Dienstag, 13. September 2011

Kurze Geschichte des Buchdrucks (5): Von der Inkunabel zum Bestseller

Augustinus: De Civitate Dei (1470)
gedruckt von Johann v. Speyer 
Bereits einige Jahre vor Gutenbergs Tod 1468 führten seine Schüler Konrad Sweynheim und Arnold Pannartz den Buchdruck in Italien ein und innerhalb von 30 Jahren verbreitete sich die Drucktechnik rasch in ganz Europa. Druckereien, sogenannte "Offizine", entstanden in den wichtigsten europäischen Großstädten, in Rom, Venedig, London, Utrecht und Paris. So fügte der deutsche Drucker Johann von Speyer (†1470), der sich in Venedig als Drucker niedergelassen hatte, seiner Cicero-Ausgabe ”Epistolae ad Familiares“ von 1469 folgendes Kolophon an:
"Jeder Deutsche brachte einst aus Italien ein Buch nach Haus. Was sie mitnahmen zahlt heut ein Deutscher reichlich wieder aus. Nämlich Hans von Speyer, den an Künsten keiner übertrifft. Er bewies, wie man Bücher besser schreibt: mit eherner Schrift." 
Im 15. Jahrhundert gedruckte Bücher, also aus der Zeit, als sich der Buchdruck noch in den Kinderschuhen befand, werden als Inkunabeln (Wiegendrucke) bezeichnet. Dabei wurde das Jahr 1500 als Ende der Inkunabelzeit rein aus bibliografischen Gründen festgelegt. Schätzungen gehen davon aus, dass in dieser Zeit etwa zwischen 24.000 und 40.000 verschiedene Titel [1] mit Auflagen zwischen 100 und bis zu über 2.000 Exemplaren gedruckt wurden [2]. Von diesen sind heute weltweit noch annähernd 550.000 Bücher erhalten [3]. Durch den vorwiegenden Druck in lateinischer Sprache erschloss sich diesen Druckerzeugnissen ein europaweiter Markt, der nicht durch regionale Sprachgrenzen eingeschränkt wurde. Neben Flugblättern, Moritaten, kirchlichen und weltlichen Kalendern zählen politisch, aufrührerische Reden oder Theologica zum Inhalt der ersten Druckwerke.

Aelius Donatus: Ars minor (1497)
Aber welche Bücher wurden als erstes mit Hilfe der neuen Drucktechnik produziert?
Natürlich steht an erster Stelle die Bibel als das wichtigste Buch der damaligen Zeit sowie Grammatiken und Lehrbücher der lateinischen Sprache. Besonders die lateinische Grammatik ”Ars Minor“ des römischen Philologen Aelius Donatus (ca. 310–380 n. Chr.), das populärste Grammatiklehrwerk des Mittelalters, erlebte auch als Druckwerk enorme Verbreitung. Alleine zu Gutenbergs Lebzeiten sollen davon in Mainz 24 Auflagen gedruckt worden sein. Aufgrund des geringen Umfangs von nur 28 Seiten konnte die Lehrgrammatik sehr schnell gesetzt, gedruckt und zudem preiswert verkauft werden. Im 16. Jahrhundert schwand die Bedeutung der Donate. Die mit dem Buchdruck auflebende philologische Wissenschaft sowie die Rückbesinnung der Humanisten auf das klassische Latein Ciceros weckten den Bedarf an differenzierteren und umfangreicheren Grammatiken.

Aber auch die von den Humanisten der Renaissance wiederentdeckten lateinischen Klassiker, wie z.B. die ”Historia Naturalis“ von Plinius dem Älteren (ca. 23-79 n. Chr.) oder auch die Werke von Horaz oder Vergil. Neben Werken in lateinischer Sprache erscheinen auch erste Druckwerke in den jeweiligen ”Volkssprachen“. Weite Verbreitung fand z.B. der ”Ackermann aus Böhmen“ von Johannes von Tepl, geschrieben um 1400 und 1470 erstmals in Bamberg von Albrecht Pfister gedruckt und mit großformatigen Holzschnitten verziert. Dieses Streitgespräch zwischen einem sterbenden Bauern und dem unsterblichen Tod wurde zu einem der ersten Bestseller der Geschichte.
"Erlischt uns Menschen das Lebenslicht, Und scheidet dahin alles irdische Leben, Wie soll´s dann Tod noch und Sterben geben? Wohin, Herr Tod, sollt Ihr dann kommen?" (Johannes v. Tepl: Ackermann aus Böhmen)
Die mit dem Buchdruck einhergehende Verbreitung der Lesefertigkeit förderte das Entstehen neuer literarischer Gattungen, insbesondere der neuen literarischen Gattung des Prosaromans. So entstanden Reiseberichte, satirische Exempelerzählungen wie der ”Eulenspiegel“, Übersetzungen von Volkssagen und neue, unterhaltende oder auch belehrende Romane und Ratgeber.

Conrad Celtis’ Epitaph
Hans Burgkmair d. Ä. (1507)
Insbesondere die Geistesströmung des Renaissance-Humanismus verdankte dem Buchdruck weite Verbreitung und enormen Einfluss. So rühmte der deutsche Humanist Conrad Celtis (1459–1508) die Buchdruckerkunst, erst diese "habe einen Anschluss an die geistige Größe der Antike möglich werden lassen". Startete die Renaissance, die Rückbesinnung auf die Werte und Ideale der Antike im Italien des 14. Jahrhunderts und brachte zahlreiche Dichter, Wissenschaftler und Philosophen hervor, sah der aus Mainz stammende Celtis sich und seine Landsleute diesseits der Alpen als hoffnungslos rückständig und unfähig, diesen geistigen und kulturellen Vorsprung jemals aufzuholen. Die große Chance eines Anschlusses an die Führungsrolle der Kulturvölker bot die neue Erfindung des Buchdrucks, mit dem philologisch korrekte Editionen und Antologien der antiken Werke in großer Auflage und zu einem erschwinglichen Preis produziert werden konnten. So verbreiteten sich bereits während der Inkunabelzeit die Werke zahlreicher antiker Autoren. Cicero, Ovid, Terenz, Horaz und Vergil wurden in großer Stückzahl gedruckt. Aber auch Werke der Rechtssprechung, wie die ”Institutiones Iustiniani“, wissenschaftliche Werke und die medizinischen Werke des griechischen Arztes Galen (129-199) erlangen grosse Popularität und wurden zum Ausgangspunkt kultureller und wissenschaftlicher Entwicklung.

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Weitere Beiträge zur Mediengeschichte im Biblionomicon:
Literatur:
  • [1] Brandis, Thilo: Handschriften- und Buchproduktion im 15. und frühen 16. Jh. In: Ludger Grenzmann; Karl Stackmann (Hg.): Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der frühen Reformationszeit. Stuttgart, pp.176-193 (1984)
  • [2] Wehmer, Carl: Zur Beurteilung des Methodenstreits in der Inkunabelkunde. In: Gutenberg Jahrbuch 1933, pp. 250-324 (1933)
  • [3] Badische Landesbibliothek: Nachweis von Inkunabeln der Badischen Landesbibliothek
  • [4] Meinel, Ch., Sack, H.: Digitale Kommunikation  Vernetzen, Multimedia, Sicherheit, Springer Verlag, Heidelberg (2009).