerdings handelte es sich bei dieser ersten deutschsprachig gedruckten Bibel um eine eng an der lateinischen Vorlage angelehnten Übersetzung, die eigentlich nur mit Hilfe profunder Kentnisse der lateinischen Grammatik verstanden werden konnte. Insgesamt erschienen vor Luthers Bibelübersetzung 18 deutschsprachige Bibelausgaben, die allerdings nur eingeschränkte Verbreitung fanden. Dies lag sowohl an dem recht hohen Preis der einzelnen Ausgaben, sowie an der für viele unverständlichen, sich eng an die lateinische Vorlage anschließenden Übersetzungsart ”verbum e verbo“ (wörtwörtlich).

Zudem erhob die Kirche den alleinigen Anspruch auf die rechte Auslegung der heiligen Schrift und sprach diese den Laien ab. Erst die mit Luthers schöpferischer Kraft geschaffene, seinen eigenen Worten zur Folge sinngemäßen Übersetzung ("Non verbum e verbo, sed sensum e sensu") und seiner Aufforderung an die Laien, selbst die Bibel zu lesen, um zwischen der in der Bibel offenbarten Wahrheit und dem Handeln der katholischen Kirche unterscheiden zu können, verhalfen seiner Bibelübersetzung zu ungeahnter Resonanz. Von 1522 an bis zu Luthers Tod 1546 wurden mehr als 300 Bibelausgaben in deutscher Sprache mit einer Gesamtauflage von über 500.000 Exemplaren gedruckt. Damit entfiel ein Großteil der gesamten Buchproduktion jener Zeit einzig und allein auf Luthers Bibel. Zudem wurden seine reformatorischen Thesen und Schriften in Buchform und auf zahllosen Flugblättern gedruckt, so dass sich seine Ideen in Windeseile verbreiten konnten. Luthers Flugschriften wurden zwar lediglich in einer damals üblichen Auflagenstärke von ca. 500 Exemplaren gedruckt, sie fanden aber dennoch weitaus größere Verbreitung, da einzelne Exemplare an alle Städte und Gemeinden verteilt wurden und dort durch öffentliche Vorleser allen Interessierten zugänglich gemacht wurden.

Natürlich erkannte man schnell die ungeheuere Macht des neuen Mediums. Die Idee der Zensur und des damit verbundenen Publikationsverbots führte bald zum "Index", der Liste der verbotenen Bücher, von der hier im Biblionomicon bereits die Rede war ("Eine kurze Geschichte der verbotenen Bücher - Index Librorum Prohibitorum", 15. Nov. 2010).

[Weiter geht es hier demnächst mit Teil 5: Von der Inkunabel zum Bestseller]


Bibliografische Links: