Sonntag, 24. März 2013

Der Doktor und das Mädchen - Alissa Walser 'Am Anfang war die Nacht Musik'

20. Januar 1777. An diesem Wintermorgen geht der bekannteste Arzt der Stadt, verfolgt von seinem Hund, die Treppe vom Schlaftrakt zu seinen Praxisräumen hinab. Die honigbraunen Stufen erlauben bequeme Schritte und den Hundepfoten einen mühelos rhythmischen Trab. In diesem Haus gibt es keine schmalen Stiegen. Wie früher im Haus seiner Eltern. (Seite 9)

So beginnt Alissa Walsers Roman 'Am Anfang war die Nacht Musik' um den innovativen österreichischen Arzt Franz Anton Mesmer, Begründer der Lehre des animalischen Magnetismus, dessen Lehren und Methoden oft als Scharlatanerie abgetan wurden, dessen Einsichten aber auch die Theorie des Unbewussten in der Psychoanalyse vorwegnahmen und beeinflussten. Es hätte Franz Anton Mesmers großer Durchbruch werden können, der Fall der berühmten blinden Pianistin Maria Theresia Paradis, und er hätte seine neuen Methoden auch bei der Kaiserin Maria Theresia bekannt machen sollen, aber es kam ganz anders. Sein Scheitern im Fall der "Jungfer Paradis" wird im Mai 1778 für Mesmers Gegner aus dem akademischen Establishment trotz der anfänglichen Erfolge zum letztgültigen Beweis der Scharlatanerie seiner Methoden. Letztendlich liegt es aber auch an Mesmer selbst und seinem Unvermögen, seine Theorien und Heilmethoden in der akademischen Sprache der Vernunft zur allgemeinen Diskussion zu stellen.

1734 am Bodensee als Sohn eines Försters geboren, glaubte Franz Anton Mesmer an den Einfluss der Planeten auf Krankheiten und hielt mit seiner Theorie vom animalischen Magnetismus die breite Öffentlichkeit von Wien bis Paris in Atem. Im Zentrum seiner Lehre steht das von ihm als solches bezeichnete Fluidum, das alle lebendigen Körper durchströmt und am besten mit dem Qi des Taoismus verglichen werden kann. Krankheiten beruhten laut Mesmer auf der ungleichen Verteilung dieses Stoffes, angelehnt an die Säftelehre Hippokrates' und Galens. Ziel einer Mesmerschen Therapie war es demnach, die körperliche Harmonie wiederherzustellen. Dies erfolgte dergestalt, dass der Arzt mit den Patienten in eine Art Verbindung trat und durch „Magnetisierung“ versuchte, heilsame Krisen hervorzurufen. Aber zunächst einmal zurück zum Roman.

Am 20. Januar 1777 lernt Franz Anton Mesmer seine neue Patientin, die achtzehnjährige Tochter des K.u.K. Hofsekretärs von Paradis, kennen. Das blinde Mädchen ist eine bekannte Pianistin, die mit ihrem Können Kaiserin Maria Theresia höchstpersönlich beeindruckte und von ihr eine großzgige Apanage erhält. Die Jungfer Paradis war aber nicht immer schon blind. Vielmehr, so findet Mesmer heraus, erblindete das damals dreijährige Kind plötzlich über Nacht in Folge eines schockierenden Ereignisses. Alle Versuche der Ärzte waren bislang vergeblich und die Familie hofft auf den Wunderazt Mesmer, der seinerseits ebenfalls überzeugt ist, die Kranke mit Hilfe seines Magnetismus zu heilen und nimmt diese gegen den Widerstand ihrer Eltern in sein Haus-Spital auf. Tatsächlich zeigt Mesmers behutsames Vorgehen erste Erfolge und die junge Patientin scheint ihr Sehvermögen wiederzugewinnen - allerdings um den Preis, dass ihr Klavierspiel darunter leidet. Die Nachricht von der Blinden, die wieder sehen kann, verbreitet sich in Windeseile durch ganz Europa und Mesmer kann sich vor neuen Patienten kaum retten. Doch seine Gegner sind schnell dabei, von Betrug zu sprechen und gleichzeitig mehren sich die Gerüchte, der Arzt stehe mit seiner Patientin in einem unziemlichen Verhältnis. Als seine Tochter einen Rückfall erleidet verlangt Hofsekretär von Paradis deren Herausgabe und fordert Mesmer auf, mit seinen Betrügereien Schluss zu machen. Seiner Tochter redet er ein, die Wiedererlangung ihrer Sehkraft sei nichts als bloße Einbildung gewesen. In Misskredit gebracht beschließt Mesmer, Wien den Rücken zu kehren und gelangt über einen Abstecher in seine alte Heimat am Bodensee schließlich nach Paris, wo er auf die (nun wieder) blinde Pianistin treffen wird, deren Ruhm bis zum französischen König vorgedrungen ist.

