Samstag, 30. August 2008

Torsten Kroll: Callisto oder die Kunst des Rasenmähens

Was für ein Titel für ein Buch..."Callisto oder die Kunst des Rasenmähens". Natürlich weckte es in mir erst einmal die Assoziation zu Pirsigs Meisterwerk "Zen oder die Kunst ein Motorrad zu warten", in dem ein College-Dozent über Platon, das Motorradfahren und das Leben an sich philosophiert. Aber eigentlich haben die beiden Bücher doch so gut wie nichts gemeinsam....

Callisto, das ist ein kleiner Ort mitten im großen Nichts im US-amerikanischen Kansas (Hallo Dorothy...ein erster Hinweis auf den 'Zauberer von Oz'?). Nun, nach Callisto verschlägt es den nicht besonders hellen Odell Deefus, dessen altersschwaches Auto auf dem Weg zum Rekrutierungsbüro liegen bleibt. Im nächsten Haus an der Straße stößt er auf Dean, einem zunächst etwas seltsamen Zeitgenossen, der aber Odell bei seiner Panne behilflich sein möchte. Beide scheinen sich anzufreunden - auch wenn Dean nicht verstehen kann, warum sich Odell freiwillig in den Irak-Krieg melden möchte - aber nach einem gemeinsam durchzechten Abend springt Odell in Deans mobilen Rasenmäh-Service als Ersatzmann ein. Doch als Odell hinter dem Haus ein frisch ausgehobenes Grab (noch ohne Inhalt) entdeckt, wird er misstrauisch und legt sich sicherheitshalber den Baseball-Schläger neben seine Schlafcouch. Als er von Dean unversehens in der Nacht geweckt wird -- Dean glaubt einen Einbrecher gehört zu haben und steht mit der Schrotflinte bewaffnet an Odells Couch -- wähnt sich Odell in Todesangst und zieht Dean den Baseballschläger über den Schädel....

OK, klar, dass das nicht ohne Folgen bleibt. Zwar scheint Dean noch am Leben, aber eben höchstens noch gerade so. Das Haus, in dem die beiden sich befinden, gehört eigentlich Deans Tante. Die wäre laut Dean angeblich in Florida im Urlaub. Als Odell am nächsten Tag wieder als "Rasenmähermann" einspringt, wird er zuhause von einem Geistlichen erwartet, der ihn für Dean hält und sich angeblich im Auftrag der Tante nach Deans seltsamen Bedürfniss zu erkundigen, zum Islam zu konvertieren. (Klingt schon ziemlich schräg, oder....?). Daraufhin lernt Odell auch noch Deans (der mittlerweile den kümmerlichen Rest seines Lebens nach der Baseballschlägerattacke ausgehaucht hat) Schwester, die (zumindest in den Augen Odells) attraktive Gefängnisaufseherin Lorraine kennen und gerät unversehens in Drogengeschäfte, die Lorraine zusammen mit ihrem (jetzt verstorbenen) Bruder zur Versorgung der Gefängnisinsassen aufgezogen hat. Als Odell in der wohlgefüllten Tiefkühltruhe im Keller nach einer neuen Pizza kramt, lernt er den wahren (und ziemlich frostigen) Aufenthaltsort von Deans Tante kennen und ahnt, dass das im Garten ausgehobene Grab gar nicht für ihn bestimmt war. Jetzt fängt das Ganze an noch schräger zu werden.

Odell hatte das Grab zugeschaufelt, aber bei den Ermittlungen der Polizei wird das (leere) Grab wieder auf- und erneut zugeschaufelt. Jetzt beschließt Odell Deans Leichnam, der mittlerweile langsam in Verwesung begriffen ist, eben dort unterzubringen, da die Polizei das Grab ja bereits überprüft hatte. Doch am nächsten Tag soll das Grab zum Zweck der beim ersten Mal vergessenen Videodokumentation erneut ausgehoben werden. Also wandert Deans Leiche in der Nacht wieder aus dem Grab heraus (ausschauffeln, zuschauffeln), das Grab wird am nächsten Tag erneut ausgeschauffelt und wieder zugeschauffelt (zum Zweck der Videodokumentation) um danach wieder erneut ausgehoben zu werden, da Dean ja schließlich irgendwo bleiben muss....Hatte ich erwähnt, dass mittlerweile herausgekommen ist, dass Dean eigentlich schwul war (ein kompromittierender Videomitschnitt beim Karaokesingen in einer Schwulenbar ist aufgetaucht).

