Sonntag, 26. Februar 2012

Die Lust an der Grenzüberschreitung - Jorge Luis Borges '25. August 1983'

"Bist Du, Leser, denn sicher, dass Du meine Sprache verstehst?"
Mit diesen Worten schickt Borges den an dieser Stelle ratlosen Leser seiner wohl bekanntesten 1941 erschienenen Erzählung "Die Bibliothek von Babel" wieder zurück in dessen banale Realität. Doch wer offenen Auges und Geistes durch die Welt geht, der wird immer wieder auf sie treffen, auf die Spiegelungen und Widerspiegelungen der unendlichen Anspielungen, die uns Borges in seinen phantastischen Geschichten hinterlassen hat. Jorge Luis Borges, geboren im Jahre 1899 in Buenos Aires, gilt nicht nur für mich als der unbestrittene Meister der phantastischen Literatur, der als Autor, Herausgeber, Philosoph und nicht weniger als herausragender und schließlich "blinder" Bibliothekar in die (Literatur)Geschichte eingegangen ist, der neben vielem anderen auch Oscar Wilde, Virginia Woolf oder Franz Kafka ins Spanische übersetzte. 
"Ich habe mir das Paradies immer als eine Art Bibliothek vorgestellt" (J.L.Borges)
Vom Herausgeber der 30-bändigen Sammlung phantastischer Erzählungen, die gleich seiner eingangs erwähnten Geschichte den Titel "Die Bibliothek von Babel" trägt, war hier im Biblionomicon schon des öfteren von ihm die Rede (siehe unten).  Natürlich dürfen seine eigenen Erzählungen in dieser umfangreichen Sammlung nicht fehlen und so finden sich im vorliegenden Band Nr. 5 der Reihe auch fünf Geschichten des Meisters, eingeleitet mit einem Vorwort von Martin Gregor-Dellin und gefolgt von einem ausführlichen Interview, das den Leser mit Borges' Geisteswelt vertraut macht.
"Für mich ist die Welt eine unaufhörliche Quelle von Überraschungen, Ratlosigkeiten, von Unglück auch, und manchmal, warum soll ich lügen, von Glück. Aber ich habe keine Theorie über die Welt." (Jorge Luis Borges im Interview)
Gleich zu Beginn des dünnen Bandes führt uns Borges in die Welt der 'Bibliothek von Babel', einem Bücheruniversum, das gleich einem Bienenstock aus einer Unzahl sechseckiger, wabenförmiger Räume  besteht, deren Wände als Bücherregale bzw. als Durchgänge zu weiteren gleichartigen Räumen dienen. Das Besondere an dieser Welt sind natürlich die Bücher, die in den tausenden Regalen stehen. Deren Inhalt besteht aus allen möglichen nur denkbaren Kombinationen der Buchstaben des Alphabets, so dass sich nur in wenigen Fällen tatsächlich sinnvolle Buchstabenkombinationen, Wörter oder gar ganze Sätze darin finden lassen -- und das in den unterschiedlichsten Sprachen. So sind die Bewohner dieser Bücherwelt auch beständig auf der Suche nach "sinnvollen" Inhalten, denn die Bücherwelt ist schließlich universal, d.h. alle nur denkbaren Bücher sind in ihr enthalten. So auch das Eine, das Buch der Bücher, das Inbegriff und Auszug aller ist, das den Sinn dieser Welt erklärt. Ich liebe diese kleine Geschichte, die ich bereits vor vielen Jahren kennengelernt hatte. Später dann, während meines Informatikstudiums oder noch später, als ich begann, meine eigenen Vorlesungen vorzubereiten, diente sie mir immer wieder als Beispiel und Motivation für meine Studenten, um ihnen den Informationsbegriff und die Grundlagen der Berechenbarkeit vor Augen zu führen. Wie bereits in einem älteren Blogbeitrag erwähnt, diente die Geschichte auch Umberto Eco als Vorbild für den Aufbau der Klosterbibliothek in seinem Roman 'Der Name der Rose'.

