Dienstag, 27. Mai 2008

Andrea Maria Schenkel: Tannöd

Eigentlich zähle ich ja überhaupt nicht zu den typischen Krimilesern. Ok, natürlich mochte ich seinerzeit Arthur Conan Doyle's Sherlock Holmes und habe alle Geschichten verschlungen, die ich auftreiben konnte, aber die 'typischen' Who-Dunnit-Stories waren nie wirklich mein Ding. Ganz im Gegensatz zu meiner Mutter, die eine ausgeprägte Vorliebe für dieses Genre besitzt. Was lag also näher, als ihr bei der sich bietenden Gelegenheit das von allen Kritikern so fulminant in den Himmel gelobte Highlight der neuen deutschen Krimi-Szene 2007, Andrea Maria Schenkels 'Tannöd' zu schenken.

'Du, das ist alles wahr....", so zumindest meine Mutter, als ich sie kurz darauf fragte, wie ihr denn der neue Krimi gefallen hätte. Der Verschwörerton, den sie dabei aufblitzen lies, machte mich neugierig und kurzerhand habe ich mir das Buch einfach einmal ausgeliehen.

Es ist dunkel, für wahr. Das Cover ist tatsächlich mit Bedacht gewählt. Nachkriegszeit im ländlichen, bayerischen Voralpenland. Das ganze Buch aufgezogen wie eine Abfolge von Interviews mit den Beteiligten und Polizeibericht. Kurzes Vorgeplänkel und schon ist man mittendrin und versucht sich quasi an der Auflösung des rätselhaften Verbrechens in der Abgeschiedenheit des Tannöd Hofes, das einer kompletten Familie das Leben gekosten hat.

Es ist vor allen Dingen das Lokalkolorit, das diesen Krimi von so vielen anderen abhebt. Die Eigenheiten der bäuerlichen Bevölkerung, Neid und Eifersucht, die besondere Situation in den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg. "Man soll ja nichts böses über Tote sagen..." Und zwischendurch werden immer wieder diese katholischen Litaneien montiert


"Herr, erbarme Dich unser!
Christus, erbarme Dich unser!
Herr, erbarme Dich unser!
Christus höre uns!
Christus, erhöre uns!
Gott Vater vom Himmel, erbarme Dich Ihrer!
..."

Man meint sie förmlich zu hören, die Stimmen dieser alten Frauen, die im Gebetskreis einen Rosenkranz nach dem nächsten abarbeiten.

Die Charaktäre der einzelnen Personen sind lediglich in kurzen Momentaufnahmen beleuchtet. Die Handlung - und das ist das erstaunliche - gerät in den Hintergrund und ist irgendwie gar nicht so wichtig. Natürlich möchte man das Geheimnis lüften. Aber irgendwie sind plötzlich alle schuldig.

Dabei gewinnt das Bändchen vor allen Dingen durch seine präzise Kürze. 125 Seiten, nicht allzu eng bedruckt. Ein Urlaubstag sollte auf alle Fälle ausreichen, bevorzugt natürlich in ländlicher Umgebung zu genießen...

Fazit: ein ungewöhnlicher, kurzer und düsterer Krimi. Er hat jetzt nicht irgendwie mein Leben verändert, war jedoch kurzweilig und vor allen Dingen kann ich jetzt 'mitreden', wenn es um aktuelle deutsche Kriminalliteratur geht ;-)

Links:

Mittwoch, 21. Mai 2008

Eduardo Galeano: Das Buch der Umarmungen

Ich zähle Ernest Hemingway zu meinen Lieblingsautoren. Insbesondere seine Kurzgeschichten - die Short Stories haben es mir angetan. Drei Sätze....und Du bist hineinkatapultiert in eine Handlung oder gar ein ganzes Leben. Mehr brauchte der Großmeister der 'wenigen Worte' nicht, um seine Leser mitzureisen und die Geschichten in Gang zu setzen...