Dann war da ja noch diese Sache mit dem Islam. Dean wollte anscheinend konvertieren (doch eigentlich sagte er das nur, um seine Tante zu ärgern...), aber Odell bauscht die Sache auf, um auch einmal im Mittelpunkt der Medien zu stehen und fortan besitzt Calisto, Kansas, jetzt auch seine eigene, brandgefährliche islamistische Terroristen-Zelle und das FBI und der Heimatschutz schalten sich ein. Selbst ein ultrageheimer nicht näher genannter Dienst mit einem Geheimagenten namens 'Jim Ricker' tritt auf und sendet Odell verschlüsselte Botschaften über dessen Handy (Dieser Jim Ricker ist es auch, der in gewisser Weise die Rolle des 'Zauberers von Oz' einnimmt...). Odell verstrickt sich zusehend im von ihm selbst ausgelegten Netz. Am Ende gerät er gar selber in Verdacht, der gesuchte Top-Terrorist zu sein, ein Weg, der ihn sogar bis nach Guantanamo (auch wenn der Namen des Ortes nicht genannt wird) bringen wird....

Kann das gut ausgehen? Wie kann sich der mit nicht allzu reichlichen Geistesgaben ausgestattete Odell aus diesen Verstrickungen wieder befreien? Dabei habe ich gerade ja nur einen kleinen Teil des komplexen Plots aus Irrungen und Wirrungen ausgelegt. Jede Hauptfigur scheint ihren eigenen Interessen zu folgen - und die sind oftmals alles andere als legal. Callisto, das scheint eine wahre Mördergrube (wie der Covertext verspricht)...und mit Terrorismus ist ja schließlich nicht zu spaßen.....

Wirklich, die Abenteuer Odells sind schon ziemlich schräg, aber lustig. Verpackt wird das ganze mit einer derben Kritik am US-amerikanischen Umgang mit Andersdenkenden und der vorherrschenden Terrorismus-Paranoia. Alle halten Odell für etwas zurückgeblieben (Forrest Gump lässt grüßen), aber er ist ja kein schlechter Mensch, daher gelingt im auch das schier unglaubliche, nämlich aus der ganzen Sache (mehr oder weniger) heil wieder heraus zu kommen. Sollte ich es mit einer Zeile zusammenfassen, dann käme dabei heraus "Forrest Gump meets the Coen Brothers". Würde mich auch wirklich nicht wundern, wenn das Buch in diesem Stil verfilmt werden würde ;-)

Fazit: Ein kurzweiliges Lesevergnügen mit hintersinniger Zeitkritik, dabei manchmal auch etwas zuviel des Guten. Aber für Liebhaber der humorvollen Unterhaltung ein Lesetipp!

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Freitag, 29. August 2008

Barocker Bildungsthriller, die dritte: Monaldi & Sorti - Veritas

Ja, ich habe es tatsächlich gelesen. Auch wenn ich nach dem zweiten Band recht enttäuscht war (siehe 'Barocker Bildungsthriller, die zweite....') und so meine Zweifel hatte, ob ich mir den dritten Band tatsächlich 'antun' soll. Aber: Urlaubszeit = Lesezeit, und was gibt es schöneres, als im Strandkorb an der See einen zugegebenermaßen ziemlich dicken 'Schinken' annähernd 'am Stück' zu lesen ;-)
Also: Monaldi & Sortis 'Veritas' reiht sich in die (bislang erschienene) Trilogie ('Imprimatur', siehe 'Barocker Bildungsthriller...' - 'Secretum', siehe 'Barocker Bildungsthriller, die zweite....' und 'Veritas') um den Geheimagenten und Kastratensänger Atto Melani (den es tatsächlich gegeben hat) im Dienste des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Doch beginnen wir erst einmal mit der Handlung:

Der namenlose Ich-Erzähler der drei Bände geht diesmal, 28 Jahre nach den Begebenheiten die im ersten Roman geschildert wurden, in die kaiserliche Residenzstadt Wien, die Hauptstadt des heiligen römischen Reichs deutscher Nation. Dort hat ihm sein 'Gönner' Atto Melani eine lizenzierte Stelle als Rauchfangkehrer (Schornsteinfeger) gekauft um sich - 11 Jahre nach seinem im letzten Roman gegebenen Versprechen - endlich für die geleisteten Dienste (so glaubt es zumindest der Ich-Erzähler) erkenntlich zu zeigen. Während in Rom, der Heimatstadt des Ich-Erzählers, Schornsteinfeger am unteren Ende der Gesellschaft stehen, erweist sich die Stelle in Wien im Gegensatz dazu als ordentliches Auskommen in einer angesehenen Handwerksprofession. Wir schreiben das Jahr 1711. Atto Melani, obwohl bereits 80 Jahre alt, ist immer noch in geheimer Mission unterwegs. Allerdings haben sich die Zeiten verändert. Während der Handlung des ersten Romans stand Wien 1683 unter türkischer Belagerung, der Kaiser flüchtete Hals über Kopf aus der Stadt, bevor diese durch das christliche Entsatzheer unter dem Polenkönig Jan Sobietzky befreit werden konnte. Heute - 1711 - empfängt der Prinz Eugen als oberster Heerführer des Kaisers eine türkische Gesandschaft und hier beginnen die Verstrickungen, Intrigen und Verschwörungstheorien.