Der '25. August 1983', so ist die zweite Geschichte der Sammlung betitelt, in der sich der jüngere Borges selbst beschreibt, wie er seinem älteren Ich (oder umgekehrt) an eben diesem Datum in einem Hotel begegnet. Ein Traum in einem Traum, Spiegelung und Widerspiegelung bilden auch hier das immer wiederkehrende Leitmotiv. Der Leser fühlt sich stets von neuem in eine phantastisch fesselnde Traumwelt hineinversetzt, so auch in der 'Rose des Paracelsus', in der die 'Leichtgläubigkeit' gegenüber dem 'wahren Glauben' bestehen muss, gegen den sie nicht gewinnen kann, dem 'Blauen Tiger', in der ein Mann ein Tabu bricht und darüber beinahe seinen Verstand zu verlieren droht,  oder der 'Utopie des müden Mannes', in der der Erzähler in eine seltsame Welt verschlagen wird, deren Bewohner die Zeit und so manches andere nicht mehr wichtig nehmen. Es gibt nichts, das nicht in Borges' literarischen Träumen stets einer erneuten Reflexion, einer erneuten Anspielung unterzogen wird. Oft reicht es nicht aus, diese Geschichten nur ein einziges Mal zu lesen. Immer wieder kann man Neues in ihnen entdecken und in sie hinein interpretieren.
"Der Buchdruck, der heute abgeschafft ist, war eines der schlimmsten Übel der Menschheit, denn er lief ja darauf hinaus, überflüssige Texte zu vervielfältigen, bis einem schwindlig wurde." (Utopie des müden Mannes)
Ein fast 50-seitiges Interview, gefolgt von einer ausführlichen Zeittafel beschließt das Buch und lässt Borges dabei persönlich zu Wort kommen, wie er dem Leser seine Welt, sein Werk und sein wissenschaftliches Arbeiten nahebringt.
"...es gibt keinen einzigen Grund, warum das Universum von einem gebildeten Menschen des 20. Jahrhunderts oder irgendeines Jahrhunderts begriffen werden sollte. Das ist alles." (Ende des Interviews mit Jorge Luis Borges)
Fazit: Die faszinierende Geisteswelt eines der wohl berühmtesten südamerikanischen Autoren, nicht nur für Liebhaber der phantastischen Literatur, sondern für alle Leser, die die Literatur gelegentlich als Anstoß nehmen, um über ihre eigene Welt nachzudenken. LESEN!


Jorge Luis Borges:
aus Jorge Luis Borges (Hrsg.) 'Die Bibliothek von Babel',
Band Nr. 5,
Edition Büchergilde (2007)
156 Seiten
17,90 Euro



In der Fischer Taschenbibliothek ist jetzt auch eine schöne Sammlung von Jorge Luis Borges bekanntesten Erzählungen als kleines Hardcover-Bändchen erschienen:

Jorge Luis Borges:
Fischer Tb. (2010)
528 Seiten
10,- Euro


Weitere Rezensionen im Biblionomicon zur 'Bibliothek von Babel' und zu Jorge Luis Borges:
       

Donnerstag, 16. Februar 2012

Kurze Geschichte des Buchdrucks (6): Gutenbergs Erben

Mainzer Psalterium (1457)
Nach der Übernahme von Gutenbergs Mainzer Druckereiwerkstatt durch seinen Geschäftspartner Johannes Fust und dessen Gehilfen Peter Schöffer entwickelte sich auch die Druck- und Verfahrenstechnik weiter. Insbesondere Peter Schöffer, der nach der Heirat mit Fusts Tochter Christine zu dessen Schwiegersohn und Partner wurde und die Mainzer Druckwerkstatt nach Fusts Tod 1466 übernahm, zeichnete sich durch die Verfeinerung der typografischen Zierelemente, die Kunstfertigkeit des Metallschnitts und einen verbesserten Rotdruck aus, mit der sich Schöffer von den Arbeiten der Rubrikatoren und Illuminatoren völlig lösen konnte. Man geht davon aus, dass zu diesem Zweck zunächst die vollständige Druckseite einschließlich aller Verzierungen gesetzt wurde. Dann wurden die farbig zu druckenden Teile herausgenommen, getrennt von dem schwarz zu druckenden Anteil eingefärbt und wieder in die Druckseite eingesetzt, bevor diese in den Druck ging. Damit konnte das Buch direkt aus der Druckerpresse in die Buchbinderwerkstatt gehen. Allerdings konnte sich diese aufwändige und dadurch sehr teure Technik nicht durchsetzen. Das Ausmalen und Kolorieren von Hand sollte noch bis ins 18. Jahrhundert in Gebrauch bleiben. Allerdings änderte sich mit der Zeit auch der allgemeine Geschmack und es entwickelte sich eine neue, schlichtere Buchästhetik, die auf die Farbe als Teil des Erbes einer mittelalterlicher Manuskriptkultur ganz verzichteten konnte.