In ihrem kurzen Roman schildert Alissa Walser die Ereignisse rund um den Fall der jungen Maria Theresia von Paradis, allerdings ohne auf Mesmers Theorien näher einzugehen. Die Erzählperspektive wechselt öfters und der Abstand zwischen Leser und Geschehen wird durch die großzügige Verwendung der indirekten Rede verstärkt. In diesem Punkt erinnerte mich der sprachliche Ausdruck an Daniel Kehlmanns 'Vermessung der Welt' ohne allerdings dessen allgegenwärtiges Augenzwinkern [1]. Dadurch nimmt sich in meinen Augen der Roman ein klein wenig zu ernst. Walser möchte die Modernität von Mesmers Methoden und dessen Fokussierung auf die Psyche des Patienten als grundlegenden Mitverursacher vieler Krankheiten in den Mittelpunkt der Geschichte stellen. Zwar spricht die FAZ in ihrer Rezension von einer "Virtuosität der Sprache und ihre Überschreitung, etwa durch genialische Neologismen", doch kann ich diese Begeisterung nur schwer teilen [2]. Im Gegenteil wirkt die Sprache oft zu sehr gekünstelt und man fragt sich, ob das jetzt wirklich nötig war. Insgesamt ist die Geschichte interessant und spannend erzählt, was aber auch ihren kurzen 200 Seiten geschuldet ist. Über längere Strecken jedoch könnte ich Alissa Walsers Erzählkraft auf diese Weise nicht ertragen und so ist man mehr oder minder froh, wenn man nach gelungener Lektüre wieder ohne weiter geschraubte Ausdrücke frei durchatmen kann.

Fazit: Historisch interessante und widersprüchliche Gestalt des Wunderarztes Mesmer und seines bekanntesten Falls in einer sprachlich opulenten Umsetzung, die leider nicht jedermanns Geschmack treffen wird.


Alissa Walser
Am Anfang war die Nacht Musik
Piper
256 Seiten
19,90 Euro





Referenzen:
[1] Sandra Kegel: Der Doktor und das blinde Kind, FAZ, 11.01.2010
[2] Ein Roadtrip der besonderen Art: Daniel Kehlmann 'Die Vermessung der Welt', 3.08.2011

Sonntag, 10. März 2013

Man trifft sich immer zweimal im Leben - Leo Perutz 'Der schwedische Reiter'

Ich hatte ja schon im vergangenen Jahr von Leo Perutz geschwärmt, als ich dessen endlos ineinander verwobene Prager Geschichtensammlung 'Nachts unter der steinernen Brücke' rezensierte. Eine Nachbarin, die ich mit meiner Begeisterung angesteckt hatte, hat sich mittlerweile sein gesamtes Werk beschafft und sogar in Gänze durchgelesen. Daher war ich sehr dankbar, dass ich auf ihr Vorwissen zurückgreifen konnte, bei der Auswahl, welches seiner Bücher wohl das nächste werden sollte, dass ich lesen und hier im Biblionomicon besprechen würde. Am Ende kam mir noch der Zufall zu Hilfe, der mir den 'schwedischen Reiter' in einer schönen DBG-Ausgabe (Deutsche Buch Gemeinschaft) aus den 1950er Jahren in die Hände spielte und das ist dabei herausgekommen...

