Es geht um Giuseppe Tomasi, Fürst von Lampedusa, Herzog von Palma und Palermo, Baron von Montechiaro, und seinen einzigen, 1958 posthum erschienenen Roman 'Il Gattopardo' ('Der Leopard' bzw. in der neuen Übersetzung 'Der Gattopardo'). Darin verfolgt Lampedusa die Geschichte des alten sizilianischen Fürstengeschlechts der 'Salinas' von 1860 bis 1910. In diese Zeit fällt das italienische 'Risorgimento', die Vereinigung Italiens zur konstitutionellen Monarchie unter König Vittorio Emanuele II.
Wir starten im Jahre 1860 in Sizilien. Der Roman erzählt in 8 Kapiteln szenenweise Ausschnitte aus dem Leben der Familie Don Fabrizios, dem Fürst und Herzog von Salina. Liegen zwischen den ersten Kapiteln jeweils nur wenige Monate, führen uns die letzten beiden Kapitel in die Jahre 1883 (dem Tod Don Fabrizios) und 1910. Don Fabrizio mit seinen gut 50 Jahren ist ein ungemein beeindruckender Mann, der den Leopard (Gattopardo) in seinem Wappen führt und dessen Familie schon seit Urzeiten zum Hochadel Siziliens zählt. Doch die Zeiten ändern sich.
"Ich gehöre einer unglücklichen Generation an, die zwischen der alten und der neuen Zeit steht und sich in beiden unbehaglich fühlt..."Die Landung des Revolutionärs und Freiheitshelden Garibaldi in Sizilien steht bevor und mit ihm kommt der gesellschaftliche und soziale Wandel, dem der unaufhaltsamen Aufstieg des Bürgertums folgt.
"Wenn wir wollen, das alles bleibt wie es ist, dann ist es nötig, daß alles sich verändert."Wir werden Zeuge des Alltags der Fürstenfamilie, so erzählt das erste Kapitel den Ablauf der 24 Stunden zwischen dem alltäglichen rituellen Rosenkranzgebet der Familie. Die einzelnen Kapitel erzählen jeweils kurze Episoden -- jede nur eine Momentaufnahme -- an denen sich die schleichende Veränderung manifestiert.
Don Fabrizio ist Patrizier vom 'alten Schlag', der letzte 'richtige' Salina. Seine vordergründige gewaltige Erscheinung wird kontrastiert durch seine Vorliebe für Astronomie und Mathematik - er hat sogar eine Medaille für die Entdeckung eines Kometen erhalten. Das Zusammenleben mit seiner Frau Stella ist nach 20-jähriger Ehe zur lieblosen Routine erstarrt, seine romantischen Gefühle hebt sich Don Fabrizio für abendliche Bordellbesuche auf. Von seinen Söhnen ist er enttäuscht, von seinen Töchtern mehr oder weniger ebenso. Einzig Tancredi, sein Neffe, der Sohn seiner mittellos verstorbenen Schwester, weiss sich seine Gunst zu bewahren. Die Familie bricht auf in das Sommerdomizil der Salinas nach Donnafugata. Dort verliebt sich Tancredi unmitelbar in die wunderschöne Angelica, Tochter des neurreichen Provinzbürgermeisters Don Calogero. Concetta, die Tochter Don Fabrizios, die sich Hoffnungen auf Tancredi gemacht hatte, ist schwer enttäuscht, doch der Fürst unterstützt - notgedrungen - Tancredis Freierswünsche. Für Tancredis altes, aber mittelloses altadeliges Erbe, ist diese aussichtsreiche Mitgift in Verbindung mit der unwiderstehlich hübschen Angelica -- der eigentlich nur ein entsprechender Adelstitel zum Glück fehlt -- einfach die perfekte Verbindung.
Die Liebesgeschichte zwischen Tancredi und Angelica bildet das eigentliche Zentrum des Romans und überhäuft den Leser mit einer Unzahl sinnlicher Eindrücke, die das junge Paar auf seinen endlosen Streifzügen durch die zahllosen, unbenutzten und üblicherweise verschlossenen Zimmer der Sommerresidenz erlebt. Allerdings liegt in diesem Liebesreigen auch ein gehöriges Maß an Berechnung.
"Diese besten Tage im Leben Tancredis und Angelicas ... waren die Vorbereitung auf ihre Ehe, die auch im Erotischen mißlang."