Druckermarke des Peter Schöffer am
Ende von 
Valerius Maximus, 1471
Schöffer nahm Holzschnitte als Abbildungen in den Druck mit auf und produzierte 1484/1485 zwei reich illustrierte Pflanzenbücher (Herbarius Latinus und Hortus Sanitatis [1]) und Gesundheitsratgeber. Neben den technischen Neuerungen geht die Verwendung von sogenannten Druckermarken ebenfalls auf Peter Schöffel zurück. Die frühen Druckwerke der Inkunabelzeit erschienen noch ohne ein Titelblatt, sondern legten Informationen über die Urheberschaft und die Entstehung des Druckwerks in einem abschließenden, zusätzlichen Text, den sogenannten "Kolophon" (auch "Explicit") ab, die den Namen des Druckers, der Geldgeber und des Verlegers, den Druckort und ein genaues Datum enthielten. Ergänzend wurden oft bildliche Darstellungen und Symbole hinzugefügt, die den Druck als Produkt einer ganz bestimmten Werkstatt (Offizin) auswiesen und so als Urhebernachweis dienten und das Druckwerk so gegen den damals sehr verbreiteten unrechtmäßigen Nachdruck schützen sollten bzw. für die Qualität des Druckes (inhaltlich wie handwerklich) bürgten.

Zu einem europaweiten Umschlagplatz für die neuen Druckerzeugnisse aus Deutschland, Frankreich, Italien und den Niederlanden entwickelte sich die Frankfurter Messe. Verkauft wurden dabei vorwiegend Rohdrucke, d.h. ungebundene bedruckte Papierbögen, die von den Druckwerkstätten in Fässern lagernd transportiert und ausgeliefert wurden. Das Buchbinden sowie die künstlerische Ausgestaltung des Druckes mit Rubrizierungen und Illuminationen oblag anschließend dem Käufer. Zunächst wurden fast ausschließlich großformatige Folianten gedruckt, die für den Gebrauch in der kirchlichen Liturgie oder für Universitäten bestimmt waren. Erst ab 1480 setzte eine deutliche Verkleinerung der Druckformate ein. War es bislang üblich, Handschriften wie Druckwerken am Ende ein Kolophon mit den Angaben zu Schreiber bzw. Drucker und Druckort hinzuzufügen, wurden diese Angaben aus praktischen Gründen zusammen mit dem Titel des Buches nach vorne auf ein separates Titelblatt gezogen und das Buch nahm erstmals die uns heute gebräuchliche Form an. Auch die Verwendung von Seitenzahlen (Pagnierung) kam in dieser Zeit erstmals auf, ebenso wie erste gedruckte Werbeplakate für den Verkauf von Büchern. 

Seite aus Albrecht Pfisters Druck
"Der Edelstein" (1461)
Zu den frühen Zentren des Buchdrucks zählten unter anderem die Städte Bamberg und Straßburg. So druckte Albrecht Pfister in Bamberg erste Werke in deutscher Volkssprache - 1461 die Sammlung äsopischer Fabeln ”Der Edelstein“, die als das erste in deutscher Sprache gedruckte Buch überhaupt gilt, und um etwa 1470 Johannes v. TeplsAckermann aus Böhmen“, beide durchgängig mit großformatigen Holzschnitten illustriert. In Straßburg druckte Johannes Mentelin bereits um 1460 eine erste Bibelausgabe mit von ihm neu entwickelten Schrift-Typen. Außerdem druckte er Ausgaben der Schriften der Kirchenväter, zahlreiche lateinische Klassiker und auch Wolfram von Eschenbachs mittelalterliches Epos ”Parzifal. In den folgenden Jahren entstanden Druckwerkstätten in allen wichtigen deutschen Handelszentren, wie Köln, Augsburg, Nürnberg oder Lübeck. Insbesondere aber sollte sich der Export der neuen Technik über die Alpen nach Italien als Motor erweisen, der für eine Weiterverbreitung und die Hochkultur des Druckgewerbes wegweisend sein sollte. In Rom alleine entstanden bis zum Jahre 1500 vierzig Druckbetriebe, von denen 25 nachweislich mit deutschen Druckern arbeiteten. In Venedig betrieben die Brüder Johann und Wendelin von Speyer seit 1469 eine erste Druckwerkstatt, für die sie bei der Stadt ein Monopol erwirkten. Neben lateinischen Klassikern und juristischen Schriften stammte aus ihrer Werkstatt auch eine erste Ausgabe von Petrarcas Werken in der italienischen Volkssprache.

