Freitag, 28. September 2012

Mephisto als Gretchen - Jacques Cazotte 'Der verliebte Teufel'

Zugegeben, die Geschichte ist alt und stets die gleiche. Mal trifft es den unbedarften Spießbürger mal den hochgelehrten Wissenschaftler, die Spannbreite ist groß. Sei es aus Begierde, Ruhmsucht oder Neid, der Protagonist sieht keine andere Möglichkeit zur Verwirklichung seiner geheimsten Wünsche als einen Packt mit dem Teufel zu schmieden. Ziert er sich zu anfangs, tritt der Teufel als gekonnter Verführer auf. Und wir alle wissen, dass einem so ein Pakt mit dem Leibhaftigen meist teuer zu stehen kommt. So nimmt denn das Unheil seinen Lauf....

Anders bei Jacques Cazotte und seiner Novelle "Der verliebte Teufel", denn in seiner Geschichte vom Pakt mit dem Teufel gelingt es dem jungen Alvares den Teufel durch einen Trick gefügsam zu machen. Als Kind seiner Zeit im Schatten der Aufklärung ist Alvares' Wissbegierde übergroß. Das Übersinnliche zieht ihn an und er sucht sich einen Lehrer, der ihn in der Kunst der Geisterbeschwörung unterrichten soll. In seinem Eifer aber beschwört Alvares gegen den Rat des Lehrers als erstes gleich den Teufel herauf und verlangt von ihm totale Unterwürfigkeit. Dieser lässt sich tatsächlich darauf ein und verwandelt sich in das atemberaubend schöne Mädchen Biondetta - hier haben wir wieder das Verführungsmotiv - aber entgegen allen vermutbaren Umständen ist es dann doch der Teufel, der sich in den jungen Alvares verliebt. So gerät der Verführer zur Verführten. Obwohl Biondetta, die Alvares als Page in seinen Dienst nimmt, versucht, den jungen Helden nach allen Regeln der Kunst zu betören, bemerkt dieser - wie die meisten Männer - erst einmal nichts. Irgendwann aber ist es dann auch um Alvares geschehen, doch hat er sich in den Kopf gesetzt, er müsse vor einer Vermählung mit der Schönen erst noch die Zustimmung seiner streng gläubigen Mutter einholen und jetzt beginnt der Teufel in Gestalt von Biondetta seine wahren Fähigkeiten auszuspielen...
»Wir leben mit den Geistern unserer Vorfahren; die unsichtbare Welt lebt und webt um uns.« (Jacques Cazotte)
Geboren im Jahr 1719 trat Jacques Cazotte als Schüler in das Jesuitenkolleg seiner Heimatstadt Dijon ein und begann danach eine Laufbahn in der französischen Marineverwaltung. Als Schiffszahlmeister wurde er 1747 nach  Martinique versetzt, wo er zu Wohlstand gelangte. Dort startete er auch seine ersten literarischen Versuche und nach seiner Rückkehr 1757 quittierte er den Dienst und zog sich als freier Schriftsteller ins Privatleben zurück. Als Privatmann und Gesellschafter stand er am Ende seines Lebens den Martinisten nahe, einer mystische theosophischen Bewegung, die den Freimaurern nahestand. Seit 1775 bekannte er sich zum Gedankengut der Illuminaten und rühmte sich prophetischer Gaben. So brach er auch mit seinem ursprünglichen katholischen Glauben und wandte sich dem Okkultismus zu. Diese Verbindung jedoch sollte ihm zum Verhängnis werden. Am 10. August 1792 als Anhänger der monarchistisch eingestellten Martinisten verhaftet, wurde Cazotte nach nur kurzem Prozess zum Tode verurteilt und am 25. September 1792 auf der Guillotine hingerichtet.

Mit dem verliebten Teufel, den Jacques Cazotte 1772 erstmals veröffentlichte und vier Jahre später in gründlicher Überarbeitung in seine Sammlung „Scherzhafte und moralische Werke“ integrierte, begründete Cazotte ein neues literarisches Genre, das im Französischen als Fantastique bezeichnet wird und Elemente aus Science Fiction, Horror und Fantasy vorwegnahm bzw. in sich vereint. Phantastische, ja surreale Ereignisse dringen in die reale Welt ein und es bleibt dem Leser überlassen, ob er diese für bare Münze nimmt oder ob sich alles nur in der Einbildung des Erzählers ereignet. Was die vorliegende Geschichte aber auch aus unseren heutigen Augen gut 250 Jahre nach ihrem Erscheinen reizvoll macht, ist ihr Plot, in der die Rollen von Verführer und Verführten elegant wechseln. Ähnlich wie im Faust geht es hier um die Verantwortung des Einzelnen für sein Handeln. Allerdings macht es sich Cazotte am Ende doch noch einfacher als Goethe, wenn er Alvaro sein Heil in der Religion finden lässt, während Faust sich durchaus erst noch die vielzitierte  'Gretchenfrage' stellen lassen muss:
„Nun sag, wie hast du's mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.“ (Johann Wolfgang v. Goethe, aus Faust)
Ganz egal, wie schlecht der Mensch auch sein mag, ein wenig Reue und schon steht ihm der Weg zur Glückseligkeit inklusive der Pforte ins himmlische Paradies offen und der Teufel hat das Nachsehen.

Fazit: Klassiker des Genres, der einer altbekannten Geschichte eine neue Wendung abgewinnt, auch heute nach über 200 Jahren noch überaus lesenswert!

Jacques Cazotte
Der verliebte Teufel
Edition Büchergilde (2007)
120 Seiten
17,90 €