...Wenn man es denn dann aber schafft, die komplette Geschichte in drei Sätzen zu erzählen, glaubt man erst einmal nicht daran, dass sich dahinter tatsächlich etwas Lesenswertes verbergen könnte. Zugegeben, ich wäre von alleine wohl niemals auf Eduardo Galeano gekommen, auch wenn ich mir in letzter Zeit vermehrt lateinamerikanische Autoren zu Gemüte führe. Nein, zu Eduardo Galeano kam ich über Hemingway....und zwar in Tschechien im vergangenen Jahr. Auf einer Konferenz im tschechischen Harrachov lernte ich Jose, einen portugisischen Professor, kennen, mit dem ich mich in einige überaus interessante Unterhaltungen über Literatur verwickelte. Natürlich kam ich auch auf Hemingway zu sprechen, und dass ich seine kurze prägnante, oft auch harte Erzählweise schätze. Wie erstaunt war ich, als mir Jose erzählte, dass Eduardo Galeano den Hemingway'schen Erzählstil ins Extreme führen würde und seine Geschichten - meist nur eine knappe Seite lang - doch die Wahrheit eines ganzen Lebens enthalten können.

Zufällig fiel mir nun kürzlich eine Ausgabe des 'Buchs der Umarmungen' in die Hände. Angefüllt mit unzähligen Geschichten, Viele nur knapp eine halbe Druckseite lang, führt uns Galeano dabei in eine wunderbare, fantastisch faszinierende Welt, die sehr zum Nachdenken und vor allem aber zum Weiterlesen anregt. Wie durch ein kurzes Blitzlicht werden die Geschichten in Momentaufnahmen in verdichteter Form festgehalten. Und auf diese Weise lernt der Leser in Form kleiner Lebensweisheiten etwas über die Seele Lateinamerikas.

"Das System
Die Funktionäre funktionieren nicht.
Die Politiker reden, sagen aber nichts.
Die Wähler gehen zur Wahl, haben aber keine Wahl.
Die Medien informieren nicht, sie deformieren.
Die Lehranstalten leeren.
Die Richter verurteilen die Opfer.
Die Militärs führen Krieg gegen ihre Landsleute.
Die Polizisten bekämpfen nicht das Verbrechen, weil sie damit beschäftigt sind, es zu begehen,.
Der Bankrott wird sozialisiert, der Gewinn privatisiert.
Freier als die Menschen ist das Geld.
Die Menschen sind den Dingen untertan."


Fazit: Ein überaus ungewöhnliches, aber nicht minder interessantes Buch. Kein durchgängiges Lesevergnügen, sondern eher etwas zum darüber Nachdenken.

Links:

Mittwoch, 14. Mai 2008

Choderlos de Laclos: Gefährliche Liebschaften

Gut zwei Monate ist es jetzt her, dass ich die letzten Zeilen hier im Blog hinterlassen habe. Zwei Monate und ein ganzer Stapel Bücher, über die ich jetzt alle schreiben kann....

Den Anfang macht der klassische Briefroman 'Gefährliche Liebschaften' von Cholderlos de Laclos, den man zumindest in seiner opulenten filmischen Umsetzung durch Stephen Frears mit einem genialischen John Malkovich und einer eiskalten wie skrupellosen Glen Close kennt. Damit ist die Handlung ja auch schon eigentlich erzählt. Denn gleich dem Film, dreht sich das Buch um die Machenschaften der Marquise de Merteuil, die mehr aus Langeweile gleichsam aus Sportsgeist ihre Mitmenschen verdirbt, betrügt, hintergeht oder intrigiert. Kurzum, die Marquise de Merteuil langweilt sich so sehr in ihrem aristokratischem Dasein, dass sie mit dem Leben anderer spielt, gleichwohl ihr bewusst ist, dass sie alleine schon mit einer geschickt platzierten Bemerkung ganze Lebensplanungen zerstören und ein Dasein vernichten kann.
Klingt übertrieben dekadent, aber Laclos zeichnet ein überspitzt dargestelltes Sittenbild des späten französischen Rokoko, das unweigerlich wenige Jahre später in der Revolution münden muss.