Buchseite von Francesco Colonnas
Hypnerotomachia Poliphili,
gedruckt von Aldus Manutius
Der bedeutendste Drucker Venedigs jener Epoche aber war Aldus Manutius (1449–1515). Er entwickelte die aus Deutschlad stammende Druckkunst zu hoher Kunstfertigkeit weiter. Seine "Aldinen", also die von ihm erstellten und publizierten Drucke, gelten als die schönsten bibliophilen Druckwerke der gesamten Renaissance. In Frankreich dagegen zählten vor allen Dingen die Universitäten zu den Förderern des neuen Druckgewerbes. Der Bedarf an hohen Auflagen der an den Universitäten gelehrten klassischen und humanistischen Texten ließen zahlreiche Druckereibetriebe entstehen. Bereits 1470 wurde die erste Druckerei Frankreichs an der Pariser Sorbonne gegründet und rasch folgten weitere Universitätsstädte. Vom Kontinent nach England wurde die neue Drucktechnik durch den Tuchhändler William Caxton (1422-1491), der sich in Köln zum Buchdrucker ausbilden ließ. Mit seinen ersten, noch aus Köln stammenden Typen druckte er 1475 in Brügge das erste Werk in englischer Sprache ”Recuyell of the Historyes of Troy“. In Westminster eröffnete er 1476 die erste Druckerei auf englischen Boden und begann mit dem Druck von Ablassbriefen, gefolgt von Geoffrey Chaucers berühmten ”Canterbury Tales“ (hier rezensiert im Biblionomicon [2]).

Von Mitteleuropa aus erreichte die Druckkunst 1483 Stockholm, 1503 Istambul, 1515 Saloniki, 1553 Moskau, 1556 Goa (Indien) und 1590 schließlich auch Kazuna in Japan.


Weitere Beiträge zur Mediengeschichte im Biblionomicon:
Literatur:

Donnerstag, 9. Februar 2012

Ein Homo Novus der modernen Wissenschaft - Ralf Bönt "Die Entdeckung des Lichts"

Es war einmal eine Zeit, da wurde in den Naturwissenschaften noch nicht so genau zwischen den einzelnen Disziplinen Physik und Chemie unterschieden. Überhaupt waren die Zeiten der Alchemie und dem oftmals damit verbundenen Hokuspokus noch gar nicht so lange vorbei und selbst unbestrittene Leuchttürme der Physik wie der große Isaac Newton waren begeisterte Anhänger dieser eher zweifelhaften Kunst. Wenn man "Physik" meinte, so sprach man in diesem Zusammenhang meist allgemein von "Naturphilosophie". Die Geschichte, um die es heute geht, spielt im frühen 19. Jahrhundert und erzählt uns die Lebensgeschichte eines "Homo Novus", eines "Selfmade Man" der Wissenschaften, der es zu großem Ruhm bringen sollte...

Michael Faraday wurde im ausgehenden 18. Jahrhundert in bescheidenen Verhältnissen geboren. Sein Vater verdiente seinen Lebensunterhalt als Schmied und die Familie zog zur Zeit der napoleonischen Kriege ins umtriebige London, wo der junge Michael eine Buchbinderlehre im Geschäft von George Ribeau beginnen sollte. Aber den wissbegierigen Michael interessiert auch der Inhalt der Bücher, denen er als Buchbinder von Berufswegen "neue Kleider" verpassen soll. Insbesondere naturwissenschaftliche Abhandlungen, die haben es ihm angetan.

Michael Faraday auf einem Stich
von John Cochran (um 1829) 
Eines Tages bot sich im die Gelegenheit, eine populäre naturwissenschaftliche Unterweisung des Goldschmiedes John Tatum zu besuchen, der dem staunenden Publikum die Effekte der Elektrizität und die Funktionsweise eines Blitzableiters in spektakulären Experimenten vorzuführen versteht. Tatum war Gründer der City Philosophical Society, deren Ziel darin bestand, auch Handwerkern und Lehrlingen einen Zugang zu wissenschaftlicher Bildung zu ermöglichen. Doch Michael wagt es nicht einmal davon zu träumen, selbst einen naturwissenschaftlichen Beruf zu ergreifen. Seine niedere Herkunft, seine mangelnde Schulbildung und seine ärmlichen, finanziellen Verhältnisse gestatten es ihm nicht, selbst an der Universität zu studieren. Doch er fertigt eifrig Mitschriften der besuchten Vorträge an und da geschieht eines Tages das Wunder im Buchbindergeschäft Ribeau. Der große Humphrey Davy, Chemiker an der Royal Institution und Entdecker zahlreicher chemischer Elemente hält Vorlesungen in London und ein Kunde Ribeaus, fasziniert von Faradays gebundenen Mitschriften der Vorträge John Tatums, nimmt diesen kurzerhand mit zu Davys Vorlesungen. Erneut verfasst Faraday akribische Vorlesungsaufzeichnungen, fertigt zahlreiche Skizzen zu Versuchsaufbauten an, bindet diese als Buch und schickt sein Werk an Davy mit der bescheidenen Bitte um eine Anstellung als einfacher Laborant in dessen Institut. Davy, der durch eine bei einem Experiment erlittene Augenverletzung gerade tatsächlich eine Hilfe benötigte, engagiert Faraday fortan als Gehilfen und persönlichen Assistenten.

