Freitag, 29. April 2011

Liebe, Tod und Zwillinge - Audrey Niffenegger 'Die Zwillinge von Highgate'

Also die 'Frau des Zeitreisenden', der letzte Roman von Audrey Niffenegger, war wirklich ein Sahneschnittchen im grauen Meer der Bücherbrühe, die mir in den letzten Jahren so um die Ohren geschwappt ist (die Rezension dazu gabs hier im Biblionomicon: 'Lost in Time'). Da waren die Erwartungen natürlich ganz beträchtlich, als ich vom Nachfolgeroman hörte. Aber da ich ja weiß, dass allzu große Erwartungen meist gar sehr enttäuscht werden, schwand mir die eigentliche Lust, das Werk zu lesen. Als dann der Zufall - sprich Weihnachten - das Buch auf den Gabentisch meiner Liebsten spülte, wuchs auch in mir wieder die Neugier, doch einmal einen Blick in das Buch zu riskieren....

Tja, wer einen großen Wurf vorlegt, hat es meist schwer, an den Erfolg anzuknüpfen, zumindest was die Qualität des Geschriebenen angeht, die ja nicht immer mit den erzielten Verkaufszahlen korrespondieren muss. Also wagte sich Audrey Niffenegger nach der verschwurbelten, kreuz und quer durch die Zeit erzählten, spannenden und liebevoll gestrickten Zeitreiseliebesgeschichte 'Die Frau des Zeitreisenden' in ihrem neuen Roman 'Die Zwillinge von Highgate' an ein neues Thema: Zwillinge(!).

Klingt jetzt nicht sonderlich spannend? Naja, es geht ja auch gleich um 2 Zwillinge. Nein, ich weiß, Zwillinge sind ja immer zu zweit. Es geht um zwei Zwillingspärchen: Elspeth und Edwina, sowie Edwinas Töchter Valentina und Julia. So. Und was erzählt man gerne, wenn es um Zwillinge geht? Geistergeschichten?!? Quatsch! Verwechslungsgeschichten á la Kästners 'Das doppelte Lottchen'. Naja....oder im vorliegenden Falle doch vielmehr beides. Aber alles erst einmal der Reihe nach.

Die Zwillinge Elspeth und Edwina leben seit vielen Jahren jeder ihr eigenes Leben, Elspeth in ihrer Heimat London und Edwina mit ihren beiden Töchtern Valentina und Julia in den USA, als Elspeth stirbt. In ihrem Testament vermacht Elspeth ihr am Londoner Highgate Friedhof (dort liegt übrigens auch Karl Marx begraben) gelegenes Haus samt bescheidenem Vermögen ihren beiden Nichten, den Zwillingen Valentina und Julia unter der Bedingung, dass die beiden für ein Jahr zusammen in Elspeths Wohnung leben müssen, die ihre Eltern (also Edwina) unter keinen Umständen während dieser Zeit betreten dürfen. So beginnt für das Zwillingspaar ein neues, aufregendes Leben in Übersee, d.h. in London, das so ganz anders ist als ihre gewohnte kulturelle Heimat in den USA.

Elspeth ist zwar tot, aber nicht ihr Geist, der an die engen Grenzen der eigenen, ehemaligen Wohnung gebunden versucht, sich mit dem 'neuen Leben' als gegenstandsloses Etwas zu arrangieren. Die Interaktionsmöglichkeiten mit der realen Welt gestalten sich für Elspeth als überaus schwierig, wenn nicht gar vollkommen unmöglich. Im Haus am Highgate Friedhof gibt es aber auch noch einige lebende Mitbewohner: Da ist an erster Stelle zunächst einmal Robert, Elspeths trauernder Lebensgefährte, der mit ihrem Tod nicht zurecht kommt und sich in sein Schneckenhaus zurückzieht. Dann das Pärchen Mareike und Martin. Mareike verlässt den hochgradig neurotischen Martin, der seit über einem Jahr keinen Fuß mehr über die Türschwelle der gemeinsame Wohnung nach draußen gesetzt hat und dessen Leben fast nur noch aus Zwangshandlungen und neurotischen Ticks besteht.

In diesen seltsamen Mikrokosmos geraten die beiden nicht minder seltsam anmutenden Schwestern Valentina und Julia, die ihre Tante zu Lebzeiten nie kennengelernt hatten. Dabei stoßen die beiden auf die Spur eines unerhörten Familiengeheimnisses, das verantwortlich dafür war, dass sich Elspeth und Edwina so plötzlich voneinander lossagen mussten.