Chloridia, die Gemahlin des Ich-Erzählers, Tochter einer türkischen Sklavin, wird als Übersetzerin für die Belange der Gefolgschaft des türkischen Gesandten in die Dienste Prinz Eugens verpflichtet und wird Zeugin einiger überaus seltsamer Zusammentreffen. Ein Derwisch fordert von einer zwielichtigen Gestalt den Kopf einer hochstehenden Persönlichkeit und der Ich-Erzähler, der in den letzten beiden Bänden bereits Zeuge der hochherrschaftlichen Intrigen und Verschwörungen geworden ist, wittert ein Komplott gegen den deutschen Kaiser. Zudem kommt auch noch Atto Melani unter falschem Namen in der Kaiserstadt an. Von Altersblindheit geschlagen wird er von seinem Neffen Domenico begleitet, der ihm als Führer dient. Doch der ehemalige Kastratensänger und Geheimagent hat nichts von seiner Verschlagenheit verlernt. Wieder versucht er den Ich-Erzähler für seine eigenen Zwecke zu 'missbrauchen', doch diesmal arbeitet der Schornsteinfeger auch auf eigene Rechnung und lässt sich nicht so einfach in Melanis Machenschaften einbeziehen. Der Gehilfe des Schornsteinfegers ist ein Bettelstudent und mit Hilfe seiner Komillitonen startet der römische Rauchfangkehrer seine eigenen Nachforschungen, die sich zuerst um die Aufklärung eines vom türkischen Gesandten dem Prinzen offiziell überbrachten lateinischen Satzes drehen:
"Soli soli soli ad pomum venimus aureum."

'Pomum aureum', der 'Goldene Apfel' ist ohne Zweifel die kaiserliche Residenzstadt Wien, seit Jahrhunderten ein begehrliches Ziel des türkischen Eroberungsstrebens, aber was der Rest des Satzes bedeutet bleibt schleierhaft. Leider sterben die Komilitonen des Schornsteinfegergehilfen einer nach dem anderen bei der Aufklärung.

Daneben hat der Schornsteinfeger auch noch alltägliche Aufgaben, wie z.B. die Instandsetzung der Kamine im Schloß 'Neugebäu', das vom Kaiser Maximilian II. im 16. Jahrhundert nach dessen Sieg über die Türken im Stile von Suleymans Feldlager (des erfolglosen türkischen Sultans) erbaut wurde und seit dessen Tod langsam dem Verfall anheim fiel. Das Schloss beherbergt immer noch die Menagerie des Kaisers (=Zoo) mit vielen wilden Tieren und dort findet sich auch ein interessantes Beutestück, das 'fliegende Schiff' eines portugisischen Erfinders. Der jetzige Kaiser - soviel sei schon an dieser Stelle verraten - stirbt am Ende des Buches, was auch den Tatsachen entspricht. Gab es tatsächlich ein Komplott? Stecken die Türken hinter dem Anschlag? Interessanterweise starb der Kaiser an den Blattern (Pocken), einer bis dato nicht notwendigerweise tödlich verlaufenden Krankheit. Zudem stirbt auch noch der französische Thronfolger zur gleichen Zeit an der selben Krankheit. Was hat Atto Melani mit dem Ganzen zu tun? Existiert tatsächlich eine 'geheime Verschwörung'...?