Und das verrückte daran ist, diese Geschichte ist tatsächlich wahr. Michael Faraday wurde ohne universitäre Ausbildung als Gehilfe des Chemikers Humphrey Davy zu einem der bedeutendsten Experimentalphysiker Englands, der durch seine Arbeiten die Grundlagen des Elektromagnetismus erforschen sollte und damit ein Wegbereiter wurde für die Erfindung des Elektromotors, der Glühbirne und des von Einstein in seiner mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Dissertationsschrift entdeckten photoelektrischen Effekts.

Versuchsanordnung zum Nachweis
der elektromagnetischen Rotation
Aber Ralf Bönt in Romanform geschriebene Biografie 'Die Entdeckung des Lichts' erzählt nicht nur vom Wissensachaftler Michael Faraday. Vielmehr bringt er uns auch den Menschen Faraday näher, der vor lauter Schüchternheit mehr als nur eine kleine Ewigkeit braucht, um seine zukünftige Frau überhaupt nur anzusprechen und noch gar länger, um sie tatsächlich für ihn einzunehmen. Wir werden Zeuge von Faradays Selbstzweifeln, seinem Ringen um das Verständnis dieser neuen Sprache der modernen Naturwissenschaften, wie sie uns heute so geläufig und selbstverständlich ist. Man kann es sich wirklich kaum vorstellen, wie man sich die Fernwirkung der Kräfte des Elektromagnetismus quasi aus dem Nichts und der bloßen Anschauung der Natur erklären soll. Noch intensiver gerät die Schilderung von Faradays verzweifelten Kampf gegen die Folgen einer Quecksilbervergiftung, die er sich durch die zahlreichen mit giftigen Substanzen durchgeführten Experimente über die Jahre zugezogen hatte (mehr als 30.000 Einträge zu Experimenten sind in seinen Labortagebüchern verzeichnet). Dieses beständige Ringen mit der Krankheit und dem dadurch ausgelösten Verlust von Erinnerung und Konzentrationsfähigkeit war es auch, die den Physiker Ralf Bönt dazu bewegte, diesen Roman zu schreiben, weil ihm selbst ähnliches widerfuhr.

Margaret Carpenter:
Ada Augusta Byron King (1836)
Als obskure Nebenfigur der Handlung, erklärter Fan und glühende Anhängerin Faradays (ja fast sogar schon eine Art 'Groupie'), wird Ada Augusta King, Countess of Lovelace geschildert. Mit ihr führte Faraday einen nahezu leidenschaftlichen Briefwechsel (sofern dieser Mann mit dem stoischen Gemüt dazu überhaupt in der Lage war) und als aufmerksamer Leser des Biblionomicons kennen wir diese Dame natürlich bereits aus F.C. Delius Biografie über den Computerpionier Konrad Zuse 'Die Frau für die ich den Computer erfand' (Rezension 'Alles wegen Ada...' vom 18.08.2011). Ada war die Tochter Lord Byrons und die Mitarbeiterin von Charles Babbage, der die ersten 'mechanischen' Allgemeinrechner (Computer) der Geschichte konzipieren sollte und für die Ada die allerersten Computerprogramme schrieb. Doch das ist eine andere Geschichte.

Fazit: Schön gezeichnete biografische Geschichte über einen ungewöhnlichen Wissenschaftler, der die damalige Welt mit seinen Ideen und Experimenten revolutionieren sollte, die dabei aber den Menschen, der dahinter steht, nicht aus dem Blick verliert. Sehr zu empfehlen!