Wie kann es sein, dass ein Mensch sich an zwei Orten zugleich aufhält? So pocht der schwedische Edelmann Christian von Tornefeld zur gleichen Zeit an das Schlafzimmerfenster seiner kleinen Tochter und spricht mit ihr, während er hunderte von Meilen entfernt auf dem Schlachtfeld Karls des XII. im Nordischen Krieg (1700-1721) kämpft, auf dem er schließlich fällt.
Maria Christine, geborene von Tornefeld und verwitwete von Rantzau, in zweiter Ehe vermählt mit dem königlich dänischen Staatsrat und außerordentlichen Gesandten Reinhold Michael von Blohme, eine in ihren jungen Jahren vielumworbene Schönheit, hat um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, als Fünfzigjährige, ihre Erinnerungen niedergeschrieben. (Seite 9)
Eben diese Maria Christine, deren Erinnerungen uns Leo Perutz präsentiert, ist niemand anderes, als die Tochter des schwedischen Reiters, dessen Geschichte hier erzählt werden soll. Tatsächlich aber ist es die Geschichte zweier Männer, die das Schicksal zusammenführt und die ihre Identität vertauschen. Im Jahre des Herren 1701, die Nachwirkungen des verheerenden Dreissigjährigen Krieges sind noch allerorten spürbar, treffen sie beide durch einen Zufall aufeinander. Der eine ein Landstreicher und Tagedieb, halb verhungert, zerlumpt, pragmatisch und stets auf seinen eigenen Vorteil bedacht, und der andere ein vom rechten Wege abgekommener aristokratischer Deserteur, feige, mutterseelenallein, lebensmüde und vogelfrei. Beide sind verzweifelt und auf der Flucht, und gelangen gemeinsam an eine Mühle, deren dunklen Flügel sich gleich dem Schicksalsrad im Wind drehen. Vom Müller heißt es, er habe sich erhängt, und der Untote arbeite nun zur Strafe für den Bischof als Fuhrmann, um für Nachschub für die Knochenmühle im Erzbergwerk des Bischoffs zu sorgen. Der adelige Deserteur von Tornefeld schickt den Dieb zum nahe gelegenen Landgut seines Vetters und Taufpaten von Krechwitz, der ihm Geld und Kleider mitgeben soll und händigt dem Dieb zu seiner Legitimation einen silbernen Wappenring aus.

Allerdings ist der Gutsbesitzer bereits verstorben und das Gesinde hat das Landgut schon fast in den Ruin gewirtschaftet, da es an fachmännischer Aufsicht mangelt. Nur noch die Tochter, ein siebzehnjähriges Mädchen namens Maria Agneta von Krechwitz, bewirtschaftet das Gut mehr schlecht als recht und lässt sich von den dort einquartierten Dragonern des "Malefizbarons" Hauptmann Hans-Georg Lilgenau ausnutzen. Als der Dieb auf sie trifft, ist es für ihn Liebe auf den ersten Blick. Zurückgekehrt zur Mühle berichtet er von Tornefeld, dass sein Pate tot sei. Seine Cousine, so belügt er ihn, erinnere sich kaum seiner und hätte es ausgeschlagen, dem Tunichtgut von Tornefeld weiter zu helfen. So kommt es zum verzweifelten Tausch ihrer Identitäten. Von Tornefeld übergibt dem Dieb seinen Glücksbringer, die von seinem Urgroßvater geerbte Bibel des Schwedenkönigs Gustav Adolf und lässt sich vom untoten Müller zu den Minen des Bischofs verpflichten, um dort auf der Flucht vor den Dragonern unterzutauchen. Ein Abschied ohne Wiedersehen, so hat es den Anschein.

Doch der Dieb nimmt einen anderen Weg und wird zum Anführer einer Räuberbande, die mit großem Erfolg Kirchenbesitz plündernd durch die Lande Pommern, Polen, Brandenburg und Schlesien zieht. Nach einem guten Jahr beschließt der Dieb sein Räuberhandwerk aufzugeben, besteht gegen den Widerstand seiner Gesellen auf der Aufteilung der Beute und macht sich auf den Weg zum Landgut von Krechwitz. Als er dort in eine schwedische Offiziersuniform gekleidet eintrifft, sieht er die immer noch unverheiratete Maria Agneta in noch bedrängterer Lage, da nahezu alles verpfändet werden musste. Jetzt gibt sich der Dieb als Christian von Tornefeld mit Hilfe seines Wappenrings zu erkennen, der vom Heer des Schwedenkönigs auf dem Weg zum Gut seines Taufpaten ist. Er begleicht alle Schulden mit dem Erlös seines Diebesguts, heiratet die schöne Maria Agneta und führt das Landgut mit Hilfe seiner landwirtschaftlichen Fachkenntnisse zurück in den Wohlstand. Aber kann das Glück des 'schwedischen Reiters' von Dauer sein? Früher oder später wird ihn seine Vergangenheit noch einholen und das Rad des Schicksals wird sich erneut weiterdrehen...