In einem kurzen Kapitel erleben wir Pater Pirrone, den Hausgeistlichen Jesuiten der Familie Salina, auf einer Stippvisite bei seiner eigenen Familie auf dem Land. Auch dort wird schließlich eine Ehe gestiftet, die den Frieden zwischen verfeindeten Zweigen seiner Familie um ein ungerechtes Erbgeschäft wieder herstellen soll -- eine Allegorie auf das Leben der altadeligen Salinas und dem neureichen Bürgertum. Wir erleben in einem weiteren Kapitel den Ball, in dem Tancredis Verlobte der Gesellschaft vorgestellt werden soll und dessen sinnlicher Höhepunkt ein Walzertanz des 'alten Leoparden' Don Fabrizio mit seiner Schwiegertochter Angelica sein wird.
"Für eine ganz kurze Zeit wurde in jener Nacht der Tod in seinen Augen wieder "etwas für die anderen"..
1883 stirbt Don Fabrizio auf der Rückkehr von einer Reise nach Neapel in einem einfachen Hotel im Beisein seiner Familie an Herzversagen. Dieses Kapitel aus Sicht Don Fabrizios beschrieben gehört mit zu den eindringlichsten Schilderungen des ganzen Buches. Der große Fürst zieht ein letztes Resumé und versucht sich an die Dinge zu klammern, die tatsächlich von Bedeutung sind, und erkennt all die Widersprüche, in die ihn sein Leben verwickelte, bis er nicht mehr ist.
1910 treffen wir noch einmal auf Don Fabrizios Töchter -- alle drei unverheiratet und frömmelnde alte Jungfern -- und die mittlerweile verwitwete Angelica. Noch einmal, nach über 50 Jahren, bricht die alte Wunde Concettas auf, die ursprünglich ja in Tancredi verliebt gewesen war, und wird ihr das Leben noch einmal zur bitteren Qual machen....
Der Inhalt des Romans mag sich ja banal geschildert anhören, aber die lückenhafte Montage der einzelnen Kapitel, von denen jedes einzelne eine unglaubliche erzählerische Dichte und Intensität erreicht, angefüllt von zahlreichen kleinen Dingen mit ihrer eigenen Geschichte in der Geschichte, machen das Buch zu einem beeindruckenden Erlebnis, das man nicht so schnell vergessen wird. Ich habe dieses Buch jetzt nach über 10 Jahren gelesen, seit es bei mir in der alten Bertelsmannausgabe von 1959 (siehe Foto) im Regal steht. Auch hatte ich schon mehrmals versucht, die grandiose Verfilmung Luchino Viscontis im Fernsehen anzuschauen -- aber das Fernsehen ist einfach nicht das richtige Medium für einen mitunter langsamen, langatmigen Visconti-Film. Viel zu leicht gerät man in die Versuchung, das Programm zu wechseln. Daher waren auch meine Bemühungen hinsichtlich des 1963 in Cannes mit einer Goldenen Palme ausgezeichneten Films mit Burt Lancaster als Don Fabrizio, Alain Delon als Tancredi und Claudia Cardinale als Angelica, bislang noch nicht von Erfolg gekrönt. Aber nach der Lektüre dieses Buches hege ich doch die Hoffnung, den Film das nächste Mal vom Anfang bis zum Ende 'durchzustehen'. Ich bin sicher, es lohnt sich!
Ein Wort noch zum Titel und zur Übersetzung des Buches. Ich habe die alte - gekürzte Version gelesen, die noch unter dem Titel 'Der Leopard' firmierte. Der Originaltitel 'Il Gattopardo' bezeichnet aber mitnichten die große Raubkatze, sondern deren kleineren Vetter, den Ozelot, bzw. die Parderkatze oder Serval. Der Autor Tomasi, dessen eigenes Familienwappen tatsächlich einen Leoparden, der auf seinen Hinterfüßen steht, zeigt, macht mit diesem Kunstgriff deutlich, dass es sich bei dem vorliegenden Roman vielmehr um eine 'Parodie', eine gezielte Verharmlosung seiner eigenen Familiengeschichte handelt. Tomasi verbrachte einen Großteil der faschistischen Ära Italiens unterwegs auf Auslandsreisen. Erst in den 50er Jahren entdeckte er sein schriftstellerisches Talent und vollendet seinen großen Roman 1954 nach nur wenigen Monaten Arbeitszeit als eine Art 'Vergangenheitsbewältigung'. Übrigens fand Tomasi Zeit seines Lebens -- er starb 1957 -- keinen Verleger für sein Werk. Erst nach seinem Tod wurde der Roman 1958 veröffentlicht und direkt zu einem Welterfolg.
Fazit:: Ein Meisterwerk! Ich weiss aber nicht, ob ich vor 10 oder 15 Jahren bereits genausoviel Vergnügen aus der Lektüre dieses Buches hätte ziehen können. Es gehört wohl doch schon etwas 'Lebenserfahrung' dazu. Auf alle Fälle eines der besten Bücher, die ich seit langer Zeit gelesen habe!!
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