Der Roman -- und das macht ihn zu einem besonderen Genuss - ist als Briefroman angelegt. Die Briefe stammen von der Hand der Marquise de Merteuil, ihres Kompagnon und früheren Geliebten, des Vicomte de Valmont, der jungen und zunächst unschuldigen Cecile de Volange, ihres Verehers und Liebhabers, des Chevalier Danceny. Dazu kommen noch die Präsidentin de Trouvel, die das ausgemachte Ziel aller Wünsche Valmonts verkörpert, sowie einige weitere, weniger wichtige Personen. Valmont will die Präsidentin de Trouvel verführen, die als Tugendhaftigkeit in Person gilt, und deren Niederlage gegen Valmont von diesem zunächst aus rein sportlichem Interesse und reinem Ehrgeiz angestrebt wird. Die Marquise de Merteuil dagegen stachelt Valmont dazu an, die junge Cecile de Volanges zu verführen und zu verderben, um deren zukünftigen Ehemann -- der Comte de Gercourt, einem ehemaligen Geliebten der Merteuil -- zu demütigen. Derart ausgestattet entspannt sich der Reigen, doch entwickelt sich alles etwas anders als geplant, als Valmont tatsächliche Gefühle für die Präsidentin de Trouvel (Michelle Pfeiffer) entwickelt. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf....und obwohl man ja schon aus dem Film weiss, wie die Geschichte endet, ist das Büchlein ein wahrer Genuss - auch wenn die Schwülstigkeit und Ausführlichkeit der brieflichen Darstellungsform für viele etwas gewöhnungsbedürftig sein mag

Die größte und eindrucksvollste Szene für mich ist diejenige, in der Valmont, quasi erpresst von der Merteuil als Opfer seiner eigenen Ambitionen, mit der bereits verführten Präsidentin de Trouvel entgegen seiner Überzeugung und seiner wahren Gefühle brechen muss, um nicht das Gesicht gegenüber der Merteuil -- und seinen 'guten' Ruf -- zu verlieren. Dabei legt ihm die Merteuil die Worte in den Mund, die Malkovich im Film gleich einer unwilligen, aber zu ihrem eigenen Untergang verdammten Marionette abspult:


"Man bekommt alles einmal satt, mein Engel. Das ist ein Naturgesetz. Meine Schuld ist es nicht.
Wenn ich als heute eines Abenteuers überdrüssig bin, dass mich seit vier langweiligen, grässlichen Monaten ausschließlich in Anspruch genommen hat, so ist es nicht meine Schuld.
Wenn ich beispielsweise just so viel Liebe gehabt habe, wie du Tugend besaßest, und das will sicher viel besagen, so ist es nicht erstaunlich, dass die eine zur selben Zeit aufgehört hat wie die andere. Meine Schuld ist es nicht.
Daraus folgt, dass ich Dich seit einiger Zeit betrogen habe. Aber Deine erbarmungslose Zärtlichkeit hat mich gewissenmaßen auch dazu gezwungen! Meine Schuld ist es nicht!
Heute verlangt eine Frau, die ich über alles liebe, dass ich Dich aufgebe. Meine Schuld ist es nicht.
Ich fühle wohl, das wird eine schöne Gelegenheit abgeben, Zeter und Mordio wegen meines Eidbruchs zu schreien. Aber wenn die Natur den Männern nur Beständigkeit verliehen hat, während sie die Frauen mit hartnäckigerem Beharren begabte, so ist es meine Schuld nicht,
Glaube mir, wähle Dir einen anderen Liebhaber, wie ich eine andere Geliebte erkoren habe. Dieser Rat ist gut, sehr gut sogar. Findest Du ihn aber schlecht, so ist es meine Schuld nicht.
Leb wohl mein Engel, ich habe Dich mit Freuden genommen, ich verlasse Dich ohne Reue. Vielleicht komme ich einmal wieder zu Dir zurück. So ist der Lauf der Welt. Meine Schuld ist es nicht...."


Fazit: Ein opulentes Werk in Briefform über menschliches Begehren, Intrigenspiel, Liebe und Moral. Auch wenn sich die Zeiten seit de Laclos deutlich geändert haben, das Spiel der Liebe und Intrigen hat auch heute noch Bestand und ist so aktuell wie zuvor. Meine Schuld ist es nicht.....

Links: