Freitag, 22. Februar 2008

500 Seiten und 50 Jahre später kriegen sie sich - Gabriel Garcia Marquez "Liebe in Zeiten der Cholera"


Eigentlich ist damit ja schon alles gesagt. Florentino Ariza und Fermina Daza sind ein mehr oder weniger "verhindertes" Liebespaar, dessen gemeinsames Glück mehr als 50 Jahre lang auf sich warten lässt. Doch Gabriel Garcia Marquez macht daraus einen großen Roman, der die beiden Liebenden über das Fin de Siecle hinweg bis in die frühen Jahre des 20. Jahrhunderts hinein begleitet.

Da bin ich also wieder bei einem lateinamerikanischen Autor gelandet. Nach Isabel Allende jetzt also der kolumbianische Nobelpreisträger Marquez. Und wenn man meint, die Allende könne schon recht gut erzählen, dann hat man noch nichts von Marquez gelesen. Aber - so zumindest mein Eindruck - man muss sich ein wenig an seinen Stil und seine Erzählweise gewöhnen, die nicht unbedingt für meine zügige Art zu lesen geeignet ist. Aber kommen wir zunächst erst einmal zur Geschichte.

Ein alter Schachspieler liegt tot in seinem Bett -- Selbstmord. Doktor Juvenal Urbino, der geachtete Mediziner und Patrizier, stellt ungerührt die Todesursache seines Schachpartners fest und veranlasst alles weitere, damit dieser schnell unter die Erde kommt. Juvenal Urbino, selbst schon ein alter Mann, überschätzt seine Kräfte und stürzt von der Leiter zu Tode, als er den entflogenen Papagei wieder einfangen möchte. Während der tote Doktor noch aufgebahrt in seinem Haus liegt, damit Angehörige und Freunde von ihm Abschied nehmen können, ist auch Florentino Ariza unter den Gästen und gesteht der frischgebackenen Witwe seine unvergängliche Liebe. Diese findet das natürlich alles andere als passend und wirft ihn kurzerand hinaus.

Doch die beiden sind einander keine Unbekannten. Bereits vor 50 Jahren hatten sich die beiden in der kolumbianischen Hafenstadt, in der die Geschichte spielt, ineinander verliebt, doch das Schicksal, die gesellschaftliche Ordnung und der nicht zu unterschätzende Eigensinn von Fermina Daza verhindern, dass daraus mehr als nur eine platonische Beziehung entsteht. Zwar werden unzählige Briefe geschrieben und ausgetauscht, aber Fermina Daza beendet schließlich diese "Beziehung". Beziehung ist wirklich ein eigenartiges Wort für das Verhältnis der beiden. Bis der allererste Kontakt zustande kommt, bis der erste Brief tatsächlich ausgetauscht wird und bis dieser von Fermina Dazas Seite erwidert wird....da gehen schon einmal ein knappes hundert Seiten ins Land. Marquez kostet es wahrlich aus, dass im 19. Jahrhundert die Uhren noch anders tickten, das Leben sozusagen "entschleunigt" ablief. Doch alles kommt natürlich anders. Schließlich heiratet Fermina Daza Doktor Juvenal Urbino, einen der begehrtesten Junggesellen der Stadt -- und das, obwohl sie ihn eigentlich gar nicht liebt. Wieder ist auch dieses Verhältnis der beiden ein seltsames. Er liebt sie eigentlich auch nicht wirklich, aber irgendwie scheint eine Heirat "doch das Beste"....

Nun ja, Florentino Ariza kommt über Fermina Daza nicht hinweg. Daran können auch die vielen Kurzbekannt- und Liebschaften nichts ändern -- und es sind ihrer hunderte, die da über die Jahre zusammenkommen. Tatsächlich gipfelt das Ganze sogar darin, dass er ihr über 50 Jahre später nach der ersten verbrachten Liebesnacht gegenüber lamentiert, er habe sich für sie "aufgehoben" (die 622 Liebschaften und sexuellen Affären einmal ausgenommen...). Aber bis das passiert, da dauert es natürlich eine Weile -- und noch einmal über 140 Briefe, die Florentino Ariza nach seinem etwas deplatzierten Geständnis im Haus des toten Doktors an die Witwe Florentina Daza schreibt. "Liebe in unserem Alter", so Fermina Dazas Tochter "ist lächerlich. Doch in ihrem Alter", das der Mutter, "ist es eine Ferkelei." Ferkelei hin oder her, sie kriegen sich. Und da die gesellschaftlichen Konventionen noch immer nicht in der Moderne angekommen sind, wird der Flussdampfer, auf dem sie sich ihre Liebe gestanden haben für immer ihr Refugium bleiben. Mit gehißter Quarantäne-Flagge (-> die Cholera....) wird er noch heute zwischen den Anlegestellen kreuzen, ohne je wieder anzulegen......