Was mir an dem Roman gefallen hat, waren vor allen Dingen die reichlich kruden Charaktäre. 'Normal' ist hier eigentlich keiner. Elspeth ist ein Geist, der mit seinem aktuellen Zustand nicht wirklich zurecht kommt. Robert richtet sich vor Trauer fast zu Grunde und schlittert gleich ins nächste Wechselbad der Gefühle, als er sich in eine der Zwillingsschwestern verliebt. Martin scheitert an der 'normalen' Außenwelt und möchte seine Mareike zurück haben. Dabei kann er aber nicht -- was notwendig wäre -- über seinen eigenen Schatten springen. Und die beiden Zwillinge Valentina und Julia, die sind wirklich seltsam. Nichts können sie zunächst für sich alleine machen. Das komplette Leben erfolgt für sie stets im Doppelpack, auch wenn sich das Ganze zusehends problematischer gestaltet.

Diese Melange garniert Niffenegger mit einer skurilen Geisterliebesgeschichte und der Jagd nach einem Familiengeheimnis, das sich aber als irdischer erweist, als man zunächst meinen möchte. Alles in allem wird daraus ein athmosphärisch stimmiger, mit seiner Leichtigkeit bestechender Roman, der einem einen Besuch in London und insbesondere das Bummeln über alte Friedhöfe schmackhaft macht. Auch wenn das Buch gegen Ende hin zur Auflösung des Rätsels einige Schwächen zeigt, bleibt der Spaß am Lesen erhalten und man kann Frau Niffenegger bescheinigen, dass ihr ein hinreichend guter und nicht wirklich enttäuschender Nachfolger ihres großen Wurfs gelungen ist.

Fazit: Das 'doppelte Lottchen' meets 'Ghost', eine Zwillings-Geister-Liebesgeschichte mit skuril und liebevoll gezeichneten Charaktären, die durchaus lesenswert ist.


Links:





Freitag, 15. April 2011

Kurze Geschichte des Buchdrucks (4): Der Buchdruck macht Geschichte

Würden sich die Auswirkungen von Gutenbergs Erfindung lediglich auf den philologischen und wissenschaftlichen Bereich erstrecken, würden wir heute wohl kaum von einer medientechnischen Revolution sprechen, die die Erfindung des Buchdrucks ausgelöst hat. Vielmehr war es die politische Instrumentalisierung des neuen Mediums, die nahezu verzugslos einsetzte, die zu einer die Geschichte umwälzenden, revolutionären Erneuerung und Veränderung führte.

Schon sehr früh wurde die gerade erst entwickelte Drucktechnik auch zum Zwecke politischer Propaganda eingesetzt. So erschien 1455 eine Flugschrift von sechs Seiten Umfang, der sogenannte Türkenkalender (”Eine Mahnung der Christenheit wider die Türcken“), in dem zu einem Kreuzzug gegen die Türken aufgerufen wurde, die kurz zuvor unter Sultan Mehmed II. im Jahre 1453 das vormals christliche Konstantinopel erobert hatten.

Ein besonders zahlungskräftiger Auftraggeber für auflagenstarke Kleinpublikationen war vor allem die katholische Kirche und die von ihr ausgegebenen Ablassbriefe. Durch den Verkauf dieser Schriftstücke versuchte die Kirche im 15. Jahrhundert ihre Finanzkasse aufzubessern, indem Sie gegen die Zahlung einer individuellen Gebühr den Ablass (die Vergebung) der begangenen Sünden versprach und mit dem offiziellen Ablassbrief besiegelte. Der Ablassbrief wurde dann bei der nächsten Beichte vorgelegt und erwirkte einen vollkommenen Erlass der auferlegten Sündenstrafen.
„Sobald der Gülden im Becken klingt im huy die Seel im Himmel springt.“ (Johann Tetzel, 1460-1519), Ablassprediger)

Diese aus dem heutigen Blickwinkel fragwürdige Praxis stellte einen der Hauptkritikpunkte der Reformatoren - allen voran Martin Luther (1483–1546) - dar. Der Ablassbrief selbst war ein vorgedrucktes Formular, lediglich der Name des Sünders sowie Datum und Unterschrift des Ablassverkäufers wurden nachträglich von Hand eingesetzt (irgendwie erinnert mich das Ganze an die heute noch existierenden Vordrucke zur Einkommensteuererklärung...). Damit war dieses Schriftstück geradezu ideal geeignet für eine massenhafte Vervielfältigung. Frühe Ablassbriefe erreichten Auflagen von mehreren Tausend bis hin zu über Hunderttausend.

"Man lehre die Christen, daß wer dem Armen gibt oder dem Bedürftigen leiht, besser handelt, als wer Ablaß löst." (Martin Luther, These 43)

Die Reformation gilt als eine der Hauptprofiteure an der Erfindung des Buchdrucks. Insbesondere die Verbreitung der in die Volkssprache übersetzten heiligen Schrift spielte dabei eine entscheidende Rolle. Die erste vollständige deutschsprachige Bibel erschien bereits 1466 und stammte aus der Werkstatt des Straßburger Druckers Johannes Mentelin . Allerdings handelte es sich bei dieser ersten deutschsprachig gedruckten Bibel um eine eng an der lateinischen Vorlage angelehnten Übersetzung, die eigentlich nur mit Hilfe profunder Kentnisse der lateinischen Grammatik verstanden werden konnte. Insgesamt erschienen vor Luthers Bibelübersetzung 18 deutschsprachige Bibelausgaben, die allerdings nur eingeschränkte Verbreitung fanden. Dies lag sowohl an dem recht hohen Preis der einzelnen Ausgaben, sowie an der für viele unverständlichen, sich eng an die lateinische Vorlage anschließenden Übersetzungsart ”verbum e verbo“ (wörtwörtlich).

Zudem erhob die Kirche den alleinigen Anspruch auf die rechte Auslegung der heiligen Schrift und sprach diese den Laien ab. Erst die mit Luthers schöpferischer Kraft geschaffene, seinen eigenen Worten zur Folge sinngemäßen Übersetzung ("Non verbum e verbo, sed sensum e sensu") und seiner Aufforderung an die Laien, selbst die Bibel zu lesen, um zwischen der in der Bibel offenbarten Wahrheit und dem Handeln der katholischen Kirche unterscheiden zu können, verhalfen seiner Bibelübersetzung zu ungeahnter Resonanz. Von 1522 an bis zu Luthers Tod 1546 wurden mehr als 300 Bibelausgaben in deutscher Sprache mit einer Gesamtauflage von über 500.000 Exemplaren gedruckt. Damit entfiel ein Großteil der gesamten Buchproduktion jener Zeit einzig und allein auf Luthers Bibel. Zudem wurden seine reformatorischen Thesen und Schriften in Buchform und auf zahllosen Flugblättern gedruckt, so dass sich seine Ideen in Windeseile verbreiten konnten. Luthers Flugschriften wurden zwar lediglich in einer damals üblichen Auflagenstärke von ca. 500 Exemplaren gedruckt, sie fanden aber dennoch weitaus größere Verbreitung, da einzelne Exemplare an alle Städte und Gemeinden verteilt wurden und dort durch öffentliche Vorleser allen Interessierten zugänglich gemacht wurden.

Natürlich erkannte man schnell die ungeheuere Macht des neuen Mediums. Die Idee der Zensur und des damit verbundenen Publikationsverbots führte bald zum "Index", der Liste der verbotenen Bücher, von der hier im Biblionomicon bereits die Rede war ("Eine kurze Geschichte der verbotenen Bücher - Index Librorum Prohibitorum", 15. Nov. 2010).

[Weiter geht es hier demnächst mit Teil 5: Von der Inkunabel zum Bestseller]


Bibliografische Links:

Sonntag, 3. April 2011

Das Malen scheint genauer betrachtet weniger spannend als man allgemein meinen möchte - Elizabeth Kostova "Schwanendiebe"

Was habe ich mich gefreut, als ich den neuen Roman von Elizabeth Kostova schon vor einiger Zeit im Regal entdeckt hatte. Nach dem wirklich großartig gelungenen und atemberaubend spannenden 'Historiker' (hier im Biblionomicon besprochen "Wie Umberto Eco Unsterblichen bei der Berufswahl unter die Arme greifen würde...") nun ein weiterer Roman, der sogleich große Erwartungen weckte: "Die Schwanendiebe", eine Geschichte über....naja, anscheinend über Maler...