Diesen Fragen widmet sich das Buch auf mehr als 900 unterhaltsamen Seiten. Monaldi & Sorti - Altphilologin und Musikwissenschaftler - haben einmal mehr sorgfältig recherchiert, und der Leser wird Zeuge des Wienerischen Alltagslebens in barocker Zeit. Natürlich müssen wir uns auch diesmal wieder mit unzähligen Aufzählungen von Gepflogenheiten, Speißenfolgen und architektonischen Details beschäftigen. Das ist natürlich nicht jedermanns Geschmack und wird von vielen Kritikern auch als 'bildungsbürgerliche Onanie' bezeichnet. Vorneweg, 'Veritas' ist ein historischer Roman im Sinne des Wortes. Tatsächliche historische Begebenheiten werden mit fiktiven und zum Teil fantastischen Elementen vermengt. LeserInnen historischer Schmonzetten á la Noah Gordon oder Rebecca Gablé werden hier nicht viel zu Lachen haben. Das Buch richtet sich schon eher an einen Leser, der einen Autor vom Schlage Umberto Ecos wertzuschätzen vermag. Nicht umsonst hatte ich ja schon den ersten Roman der Reihe als 'Ecos Epigonen' bezeichnet. Aber trotzdem sollte man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Interessante Tatsache ist zumindest, dass die Bücher von Monaldi & Sorti nicht in Italien, dem Heimatland der beiden Autoren verlegt werden. Tatsächlich regte sich starke Kritik seitens des Vatikans und der italienischen Verlage, deren Chronologie man hier nachlesen kann. Dies liegt darin begründet, dass die beiden Autoren interessante Tatsachen über einen barocken Papst Innozenz XI. (dessen Heiligsprechungsverfahren daraufhin eingestellt wurde) zu Tage förderten, dessen Familie in die unrühmliche Finanzierung protestantischer Mächte verstrickt war.

Aber zurück zum vorliegenden Buch. Lässt man einmal die fantastischen Elemente aus (ein 'fliegendes Schiff' mit StarTrek-ähnlicher Technologie und weitere barocke Wunderlichkeiten) haben Monaldi & Sorti ein ordentliches Stück Arbeit vorgelegt, dass sich am Besten lesen lässt, wenn man viel Zeit am Stück darin zu investieren vermag. Häppchenweise genossen verzettelt man sich in den opulenten Details und die Handlung schreitet nicht schnell genug voran, um durchgehend spannend zu bleiben. Dennoch haben die Autoren seit dem zweiten Band wieder etwas zugelegt und 'Veritas' ist ihnen durchaus besser geraten als das vorangegangene 'Secretum'. Zu bemängeln habe ich das unsägliche Pathos der letzten 100 Seiten mit dem Tod Joseph I., den letzten Lebensjahren Atto Melanis und dem 'dramatischen Verstummens' des Schornsteinfegers.

Literarische Cameos finden sich auch in diesem Band wieder - diesmal wird die Wiener Operettenwelt durch den Kakao gezogen. Angefangen mit der Horde der 'Bettelstudenten', die schon mal aus dem Operettenstaat 'Pontevedro' stammen und Lehars 'Die lustige Witwe' kolportieren, über 'Frosch', den Wächter der kaiserlichen Menagerie, der aus der 'Fledermaus' entliehen wurde. Letztendlich stößt der geneigte Leser auf eine (vermeintliche?) Weltverschwörung, deren haarsträubendes Wirken noch bis in die heutigen Tage anhält. Für viele mag das ja wirklich ein Stück zuviel sein (sic!) für einen 'harmlosen' historischen Roman. Aber....wir schreiben schließlich das Zeitalter des Barock. Üppigkeit und Schwülstigkeit zählen darin bis heute zu dessen stilbildenden Ausdrucksmitteln...

Fazit: Barocker Lesestoff für unvoreingenommene und nicht allzu kritische Dauerleser, die auch schon mal ein Augenzwinkern für die beiden italienischen Autoren erübrigen können. Keine allzu leichte Kost, aber spannende Unterhaltung für alle, denen Geschichte alleine schon der spannenden Unterhaltung dient. Dazulernen wird man auf alle Fälle...

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Donnerstag, 28. August 2008

John Boyne: The Boy in the Striped Pajamas (Der Junge im gestreiften Pyjama)

Urlaubszeit, Lesezeit. Daher auch die aktuelle Häufung von Blogposts hier in Biblionomicon. Eines der Bücher, das ich in der vergangenen Woche im Strandkorb an der Ostsee gelesen habe, ist John Boynes "The Boy in the Striped Pyjamas" im englischen Original.
Ich hatte vor einigen Wochen noch in Jena die Buchhandlungen durchstreift, da mein Geburtstag kurz bevor stand und ich mich - natürlich - gerne mit Büchern beschenken lasse. Vor dem Regal mit der englischsprachigen Literatur fiel mir der kleine gestreifte Band ins Auge und die "Nichtbeschreibung" des Inhalts auf dem Cover machte mich erst recht neugierig...