Ralf Bönt
Die Entdeckung des Lichts
btb Verlag (2011)
352 Seiten
9,99 Euro








Links:

Samstag, 4. Februar 2012

Völlig aus der Art geschlagen - Jutta Profijt 'Kühlfach-Krimis'

Die werten Leser wissen es ja schon, Kriminalromane zählen im Biblionomicon eher zu den 'Randerscheinungen'. Um so mehr freue ich mich, dass Claudia in Ihrer zweiten Gastrezension diesem von mir leichtfertig vernachlässigtem Genre ein wenig Gerechtigkeit widerfahren lässt und den Faden gleich mit einer ganzen Krimireihe aufgreift, von der ich zugegebenermaßen noch nie etwas gehört hatte. Viel Spaß also mit Claudias Kühlfach-Krimis :)

Der Titelheld der neuen „Kühlfach-Krimireihe“ schlägt - formuliere ich es vorsichtig - ein wenig aus der Art. Dennoch versteht er es wohl sein Publikum an sich zu binden. Sei es weil uns sein Schicksal rührt, oder weil er ein so herrlich erfrischendes und schnodderiges Mundwerk sein Eigen nennt. Weshalb auch immer -- "Pascha" muss man einfach ins Herz schließen. Doch ich sollte am Anfang beginnen. Unser Held, ein kleinkrimineller Autoschieber (korrekt muss es heißen ein ziemlich toter kleinkrimineller Autoschieber) findet sich bei seiner eigenen Autopsie auf dem Seziertisch von Dr. Martin Gänsewein wieder. Verständlicherweise in heller Aufregung und wild gestikulierend, versucht er sich bemerkbar zu machen, was ihm Mangels körperlicher Fähigkeit, misslingt. Lediglich sein 'behandelnder' Rechtsmediziner ist in der Lage Paschas Gedanken zu hören. Doch ihre erste Begegnung steht, in Anbetracht der eher heiklen Situation, unter keinem so guten Stern:
„Meine anfängliche Verwirrung steigerte sich zu einer ausgewachsenen Panik, als ich sah, was Martin in der Hand hielt: Ein blitzendes, verflucht scharf aussehendes Skalpell. Er setzte es an und schlitze mir den gesamten Oberkörper auf, vom Kinn abwärts in einem geraden Schnitt bis dahin, wo es wirklich nicht mehr weitergeht. (...). Mir war schlecht. Lage um Lage wurde meine Haut abgeschält (...), bis zu dem Punkt, wo es anfing, wirklich eklig zu werden. Martin fasste mir an die Eier. ‚Hey, nimm deine Wichsgriffel von meinem Sack‘, brüllte ich in höchster Not, und Martin fuhr herum, wobei er so stark zusammenzuckte, dass ich dachte, er schlitzt gleich seinen Kollegen auf. Das war der Moment, in dem ich feststellte, dass er mich hören kann.“ (S. 23) 
Dieses für Dr. Gänsewein zweifelhafte Vergnügen führt zu herrlichen Dialogen und peinlichen Ausbrüchen des enervierten Mediziners. Pascha und Martin - man kommt sich schließlich näher - sprechen nun einmal nicht dieselbe Sprache. Doch nach zahlreichen Verständigungsproblemen kämpfen beide doch um ein gemeinsames Ziel, nämlich die Aufklärung der Umstände, die zu Paschas Tod führten. War es am Ende doch Mord? Wer schwarzen Humor mag, der wird das neue Ermittlerduo lieben! Inzwischen sind bei dtv vier Romane der „Kühlfach-Reihe“ erschienen (siehe unten).

Fazit: Natürlich darf man nicht mit gehobener Literatur rechnen, wenn man einen Kühlfach-Roman aufschlägt. Aber man kann mit guter, solider Unterhaltung rechnen. Jutta Profijt ist es gelungen einen völlig neuen Ermittlertypus zu erschaffen, der zumindest für meinen Geschmack, genial komisch ist.

Jutta Profijt
Kühlfach 4
Deutscher Taschenbuch Verlag (2009)
256 Seiten
9,95 Euro








Jutta Projijt
Im Kühlfach nebenan
Deutscher Taschenbuch Verlag (2009)
288 Seiten
9,95 Euro







Jutta Profijt
Kühlfach zu vermieten
Deutscher Taschenbuch Verlag (2010)
304 Seiten
9,95 Euro








Jutta Profijt
Kühlfach betreten verboten
Deutscher Taschenbuch Verlag (2012)
320 Seiten
9,95 Euro