Soweit, so gut. Malen ist ja nicht für jedermann ein wirklich spannendes Thema. Und spannend möchte der Roman "Die Schwanendiebe" aber eigentlich auch gar nicht sein, und wenn doch...naja, dann hat Frau Kostova es leider nicht ganz geschafft, diese Spannung über die fast 700 Seiten der Geschichte wirklich zu halten. Spannung geht anders...und ich weiß, was spannend ist. Aber zuerst einmal zum Inhalt: Der Psychiater Andrew Marlow (erster Hinweis darauf, dass es sich bei diesem Namen eventuell um eine Anspielung auf den berühmten Namensvetter handeln soll, mit der ev. sogar schon Spannung aufgebaut wird) ist ein verkappter Maler, d.h. eigentlich ist er ein ganz hervorragender Psychologe, aber die Malerei hat es ihm angetan und für einen Dilettanten malt er recht passabel. Ein Kollege bittet ihn darum, den Fall des hochbegabten Malers Robert Oliver zu übernehmen, der in der National Art Gallery in Washington mit einem Messer auf ein Bild losgehen wollte, aber noch rechtzeitig dabei durch das beherzte Eingreifen des Wachdienstes gestoppt werden konnte. Aber der Patient ist alles andere als kommunikativ und zeichnet in der Psychiatrie wie besessen immer wieder nur das Bild einer einzigen unbekannten Frau. Aufgrund der Besonderheit des Falls und Marlows Vorliebe für die Malerei, beschließt er, anders als für seine übrigen Patienten dataillierte Nachforschungen über das Leben Robert Olivers anzustellen, um hinter sein Geheimnis zu kommen.
"Es kommt mir so vor", sagte mein Vater und betupfte sich die Lippen mit seiner blauen Papierserviette, "als wären all die Bilder, die er malt, Teil seiner Buße. Vielleicht entschuldigt er sich bei ihr?" (Seite 388)
Ein zweiter Erzählstrang spielt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dreht sich um die nahezu unbekannte Malerin Beatrice de Clerval und ihren um viele Jahre älteren Onkel und Mentor Olivier Vignot, deren kurze Schaffensperiode genau an der Grenze zur Entstehung der neuen Bewegung des Impressionismus liegt und diese in ihrem Werk bereits vorwegnimmt. Robert Oliver ist im Besitz von Beatrices privaten Briefen und so werden ihrer beiden Geschichten fortlaufend immer enger miteinander verwoben. Marlow versucht Robert Olivers Geheimnis mit Hilfe der Exfrau Kate und der ehemaligen Geliebten Mary zu lüften und Stück für Stück - aber oft leider viel zu träge - setzt sich das Puzzle vor den Augen des Lesers wieder zusammen.
"Olivier tut alles mit Anmut. Er ist ein Mann, der seinen Körper seit langem kennt und es gewohnt ist, die Dinge auf seine eigene, ruhige Weise zu erledigen. Sie sieht ihm zu und begreift in einem plötzlichem Taumel, wenn sie ihm nicht irgendwie Einhalt gebietet, wird sie sich am Ende nackt in seinen Armen wiederfinden, hier in dieser Stadt. Das ist ein erschreckender Gedanke, aber jetzt, da sie ihn einmal gedacht hat, lässt er sich nicht wieder wegschieben. Sie wird die Kraft für dieses Wort finden müssen: Non...." (Seite 472)
Dabei erfährt man überbordend viel über den allgemeinen Betrieb des Kunststudiums an mittelgroßen US-amerikanischen Colleges, den Impressionismus an und für sich sowie den Symbolismus seiner Motive in der Kunst, die Position der (verheirateten) Frau in der von Männern geprägten Welt des ausgehenden 19. Jahrhunderts, über extrem reiche (und uninteressante) Kunstsammler und den Schwan in der Malerei. Klingt interessant? Hätte es auf alle Fälle auch werden können, wenn Elizabeth Kostova vielleicht etwas straffer zur Sache gekommen wäre und sich nicht immer wieder in völligen Nebensächlichkeiten verfangen hätte - und ich meine hier nicht die mitunter interessanten historische Details, sondern z.B. die immer wieder in stetiger Wiederholung wiederkehrenden psychischen Probleme des Malers Robert Oliver und wie er diese durch exzessive Malerei kompensiert. Keine Frage, der Roman ist gut durchkonstruiert und die zwei Erzählstränge sind gekonnt miteinander verwoben. Aber die aufgebaute Spannung gleitet Kostova immer wieder aus den Händen und geht komplett verloren. Das Ende kommt dann nach zähem Ringen sehr, sehr plötzlich und der Patient wird - oh Wunder - nach zwei Sätzen des Psychiaters als 'geheilt' entlassen. Ich bin ja ein sehr geduldiger Leser, aber wenn ich etwas nicht nicht mag, dann sind es Ungereimtheiten, die beim Lesen wie ein bitterer Geschmack auf der Zunge zurückbleiben, so dass ich dieses Buch wirklich nur bedingt und wenn, dann wenn möglich nur an 'Hobbymaler', weiterempfehlen kann.

Fazit: Große Erwartungen über die Gebühr ausgereizt und breit getreten. Wie sagt schon Goethe: 'Getretner Quark wird breit, nicht stark'. Nur bedingt weiterzuempfehlen....

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