"The story of "The Boy in the Striped Pajamas" is very difficult to describe. Usually we give some clues about the book on the cover, but in this case we think that would spoil the reading of the book"


OK, das sagt ja noch nicht allzuviel aus. Aber neugierig war ich allemal und habe das Buch auf meine Wunschliste gesetzt. Jetzt stehe ich natürlich vor der schwierigen Aufgabe, mehr über das Buch zu sagen, als es der Verlag auf dem Cover gewagt hat, ohne dabei jedoch das bevorstehende Lesevergnügen zu schmälern. Versuchen wir es einfach einmal: Bruno ist neun Jahre alt, hat eine ältere Schwester Gretel und lebt zusammen mit seinen Eltern und Dienstpersonal in einer Berliner Villa. Wir schreiben das Jahr 1943. Brunos Vater bekommt eine neue verantwortungsvolle Aufgabe übertragen, die den Umzug der Familie aus der angenehmen und luxuriösen Umgebung erfordert. Wir erleben diese Zeit aus Brunos Perspektive, also mit den Augen und dem Verstand eines Neunjährigen. Natürlich ist es da für uns nicht leicht zu verstehen, was in der Erwachsenen passiert... (Wer jetzt nicht mehr über das Buch erfahren möchte, sollte die folgenden Absätze überspringen. Ich werde aber nichts darüber verraten, wie das Buch endet. Lediglich die tatsächliche Szenerie werde ich versuchen zu erläutern...)

Brunos Vater ist SS-Offizier. Nach einem Besuch des "Führers" (natürlich kennt Bruno das Wort "Führer" noch nicht, daher ist er beim ihm lautmalerisch einfach "the Fury") wird Brunos Vater die Aufgabe übertragen, als Kommandant des Vernichtungslagers Ausschwitz in Polen zu wirken ("Out-Witch" ist der Name des Ortes gemäß Brunos Weltsicht). Die Familie nimmt den berufsbedingten Umzug auf sich und diese neue Welt ist für Bruno so signifikant anders als alles, was er bis dahin kennt. Natürlich wohnt der Kommandant außerhalb des eigentlichen Lagers. Brunos Welt ist daher durch einen hohen Stacheldrahtzaun vom Lager getrennt. Aber es gibt in Brunos neuer Welt keine gleichaltrigen Freunde. Eines Tages macht er sich auf zu einer Erkundungsexkursion entlang des Zaunes und stößt auf einen kleinen Jungen auf der anderen Seite des Zauns.

"The dot that became a speck that became a blob that became a figure that became a boy..."


Shmuel heißt der kleine Junge und er trägt einen seltsamen gestreiften Pyjama, genau wie alle anderen auch jenseits des Zaunes. Bruno und Shmuel werden Freunde, aber diese Freundschaft ist alles andere als eine gewöhnliche Freundschaft. Doch das Leben am Rande des Lagers hinterlässt auch auf den anderen Familienmitgliedern deutliche Spuren. Brunos Mutter beschließt mit den Kindern zurück nach Berlin zu gehen, was auch das Ende von Brunos und Shmuels Freundschaft bedeutet. Da fasst Bruno einen gewagten Plan, um ein einziges Mal tatsächlich mit seinem Freund Shmuel nicht nur zu reden, sondern richtig zu spielen, und er wagt den Schritt über den Zaun.....

Das Buch ist an dieser Stelle noch nicht zu Ende, und das Ende, das folgt, wird dem Leser auch noch nachhaltig im Gedächtnis bleiben. Das Interessante an diesem Buch ist natürlich die kindliche Perspektive auf Seiten der "Täter". Bruno versteht die Welt der Erwachsenen noch nicht und erlebt Ungerechtigkeiten, Schikanen und Drangsalierung der Opfer aus seinem natürlichen und kindlichen Bewusstsein für Recht und Unrecht. Interessant, dass er auch gar nicht weiss, was der Begriff "Jude" bedeutet. So bewegt sich der Leser auf den Spuren eines Neunjährigen durch das unsägliche Grauen eines Teils des vielfach verdrängten nationalsozialistischen Alltags. Der Band ist kurz und fesselt für einen Urlaubstag, allerdings benötigt es doch noch geraume Zeit, um den Inhalt tatsächlich zu verdauen. Der Perspektivwechsel weckt die eigenen Gedankengänge, wirft Fragen auf und beschäftigt noch lange im nachhinein. Trotz der Kürze und der kindlichen Perspektive gelingt es dem Autor, die Figuren prägnant und mitunter tiefgründig zu charakterisieren. Die englische Originalausgabe ist einfach geschrieben, leicht zu verstehen, auch ohne ein Wörterbuch zu Rate ziehen zu müssen. Sehr schön sind vor allem auch die Wort- und Lautspiele Brunos, mit denen er versucht die Begriffe aus der Erwachsenenwelt, die er noch nicht kennt, zu benennen. Ich weiss leider nicht, wie diese in der deutschsprachigen Ausgabe umgesetzt wurden.

Fazit: Ein eindringliches kurzes Werk, dass eine aus unzähligen Fernsehdokumentationen bekanntes Bild aus einer ungeahnten Perspektive zeigt und daher zum Nachdenken anregt. Lesen lohnt sich!!!!

