Sonntag, 6. November 2011

...und die Moral von der Geschicht' - William Beckford 'Vathek'

Dass diese Geschichte nicht wirklich gut ausgehen kann, das weiss der geneigte Leser schon nach einigen wenigen Seiten bzw. insofern er sich die Mühe macht und das geistreiche Vorwort des genialen und phantastischen Erzählers Jorge Luis Borges gelesen hat, das der in der Bibliothek von Babel erschienenen Ausgabe des 'Vathek' vorangestellt ist. So bleibt dem Leser nurmehr übrig zu lesen und zu staunen, was sich William Beckford als nächste Steigerung der für den nimmersatten Kalifen einfallen ließ...

Der 1760 geborene englische Autor William Beckford, der sich neben seinem literarischen Schaffen auch als Politiker, Kritiker und Kunstsammler einen Namen machte, galt als ausgesprochener Exzentriker. Als Erbe eines Millionenvermögens konnte er sich Zeit seines Lebens ausschließlich seinen persönlichen Vorlieben, der Kunst und der Architektur, sowie dem Schreiben widmen.
"Ich fürchte, ich werde nie halb so weise noch tauglich sein, zu irgend etwas als dem Komponieren von Melodien, Erbauen von Türmen, Anlegen von Gärten, Sammeln alten japanischen Porzellans und dem Verfassen einer Reise nach China oder zum Mond."
So schrieb er 1781 an seine Cousine Lady Hamilton. Seiner Vorliebe für phantastische Illusionen und Kunst-Installationen folgend, inspiriert durch ausgedehnte Reisen in fremde und exotische Kulturen, entsprang auch die Idee zu dem seinen Ruhm begründenden Roman 'Vathek', den er in einem einzigen Zug in nur drei Tagen und zwei Nächten niederschrieb.

Vathek ist der 9. Kalif des Abassidenreiches. Er lebt in größtem Luxus und ist ein Freund aller nur erdenklicher Sinnesfreuden. Gleichzeitig gilt er aber auch bei seinen Untertanen als ausgesprochen gerechter und guter Herrscher. In seiner Selbstüberschätzung lässt Vathek einen Turm von babylonischer Höhe errichten, um den Gestirnen so nahe wie möglich zu sein, damit er die Geschicke des Planeten zu enträtseln vermag und auf alle übrigen Länder des Globus herabblicken kann. Eines Tages erhält Vathek von einem fremden Händler einen edlen Krummsäbel mit einer nicht zu entziffernden Inschrift. Ein weiterer Fremder, der sich ebenfalls wie der Händler buchstäblich wieder in Luft auflöst, ist in der Lage, den sich jeden Tag ändernden Text zu lesen. War der Text am ersten Tage noch ganz nach dem Geschmack des Kalifen und versprach große Reichtümer und Macht, so birgt er kurz darauf eine Warnung:
"Weh dem Sterblichen, der zu wissen trachtet, was ihm die Vorsehung verschweigt, weh dem, der wagt, was seine Macht übersteigt."
Doch Vathek lässt sich ein auf die Magie und folgt der Stimme aus der Finsterniss, die von ihm verlangt,  dem rechten Glauben abzuschwören und die Mächte des Dunkelns anzubeten. Denn dann, so die unheimliche Prophezeiung,
"..wird sich ihm das Alcazar des unterirdischen Feuers erschließen. Unter seinen Kuppeln wird er die Schätze schauen können, die ihm die Gestirne verheißen haben, die Talismane, welche die Welt unterwerfen, die Kronreifen der präadamitischen Sultane und des Suleiman Bendaud."
Zudem soll er 50 unschuldige Knaben opfern und seinen gesamten Hofstaat der Residenz des Bösen überlassen. In seiner unersättlichen Gier willigt Vathek schließlich ein und bricht auf zu einer Reise, die ihn ins Verderben führen wird...

Beckfords Werk gilt als Wegbereiter der phantastischen Literatur. Er beeinflusste unter anderem literarische Größen wie Lord Byron, Edgar Allan Poe, Charles Baudelaire und H.P. Lovecraft. Trotz der Kürze lässt sich das Werk aber nicht ganz so einfach lesen. Zwar mutet es wie eine der zahlreichen Geschichten aus Tausend und Einer Nacht an, aber sicher nicht jeder wird auch einen Zugang zur artifiziell anmutenden exotischen Geisteswelt William Beckfords finden. Irgendwie kann man sich auch nicht des Eindrucks erwehren, dass Beckford in die Fußstapfen seines Protagonisten Vateks trat, als er sich seinen Landsitz 'Fonthill Abbey' mit einem gigantischen, mehr als 130 Meter hohen Turm errichten ließ und sich mit seiner Bibliothek, seinen Dienern, Musikern, Zwergen und Pferden als dekadenter Einsiedler aufs Land zurückzog. Allerdings stürzte der Turm von Fonthill Abbey aufgrund bautechnischer Mängel mehrmals ein und gilt heute noch als Abbild baulichen Größenwahns aufgrund technischer Unkenntniss.

Fazit: Ein schillerndes und phantastisches Märchen, das aufgrund seiner Exzentrik und seiner Bedeutung für die nachfolgende Generation der phantastischen Literatur besticht. 


William Beckford
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. Main, 1999
339 Seiten
4,99 Euro