Leo Perutz' Roman 'Der schwedische Reiter', geschrieben in den 1930er Jahren, erscheint wie ein einziger großer Anachronismus. Ein historischer Roman mit deutlich phantastischen, romantischen Elementen, langsam vorgetragenen pitoresken Schilderungen von Land und Leuten, altertümlich anmutender Sprache und heute nahezu unbekannten Ausdrücken, aber doch eine spannende Geschichte. Obwohl der geneigte Leser eigentlich genau weiß, wie das Ganze enden wird, löst Perutz die Spannung erst auf der allerletzten Seite. Ganz anders als seine zeitgenössischen Kollegen verlagert er sich ganz auf das althergebrachte Geschichtenerzählen und folgt nicht dem gerade modernen Psychologisieren, den inneren Monologen und Gedankenströmen. "Ich bemühe mich immer, so zu schreiben, wie meine Großmutter mir Geschichten erzählt hat." Umso interessanter ist es, dass Perutz ursprünglich Mathematik studierte und als Versicherungsmathematiker arbeitete. 1882 in Prag geboren, im ersten Weltkrieg schwer verwundet, widmet er sich ab 1918 ganz seiner schriftstellerischen Karriere. Doch der Erfolg hielt nicht lange an. Bereits 1928 begann er den 'Schwedischen Reiter'. Nach dem Tod seiner Frau zog sich Perutz einige Zeit aus dem öffentlichen Leben zurück und erst 1936 beendet er den 'Schwedischen Reiter', der aber nicht mehr nach Deutschland ausgeliefert werden durfte. "Deutschland für mich tot. Meine Bücher verramscht. Vaters Erbe verbraucht. Ich glaube, ich lebe schon von meinen Brüdern.“, so schrieb er zur Jahreswende 1934. Nach dem Anschluss Österreichs emigrierte Perutz 1938 zuerst nach Venedig, dann weiter nach Palestina. Nach dem Krieg kehrte er in den 1950er Jahren wieder nach Österreich zurück und versuchte an seine literarischen Erfolge anzuknüpfen, was ihm aber nicht mehr gelingen sollte. Zwar erntete seine Erzählungen "Nachts unter der steinernen Brücke"noch hohes Lob von der Kritik, jedoch ging der Verlag im Jahr nach der Veröffentlichung in Konkurs und das Buch konnte nicht mehr vertrieben werden.

Fazit: Ein altertümliches Stück Roman für Liebhaber anspruchsvoller historischer Erzählungen mit einer romantisch, phantastischen Note, die jedoch nie zu stark in den Vordergrund tritt. Lesen!


Leo Perutz
Der schwedische Reiter
Deutscher Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. (2004)
256 Seiten
9,90 Euro





Literaturangaben:

Sonntag, 3. März 2013

Anthony Horowitz 'Das Geheimnis des weißen Bandes'

Kein Wunder, dass der berühmteste Detektiv aller Zeiten nach dem Tod seines Schöpfers Sir Arthur Conan Doyle im Jahre 1930 anfing, ein bewegtes Eigenleben zu führen, dessen Nachwirkungen uns bis heute in den Bann ziehen. Zu den dabei eher erfreulichen Lichtblicken zählte auf alle Fälle die BBC Miniserie 'Sherlock', in der die originalen Fälle auf clevere Art und Weise in die heutige Zeit versetzt wurden und dem eigenbrödlerischen Soziopathen in Form eines durchgestylten megacoolen Nerds ein ikonenhaften Kontrapunkt hinzufügt wurde. So gierte auch die Fangemeinde nach dem Tod des Schöpfers von Anfang an nach neuen Fällen ihres Idols und ganze Heerscharen von Autoren bemühseligen sich seither, diesem Anspruch gerecht zu werden, um die originalen 56 Erzählungen und 4 Romane zu ergänzen.

Zu Sherlock Holmes kam ich ja wie die meisten meiner Generation durch das Fernsehen. Insbesondere  die Schwarzweiß-Klassiker mit dem smarten Basil Rathbone aus den 1940er Jahren sind es, an die ich mich erinnern kann und die mein Bild vom Meisterdetektiv nachhaltig geprägt haben. Aber auch - und das betrifft wohl eher nur unseren urdeutschen Kulturkreis - Hans Albers und Heinz Rühmann ("Jawoll meine Herr'n"). Insgesamt zählt die Internet Movie Database 270 Filmwerke - wobei ganze Serien als ein einzelnes Werk gezählt werden - in denen Sherlock Holmes seit 1900 seinen Auftritt hatte.  Zur Romanform kam ich erst, als ich an der Uni eine "einfache" Lektüre zur Verbesserung meiner Englischkenntnisse suchte und auf die Idee verfiel, dies am Besten mit Kurzgeschichten von Arthur Conan Doyle um den berühmtesten Detektiven der Welt, anstellen zu können. Da saß ich also mit einem Penguin-Taschenbuch und einem Langenscheidt Handlexikon im Zugabteil auf meinen Fahrten nach München und quälte mich durch 'Silver-Blace', 'The Adventure of the Musgrave Ritual' und viele andere Geschichten. Aber heute soll es ja nicht um meine "persönliche Sherlock Holmes Geschichte" gehen, sondern um die im Buchhandel heftig umworbene aktuellste Epigone von Anthony Horowitz mit dem Titel "Das Geheimnis des weißen Bandes".