P.S. Jetzt wurde das Buch auch noch verfilmt. Mehr Informationen zum Film inklusive einem Trailer gibts hier. In Deutschland soll der Film aber erst im April 2009 anlaufen...

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Mittwoch, 27. August 2008

Margaret Mitchell: Vom Winde verweht

Vor einigen Jahren gelang es mir, eine alte 2-bändige Ausgabe von Margaret Mitchels Roman "Vom Winde verweht" in der ersten deutschsprachigen Übersetzung aus den 30er Jahren zu ergattern. Lange stand die schöne Ausgabe (siehe unten) bei mir zu Hause im Regal, bis ich mich endlich doch einmal daran machte, sie zu lesen. Natürlich kennt heute jeder (zumindest fast jeder) den Film, der immer wieder mal Teil des alljährlichen Feiertagsfernsehprogrammes ist. Daher hatte auch ich erst mal eine ganze Reihe von Vorbehalten gegenüber dem Werk -- glaubt man doch erst, es handele sich um eine Art Groschenroman-Schmonzette über die störrische und eigenwillige Scarlett O'Hara und dem smarten Captain Rhett Butler -- doch, wenn man sich einmal die Mühe macht, genauer hinzusehen (sowohl in den Film als auch in das Buch), wird man von einem wahren Feuerwerk eines historischen Romans, wie er im Buche steht, überrascht!

Die Geschichte lässt auf eindringliche, aber unpretensiöse Art die Geschichte vom Untergang des "alten Südens" der USA am Schicksal einiger Frauen und Männer Revue passieren. Überrascht hat mich dabei vor allem, dass es Margaret Mitchell wirklich gelingt, ein detailreiches und unvoreingenommenes Bild jener Zeit zu skizzieren, ohne sich dabei in langweilige Debatten zu verlieren. Die Geschichte kennen wir ja eigentlich alle. Scarlett O'Hara, naseweise und eigenwillige Tochter eines irischen Aufsteigers und Plantagenbesitzers und einer französisch-stämmigen Mutter aus gutem Hause, liegt die Welt zu Füßen. Sie kann sich vor Verehrern nicht retten und ist der Mittelpunkt einer jeden Gesellschaft. Doch einen, den bekommt sie nicht: Ashley Wilkes. Ashley Wilkes verkörpert alles, was die positive Seite des "alten Südens" ausmacht: hochgebildet und ein Gentleman durch und durch. Ashley heiratet seine (in den Augen Scarletts recht unscheinbare) Cousine Melanie. Alles auf eine Karte setzend gesteht Scarlett während eines Festes Asley ihre Liebe in der Bibliothek, erhält aber eine Abfuhr. Belauscht wird das Ganze von Captain Rhett Butler, der sich in die Bibliothek zurückgezogen hatte, da er sich unter den Gästen des Festes durch seine unpathetischen und damit auch unpatriotischen Ansichten deren Unmut zugezogen hatte, und macht sich über Scarlett lustig. Trotzig beschließt Scarlett den Langweiler Charles Hamilton, Melanies Bruder und zudem einer ihrer zahlreichen Verehrer, zu heiraten, als der erwartete Ausbruch des Bürgerkrieges dem schönen Fest ein plötzliches Ende setzt.

Lange währt diese Ehe nicht, denn Charles erkrankt bereits im Ausbildungslager und stirbt an einer Lungenentzündung, ohne einen Fuß in eine Schlacht gesetzt zu haben. Scarlett, gerade einmal 16 Jahre alt, ist Witwe. Sie geht nach Atlanta zu ihrer Schwägerin Melanie und deren Tante Pittypat, aber das Leben als Witwe missfällt Scarlett zusehends, da sie sich bereits in jungen Jahren tot und begraben fühlt. Auf einem Wohltätigkeitsball trifft sie wieder mit Captain Butler zusammen, jetzt ein hochgefeierter Blockadebrecher, der die Gesellschaft von Atlanta mit Luxuswaren zu Wucherpreisen beliefert, während breite Teile der Bevölkerung und der Truppen bereits am kriegsbedingten Mangel leiden. Obwohl von seiner eigenen Familie in Charleston und von der Militärakademie verstoßen, verkehrt Butler von nun an im Hause der Damen und es entwickelt sich eine Art passionierter Hassliebe zwischen Scarlett und dem gut 20 Jahre älteren Rhett.