Eingebettet ist das Ganze in das schillernde Zeitkolorit des ausgehenden 19. Jahrhunderts und dem Einzug der Moderne im Norden Südamerikas. Wir werden Zeugen des ersten Radios der Stadt, der ersten Luftpostzustellung Kolumbiens und die Geschichte seiner Befreiung und seiner Revolutionshelden. Marquez steht in seiner Erzähltradition im Reigen der großen südamerikanischen Autoren, die allesamt die Tragik des menschlichen Daseins stets mit einem kleinen Augenzwinkern zu schildern wissen Gerade das macht wohl auch den Reiz dieser Geschichten aus und gerade deshalb sollte man sich auch die dazu nötige Zeit nehmen.

Fazit: Eine wuchtige südamerikanische Erzählung, stets mit leichter Ironie, aber mit gewissen Längen, die aber eigentlich dazugehören. Marquez ist sicher nicht jedermanns Geschmack. Beim Lesen habe ich mich des öfteren über diese Längen und die Langsamkeit beschwert. Aber im Nachhinein war es alle Mühe wert.

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Samstag, 9. Februar 2008

Geheimrat als Geheimagent - Robert Löhr: Das Erlkönig-Manöver

Man stelle sich vor, Goethe - jawohl, unser aller Deutschen Dichterfürst - im stattlichen Alter von 55 Jahren, begleitet von seinem Freund Schiller, den Dichterkollegen Achim von Arnim, Heinrich von Kleist und Bettine Brentano (später Bettine von Arnim), und dazu noch Alexander von Humboldt, auf einer tollkühnen Mission im napoleonisch besetzten Mainz, um den vermeintlichen letzten Erben der französischen Monarchie zu befreien. Klingt nach Räuberpistole? Ganz genau....

Aber alles von Anfang an. Wir schreiben das Jahr 1805. Geheimrat Goethe - man verwechsle diese Dienststellung, die einem Minister gleich kommt bitte nicht mit "Geheimagent" - wird also von seinem Herzog und Freund Carl-August mit der heiklen und bereits geschilderten Mission betraut. Als Motivation des Herzogs muss seine Sorge um das Wohlergehen seines "Thüringischen Athens" angenommen werden, da es Napoleons Eroberungsplänen leicht zum Opfer fallen könnte. (Tatsächlich ist Weimar später auch nur "um ein Haar" der Brandschatzung durch napoleonische Truppen entgangen...). Ziel des Herzogs ist vornehmlich die Restauration der Bourbonischen Monarchie, da es dem einzigen Sohn Ludwigs XVI., Louis-Charles, unter der Mithilfe des Polizeichefs Barras gelungen sein soll, unter Vortäuschung seines Todes aus der republikanischen Gefangenschaft zu entkommen.

Goethe stellt seine "Crew" zusammen: Sein enger Freund Friedrich von Schiller (erinnern wir uns....1805 war doch auch das Todesjahr Schillers...) und -- welch Zufall, da er doch gerade in Weimar weilt -- Alexander von Humboldt als Weltreise-erfahrenen "Scout". Unterwegs stoßen noch Achim von Arnim und dessen Zukünftige, Bettine Brentano zu der illustren Gesellschaft. Und da ist noch jener junge Soldat, der Goethe schon in Weimar nachstellt, um ihm sein Drama schmackhaft zu machen, auf dass Goethe es auf Weimars Theaterbühne groß herausbringe. Das Drama - wie sich später herausstellt -- ist kein geringeres als Heinrich von Kleists "Der zerbrochne Krug". Und tatsächlich, Goethes immer wiederkehrende Schramme unter seiner Perücke erinnert doch fatal an Dorfrichter Adams Blessur, die von besagtem Krug her stammte....

Es gelingt den Dichtern und Denkern tatsächlich unerkannt in das besetzte Mainz einzudringen und den vermeintlichen Dauphin rasch zu befreien, doch gestaltet sich die anschließende Flucht um so schwieriger und langwieriger. Dass dabei natürlich nicht alles so "glatt" läuft wie gedacht und dass das Ende in Weimar natürlich noch nicht das Ende der Geschichte ist, macht diesen kurzweiligen Roman doch lesenswert.