An einem der letzten Novembertage des Jahres 1890 betritt ein Unbekannter das Haus in der Bakerstreet 221b und bittet Sherlock Holmes in einem ungewöhnlichen Fall um seine Hilfe. Kommt uns bekannt vor? Definitiv, so und nicht anders fängt es ja meistens an. Der Unbekannte stellt sich und als Mr. Carstairs, Kunsthändler aus Wimbledon vor, der sich an Sherlock Holmes wendet, da er von einem mysteriösen Fremden verfolgt wird, der kurze Zeit später tot in seinem Hotelzimmer aufgefunden wird. Die Neugier des Meisterdetektivs ist geweckt und die Spur führt zu einer von irischen Einwanderern in den USA geführten 'Flat-Cap Gang'. Beim Überfall auf einen Eisenbahnzug werden bei der Sprengung eines Safes wertvolle Gemälde aus Carstairs Galerie auf dem Weg zu ihrem neuen Besitzer in den USA zerstört. Carstairs beginnt auf eigene Faust mit den Nachforschungen und im Zuge der Ermittlungen wird einer der Bandenchefs von Privatdetektiven erschossen, während dessen irischem Zwillingsbruder die Flucht gelingt. Auf der Schiffspassage zurück nach England lernt Carstairs seine zukünftige Frau kennen, die jedoch von dessen Mutter und Schwester mit Argwohn betrachtet wird. Zurück in London wird er von einem Mann mit flacher Kappe verfolgt und wir sind wieder bei der Ausgangssituation der Geschichte angelangt, in der sich Carstairs an Sherlock Holmes wendet.

Spuren und Indizien führen Holmes zu einem zweiten Fall, in dem sich alles um ein mysteriöses 'House of Silk' dreht. Unter Holmes jugendlichen Helfern, einer Gruppe von Straßenjungen, die ihm als Informaten dienen und kleine Aufträge erledigen, verschwindet ein Kind, das den Mord an dem Mitglied der 'Flat-Cap Gang' zufällig beobachtet hatte. Schließlich wird der Junge scheußlich zugerichtet mit durchschnittener Kehle und einer weißen Seidenschleife am Arm gefunden. Holmes scheint plötzlich in ein Wespennest gestochen zu haben. Sein Bruder Mycroft warnt ihn nachdringlich, den Fall nicht weiterzuverfolgen, da sonst der ganze Staat ins Wanken geraten könnte und Holmes lernt die Macht des 'House of Silk' am eigenen Leibe kennen, als ihm selbst ein Mord in die Schuhe geschoben wird...

Ja, das Buch ist tatsächlich spannend geraten und es atmet auch die Atmosphäre, die wir aus Arthur Conan Doyles Geschichten kennen. Doch eigentlich wünscht man sich noch etwas mehr. Warum nicht ein wenig mehr Augenzwinkern, warum nicht ein wenig mehr Lokalkolorit? Ok, Conan Doyle war kein Dickens, wenn es um die Schilderung der skurilen Charaktere des viktorianischen Londons ging und in seinen Kurzgeschichten blieb oft kein Raum für allzuviel tiefsinnigen Humor. Vielleicht bin ich aber auch mittlerweile einfach zu verwöhnt und Horowitz versuchte ja nur, einen möglichst authentischen Sherlock-Holmes Roman zu schreiben. Das ist ihm ganz sicher auch gelungen.

Fazit: Gelungene Sherlock-Holmes Epigone, die es versteht, ein Thema, das uns aktuell bewegt in die Gedankenwelt ihres Schöpfers Arthur Conan Doyle auf unterhaltsame und spannende Weise hinein zu versetzen. Lesen!



Anthony Horowitz
Das Geheimnis des weißen Bandes
Insel Verlag, Frankfurt a. M., 2012
352 Seiten
19,95 Euro