Als die Yankees vor Atlanta stehen, verhilft er Scarlett und der schwangeren Melanie zur Flucht und beschließt, sich noch im letzten Moment freiwillig zu den Truppen des Südens zu melden. Auf sich allein gestellt versucht Scarlett zusammen mit Melanie und der schwarzen Haushaltshilfe Prissie die heimatliche Plantage Tara zu erreichen, hoffend und bangend, ob diese nicht wie so viele andere auch von den Yankees gebrandschatzt und dem Erdboden gleich gemacht wurde. Hier beginnt die Läuterung der verwöhnten und immer nur auf ihr Vergnügen bedachten Scarlett zu einer erwachsenen Frau, die ihr eigenes Geschick und das der ihr Anvertrauten in die Hand nimmt und endlich erwachsen wird. Aber noch immer hängt der Schatten der ursprünglichen (und unerwiderten) Liebe zu Ashley über ihr. Nachdem sie in Tara wieder Fuß gefasst hat, kehrt eines Tages Ashley aus der Gefangenschaft in die Arme seiner geliebten Frau Melanie zurück und Scarlett muss erkennen, dass sie umsonst auf ihn gewartet hat. Sie stürzt sich erneut in eine Ehe -- diesmal, um Tara vor dem drohenden Ruin durch Steuerwucher zu retten und zieht wieder nach Atlanta.

Da sich Scarlett nicht in die ihr von der Gesellschaft vorgegebene Rolle zwingen lassen möchte, eckt sie mit dieser immer wieder an. Ihr Gatte Frank Kennedy -- eigentlich Verehrer Ihrer älteren Schwester Sue-Ellen -- muss sich ihrem Willen beugen und sie kauft von seinem Geld eine Sägemühle, deren Verwaltung sie selbst übernimmt, da Frank zu sehr Gentleman ist, um von seinen Schuldnern Geld einzutreiben. Wieder nur ist die Ehe von kurzer Dauer, Frank kommt bei einem Racheakt des Ku-klux-Klans ums Leben, während der Rest der "ehrenwerten" Gesellschaft -- einschließlich Ashley Wilkes -- durch eine List des geächteten Captain Butlers gerettet werden kann.

Endlich kommt es zur Heirat von Scarlett und Rhett, doch auch ihrem Glück wird nur eine kurze Dauer beschieden sein. Details möchte ich an dieser Stelle dem geneigten Leser (oder der geneigten Leserin) nicht verraten, damit das Ende spannend bleibt (auch wenn man es schon tausend mal im Film gesehen hat...).

Vom Winde verweht ist ein erzählgewaltiges Epos. Der alte Süden wird in prächtigen Farben geschildert und dessen Niedergang und der Einzug der "Neuen Zeit" nach dem Bürgerkrieg wird in eindringlichen Bildern wieder zum Leben erweckt. Dazu zeichnet Margaret Mitchell detaillierte Charakterskizzen der beteiligten Personen, die einem allesamt im Laufe des Romans ans Herz wachsen. Wirklich, ich war sehr überrascht .. und das von der positiven Seite. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so viel Gefallen an diesem Werk finden würde, das ich jedem nur wärmstens weiterempfehlen und ans Herz legen möchte. Ganz besonders hat mir auch die etwas altbackene Sprache der alten deutschen Übersetzung von Martin Beheim-Schwarzbach gefallen, die trotz einiger kleiner Fehler ganz wunderbar zu diesem Roman passt.

Ein Wort noch zu David O'Selznicks grandioser Verfilmung. Es ist geradezu phänomenal, mit wieviel Akribie der Stab um O'Selznick die Schauspieler nach Mitchells Vorlage ausgesucht und besetzt hat. Nicht zu vergessen, die opulente Ausstattung, die gewaltigen Bilder und das gekonnt zusammengefasste Drehbuch. Nicht umsonst hat dieser Film 1939 seine 10 Oscars bekommen und gilt bis heute als das kommerziell erfolgreichste Filmprojekt aller Zeiten (berücksichtigt man die Inflation). Mein Tip: Erst das Buch lesen und dann noch einmal den Film anschauen!!!

Fazit: Um es ganz kurz zu machen: LESEN!!!

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Dienstag, 5. August 2008

Simon Beckett: Die Chemie des Todes

Nicht schon wieder einer....hatten wir jetzt nicht schon genug "forensische Anthropologen" und Gerichtsmediziner im Fernsehen? Hatte ich außerdem schon erwähnt, dass ich eigentlich nicht der "typische Krimileser" bin?...Ja, hatte ich, bei meiner Buchbesprechung zu "Tannöd". Aber "Tannöd" und der vorliegende Thriller haben so gut wie nichts gemeinsam (mal von den Todesfällen abgesehen). Aber zuerst mal ins "Eingemachte"...

David Hunter, erfolgreicher "forensischer Anthropologe" (das sind diejenigen, die dort anfangen, wo der übliche Gerichtsmediziner aufhört), verlor seine Familie bei einem tragischen Unfall und zieht aus London in das kleine Dorf Manham. Er übernimmt eine Stelle als Landarzt, zunächst in Vertretung für den ansässigen Arzt, den ein Unfall in den Rollstuhl verbannt hat. Beide freunden sich an und Hunter übernimmt die Stelle dauerhaft....zunächst.

Zwei Jungen finden eine bereits stark in Verwesung begriffene Frauenleiche im Wald. Seltsames Indiz: der Täter hat seinem Opfer am Rücken Schwanenflügel befestigt...wie bei einem "Engel". Die Polizei ermittelt und Hunter gerät eher unwillentlich mitten hinein in die Ermittlungen und gezwungenermaßen zurück in seinen alten Job. Eine weitere Frau aus dem Dorf verschwindet und wird später ebenfalls ermordet aufgefunden. Zum Stammpersonal der Handlung gehören noch der robuste Wildhüter Ben, Davids Freund mit -- wie sich später herausstellt -- nicht ganz so makelloser Vergangenheit, ein Pfarrer, der die Morde zur politischen und moralischen Propaganda missbraucht, Mackenzie, der ermittelnde Inspektor...und irgendwann dann auch noch die Lehrerin Jenny. Jenny ist Diabetikerin (ja liebe Leser...wenn so etwas auch nur erwähnt wird, weiss der geneigte Leser, dass der Autor diesen Fakt gegen die betreffende Person und für seine Handlung einsetzen wird). Hunter verliebt sich in Jenny, hat aber Schuldgefühle aufgrund seiner vor Kurzem verstorbenen Familie.

Zurück zu den grausigen Morden. Die Frauen werden entführt, gefoltert und nach drei Tagen ermordet. "Natürlich" ist das nächste Opfer Hunters neue Freundin Jenni, die Diabetikerin, die ohne Insulin nach 2 Tagen sowieso in ein Koma fallen wird. Jetzt wird die Sache spannend und rasant und von jetzt ab kann man das Buch nicht mehr aus der Hand legen....

Natürlich darf man bei einem Thriller nicht erzählen wie die Sache ausgeht. Sonst kann man sich die Lektüre dieser typischen "Whodunnit"-Geschichte sowieso ersparen. Aber ein kleiner Tip (der auch der Kritik an der Phantasie des Autors gilt): Laut Reinhard Mey ist der Mörder ja sowieso immer der ....... (na, klingelts? NICHT ANKLICKEN, WENN ES SPANNEND BLEIBEN SOLL). Aber, das ist nur die halbe Wahrheit...

Was macht diesen Roman so besonders, dass er es in die Bestsellerlisten geschafft hat? Der zweite Band der David Hunter Reihe existiert bereits und die Taschenbuchausgabe ist direkt mit der Veröffentlichung schon in die Top Ten eingestiegen. Naja, vielleicht die Lust am schaurig makaber Morbiden. Beckett schildert eindringlich die verschiedenen Stadien der menschlichen "Kompostierung" und der daran beteiligten Klein- und Kleinstlebewesen -- auch wenn er dabei schon mal versucht, ins Metaphysische abzuschweifen. In der deutschen Übersetzung von Andree Hesse liest sich der Band sehr zügig, wenn auch die Sprache nicht besonders abwechslungsreich oder originell ist. "Authentisch", könnte man jetzt meinen -- aber vielleicht doch eher auf das "große" Publikum zielend. Viele Dinge sind vorhersehbar und stereotyp. Der unsympathische Wilderer, dem seine Familie ein Alibi gibt, der Witwer mit Gewissensbissen, weil er sich wieder verliebt, der wortkarge Inspektor, die diabetische Lehrerin, die aufgrund einer "schlechten Erfahrung" aufs Land gezogen ist und vom Regen in die Traufe gerät....Es fehlen mir ein wenig die Ecken und Kanten an den Charakteren. Sie passen einfach zu gut in das bekannte Schema. Aber vielleicht ist es ja genau das, was Krimileser an Simon Beckett mögen....

Fazit: Hmmm, diesmal ist es wirklich schwierig. Ich habe lange überlegt, ob ich den zweiten Band auch lesen soll, der hier noch unangetastet im Regal steht. Jetzt wohl erst einmal nicht. Aber so schlecht war "Die Chemie des Todes" nun auch wieder nicht. Unterhaltsame Kost, die man auch nebenher in kleinen Häppchen lesen kann, bis die Sache dann am Ende spannend wird und man das Buch nicht mehr aus der Hand legen mag.

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