Aber ein paar VIPs zusammengewürfelt mit ein paar literarischen Zitaten, verstrickt in eine abenteuerliche -- aber zugegebenermassen weit hergeholten -- Handlung machen noch keinen guten Roman aus. Natürlich ist es besonders schwer, diesen Ikonen der deutschen Geisteskultur Leben einzuhauchen. Doch die Charaktere sind mir persönlich bei Robert Löhr doch leider etwas zu blass geraten. Am Anfang wird uns kaum Zeit gelassen, die Hauptpersonen richtig kennenzulernen. Humboldt ist ein ganz besonders gutes Beispiel für dieses Manko. Vergleicht man seine Darstellung mit der aus Daniel Kehlmanns genialem Meisterwerk "Die Vermessung der Welt", hat man das Gefühl es hier nur mit einem nichtssagenden Abziehbild des Kehlmannschen Sonderlings und Ausnahmeforschers zu tun zu haben. Und überhaupt, wenn Goethe und Schiller fortwährend sich selbst zitieren, so mag das zwar für die Literaturrecherche des Autors spechen, macht aber die Dialoge nicht wirklich glaubwürdiger. Natürlich zaubert es uns ab und an ein Lächeln um die Lippen, wenn das ein oder andere Bonmot fällt, das uns noch aus zähen Deutsch- und Lektürestunden nachhängt. Aber näher bringt es uns die beiden nicht - und menschlicher macht sie das ganz und garnicht.

Nichtsdestotrotz habe ich die Lektüre dieses Buches sehr genossen. Kurzweilig geschrieben und spannend, so dass man einfach dranbleiben musste. Für einen derzeitigen Wahl-Weimarer (es heißt nicht "Weimaraner", denn das ist der Name für eine Hunderasse...) wie mich macht die Schilderung des Goetheschen Weimars und des thüringer Umlandes natürlich auch einen beträchtlichen Teil des Charmes dieses Buches aus.

Fazit: kurzweilige Lektüre für alle, denen Schiller und Goethe im Deutschunterricht immer fremd geblieben sind und eventuell eine Chance, diese erstmalig kennenzulernen....vielleicht auch, um tatsächlich einmal selbst einen Blick in deren reichhaltige Hinterlassenschaft zu werfen....

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Freitag, 1. Februar 2008

Aschenbrödel bekommt etwas lädierten Prinzen - Charlotte Bronte: Jane Eyre

Es gilt vielen ja als eine Art "Kultklassiker" des Feminismus, andere (wohl eher Vertreter des männlichen Geschlechts) sehen in der biographischen Geschichte des Waisenkindes Jane Eyre eher eine "Schmonzette" allererster Güte. Aber beide haben meines Erachtens nach Unrecht. Jane Eyre ist ein ganz besonderer Roman, der mich schwer beeindruckt hat, und ich werden gleich ausführen, warum.

1847 ist das Buch von Charlotte Brontë erschienen, im selben Jahr übrigens, in dem ihre Schwester Emily ihre weltbekannte "Sturmhöhe" veröffentlichte. Um sich als Frau nicht den Vorurteilen der frühviktorianischen Kritiker und Rezensenten auszusetzen, veröffentlichte Charlotte ihr Werk zunächst unter dem unverfänglichen Pseudonym "Currer Bell". Die Brontë-Schwestern (Charlotte, Emily, Anne und es gab da auch noch mindestens einen Bruder -Branwell...) sind eine interessante literarische Erscheinung des 19. Jahrhunderts, die die Belletristik ihrer Zeit nachhaltig geprägt haben.

Aber kommen wir zuerst auf die Geschichte "Jane Eyres" zurück. Jane wächst als kleines Mädchen bei ihrer Tante, der Witwe Reed und deren drei Kindern auf. Auf dem Sterbebett nahm ihr der seelige Mr. Reed das Versprechen ab, das Kind seiner verstorbenen Schwester, das unter seiner Obhut stand, aufzunehmen und zu pflegen, als wäre es ihr eigenes Kind. Aber wie es meistens ist, natürlich wird das Waisenkind nicht mit der gleichen Liebe umsorgt, eher das Gegenteil ist der Fall. Die kleine Jane, gerade einmal 10 Jahre alt, ist allerhand Schikanen ausgesetzt, die darin gipfeln, dass ihre Tante beschließt, das Kind in das strenge Internat "Lowood" abzugeben, was für Jane aber eher eine Erleichterung zu versprechen scheint.

