Also bislang hatte ich noch nichts von australischen Autoren gelesen. Die Gründe dafür...? Naja, mir scheint einfach noch nicht allzu viel Australisches in die Hände gefallen zu sein. Ich werde mich auch davor hüten, meine Erfahrungen mit dem australischen Autor Steve Toltz jetzt unzulässigerweise zu verallgemeinern und daraus ein allgemeines Bild über die australische Literatur abzuleiten. Tatsächlich würde ich ihr gerne "trotz" Steve Toltz noch einmal eine Chance geben wollen. Aber ich möchte mein Urteil über sein Buch "Vatermord und andere Familienvergnügen" nicht schon vorweg nehmen. Tatsächlich war ich bei der Lektüre über lange Strecken recht zwiegespalten, ob es mich amüsieren sollte oder ob es mir einfach nur auf die Nerven geht...
Aber alles der Reihe nach. Das Buch erzählt eine ungewöhnliche Familiengeschichte: die Geschichte von Jasper Dean, seinem Vater Martin und dessen Bruder Terry. Martin ist ein seltsamer Typ, ein depressiver Philosoph, ein Misanthrop, der geborene Verlierer, dem nichts so recht in seinem Leben gelingen will. Die ersten Jahre seines Lebens verbringt er erst einmal im Koma. Sein erster großer Versuch die Welt und damit das Leben seiner Mitbewohner in der kleinen australischen Stadt zu verbessern, ist zum Scheitern verurteilt. Heimlich installiert er am Rathaus eine anonyme "Vorschlagsbox", aber die braven Bürger nutzen diese nicht nur um gute Ideen unterzubringen, die anschließend zur Abstimmung in einer öffentlichen Versammlung verlesen werden, sondern sie denunzieren und hetzen gegen ihre lieben Mitmenschen. Martins Vorschlagbox wächst sich letztendlich zur Wurzel allen Übels heraus, die am Ende sogar für den Untergang des Städtchens in einem Buschfeuer verantwortlich zeichnet.
Im Gegensatz zu Martin ist sein jüngerer Bruder Terry zunächst einmal die Sportskanone in der Familie. Allerdings führt eine Verletzung - ein Messerstich ins Bein - dazu, dass er auf die schiefe Bahn gerät, zum Berufsverbrecher wird und letztendlich zum meistgesuchten Mann Australiens. Seiner Popularität tut dies keinen Abbruch. Im Gegenteil, er wird zu einem Volkshelden, da er Attentate auf Spitzensportler verübt, die gedopt haben oder sich haben kaufen lassen, da dies seinem Verständnis von sportlicher Fairness und Fair Play widerspricht. Ironie des Schicksals: Terrys Vater hatte sich in der kleinen Stadt einst für den Bau eines neuen Gefängnisses engagiert, in das Terry am Ende eingeliefert wird, so dass der Vater seinen Sohn von der Terrasse aus mit dem Fernglas beim täglichen Freigang beobachten kann.
Zwischen diesen beiden Charakteren steht jetzt Jasper Dean. Sein Vater Martin taugt nicht recht zum Vorbild, aber sein Onkel Terry als Krimineller erst recht nicht. Und wenn man glaubt, die Story wäre jetzt schon ein wenig abstrus, so geht es nun erst richtig zur Sache in immer haarsträubenderen Unfällen, Verbrechen und anderen Katastrophen. Und dabei kommt wirklich alles zusammen. Aber ich werde diesen folgenden Teil der Familiengeschichte nicht vorwegnehmen, falls sich der ein oder andere Leser jetzt zur Lektüre ermuntert fühlen sollte.
Steve Toltz versucht sich an einer humoristischen Erzählung, die bisweilen aber hart an der Kalauergrenze des "guten Geschmacks" rangiert. Der Leser staunt über die unglaublich konstruierten Zusammenhänge. Zwar werden die großen - und mitunter unaussprechbar schrecklichen - Ereignisse des 20. Jahrhunderts in Toltz's Plauderton gestreift, aber stets müssen diese im Nachsatz zur Pointe geraten. Ich stimme der FAZ in ihrer Rezension zu, dass dies manchmal kaum zu ertragen ist. Wie so oft frage ich mich einmal wieder, was den Verlag wohl zur Wahl des Titels bewogen haben mag. Im Original heißt Toltz' Werk "A Fraction of the Whole" ("Ein Teil des Ganzen"). Aber, und das muss man diesmal zugestehen, wird der deutsche Titel dem Inhalt tatsächlich gerecht - auch wenn dies gewiss kein Lob sein soll. Hätte sich Toltz auf gut die Hälfte der in Anspruch genommenen 800 Seiten beschränkt, würde mein Urteil sicherlich milder ausfallen. So aber hege ich eine gewisse Angst, was uns der Autor wohl in Zukunft noch zumuten möchte.
Fazit: Kurios schräge australische Familiensaga. Grenzwertig, nur für den ausdauernden Leser, der hart im Nehmen ist. Weniger ist manchmal mehr...