Noch glaubt sich Jane dem unerfreulichen Hause Reed entronnen, doch Mr. Bocklehurst, Geistlicher und Kurator Lowoods, brandmarkt Jane gleich am ersten Tag vor den Lehrerinnen und allen anderen Mitschülerinnen als Lügnerin. Bei ihren Mitschülerinnen allerdings verschafft die erniedrigende Strafmaßnahme für Jane sogar Pluspunkte. Die Mädchen müssen -- auf Bocklehursts Geheiss -- in Lowood mit altertümlicher und unzulänglicher Kleidung vorlieb nehmen. Schlechtes und knapp gehaltenes Essen und die Kälte rufen schließlich eine Typhus-Epidemie hervor und Herr Bocklehurst, dessen Frau und Tochter im strengen Gegensatz zu den Schülerinnen Lowoods in Prunk und Protz auftreten, muss als Kurator zurücktreten. Jane gewinnt eine liebenswerte und intelligente Freundin, die allerdings schon bald von der Schwindsucht dahingerafft wird. Schließlich findet sie in der Erzieherin Miss Temple ein Vorbild, das sie verehrt und dem sie nacheifern kann. So wird sie am Ende sogar selbst Lehrerin.

Als Miss Temple heiratet und die Schule verlässt, hält es auch Jane nicht mehr in Lowood und sie bewirbt sich auf eine Stellenanzeige als Gouverante in einem vornehmen Haushalt. "Thornfield" ist der Name des Herrenhauses, das einen neuen Abschnitt in Janes Leben einläutet. Dort soll sie sich um das Mündel des unverheirateten Mister Rochester kümmern, den sie zunächst erst einmal nicht zu Gesicht bekommt. Als er auf der Bildfläche erscheint, wird er als roh und mürrisch, von athletischer Statur und im eigentlichen Sinne alles andere als "schön" beschrieben. Aber es wäre ja auch ein Wunder, wenn es der klugen Jane nicht gelänge, auch den spröden Mister Rochester für sie einzunehmen. Als eine vornehme Gesellschaft für einige Zeit in Thornfield zu Gast ist, erlebt Jane, wie Mr. Rochester dem schönen Fräulein Ingram den Hof macht und jeder glaubt, dass sie es sein wird, die einmal die zukünftige Mrs. Rochester werden wird. Währenddessen gehen aber auch geheimnisvolle Dinge vor. Stimmen aus dem Obergeschoss, Mr. Rochesters Bett wird von einem Unbekannten in Brand gesetzt und Jane gelingt seine Rettung in letzter Sekunde. Ein alter Freund von Mr. Rochester wird von einer Person aus den oberen Stockwerken schwer verletzt. Eine verzwickte Situation, deren Aufklärung sich lange hinzieht, die aber nichts desto trotz in einem Eklat mündet, der Janes Leben wieder in eine völlig neue Richtung wirft.

Wieder beginnt sie ein neues Leben und wieder gelingt es ihr, eine neue Situation zu meistern. Aber diesen und den noch folgenden Teil der Geschichte darf ich an dieser Stelle nicht preisgeben, da ich sonst die Spannung völlig zunichte machen würde.

Was mich nachhaltig an Charlotte Brontës Roman begeistert hat, ist die Liebe zum Detail, mit der sie ihre Figuren zu gestalten weiß. Ausgefeilte Dialoge, emotionale Schilderungen von Situationen und Geschehnissen, eine ausgesuchte Sprache und die wunderbare Langsamkeit der viktorianischen Erzählkultur. Dabei weht auch ein gehöriges Stück von "Gothic Novel" durch die Seiten, auch wenn bis auf eine "Telepatie-Episode" (zugegebenermassen ist meine Benennung dieser Szene etwas weit hergeholt...) am Ende alles eigentlich mit "rechten" Dingen zugeht. Man fiebert in allen Umständen zusammen mit der unscheinbaren, explizit als "nicht hübsch" dargestellten, aber intelligenten Jane mit, die es immer wieder schafft, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Niemand soll über sie und ihr Leben bestimmen, wenn sie es nicht will, und das auch nur zu ihren Bedingungen. Hart....zugegeben....aber konsequent. Dazu kommen natürlich allerlei glückliche Fügungen und zum Ende gar ein 'viktorianisch' übliches Happy Ending. Aber obwohl Handlung und Figuren in einer uns allzu fernen Epoche spielen, erscheint uns Jane als "eine von uns". Sie ist emanzipiert (auch wenn es das Wort in diesem Zusammenhang zu dieser Zeit noch gar nicht gab) und das Buch kommt auch keineswegs moralisierend oder mit allzuviel and Gesellschaftskritik oder Zeitkolorit daher. Vielmehr ist es eine mehr oder minder zeitlos schöne Geschchte.

Fazit: Ein beeindruckendes Buch, für das man sich Zeit und Muse nehmen sollte. Speziell etwas für Leseratten und tatsächlich ein wahres Kontrastprogramm zu den "Sturmhöhen" der Schwester Emily. Lesen!!

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