Samstag, 13. Dezember 2014

Zu kurz geraten... - Thomas Hettche "Pfaueninsel"

Das Feuilleton ist voll des Lobes aller Orten über Thomas Hettches Roman "Pfaueninsel" [1,2,3]. Daher hatte ich mich auch riesig über dieses Gastgeschenk gefreut, über das ich heute einige Zeilen schreiben möchte. Als 'Zwergenschicksal im Potsdamer Lokalkolorit' hatte ich bereits auf Twitter meine bevorstehende Rezension angekündigt, und ich gebe zu, dass ich erst etwas über das Buch nachdenken musste, bevor ich meine Gedanken dazu zu Papier bringen wollte...

Das Buch startet in der Zeit der Napoleonischen Kriege und erzählt die Geschichte der kleinwüchsigen Maria Dorothea Strakon, die als Kind zusammen mit ihrem ebenfalls kleinwüchsigen Bruder Christian als "exotische Zugabe" auf die in der Havel gelegene Pfaueninsel bei Potsdam gebracht wird. Offiziell wird sie dort für die Zeit ihres Lebens als "Schlossjungfer" zubringen, inoffiziell sind sie und ihr Bruder nur Teil der auf Veranlassung des preußischen Königs auf dieser Insel inszenierten Phantasiewelt. Der vordergründigen Handlung stülpt Hettche das Gewand eines historischen Romans über, der den Wandel der Zeiten von einer noch vorindustriellen romantisch verklärten Welt hinein in das aufgeklärte industrielle Zeitalter thematisiert. Dabei geht es dann auch um (vergebliche) Liebe und Sexfetische,  durchsetzt mit pointierten Kurzauftritten realer und fiktionaler historischer Persönlichkeiten. Wir begegnen diversen Preußenkönigen inklusive eines Kurzauftritts der frühverstorbenen Königin Luise, dann dem Gartenkünster Peter Joseph Lenné, der die Pfaueninsel munter umgestaltet, und schließlich taucht da auch noch Adelbert von Chamissos Romanfigur Peter Schlemihl auf, der Mann der seinen Schatten verkauft hat.

Soweit so gut. Als Neupotsdamer hat dieser geschichtliche Abriss der Lokalgeschichte natürlich durchaus seine Reize. Bis gut zur Hälfte war ich auch noch begeistert von dem Buch. Doch ließ diese Begeisterung zusehends nach. Versteht mich nicht falsch, das Buch ist kein "schlechtes" Buch. Im Gegenteil, ich glaube, es ist ein Buch, das Anstoß zur Diskussion liefert. Doch den in den Feuilletons hochschlagenden Begeisterungswellen kann ich mich nicht anschließen. Da wird die Zwergin natürlich sofort mit Günter Grass' Oskar Mazerath verglichen und als dessen weiblicher Gegenpart bezeichnet [4]. Äußerlich betrachtet mag das so sein, da beide dem Leser die Auswüchse der Weltgeschichte aus ihrer eigenen jeweils speziellen Perspektive vorzuführen verstehen. Aber zwischen beiden Romanen liegen Welten. Ich glaube nicht, dass man sich an die Pfaueninsel auch noch nach 50 Jahren noch erinnern wird, die die Blechtrommel jetzt schon hinter sich hat. Stellenweise hatte ich auch das Gefühl, Hettche versucht das große Vorbild allzusehr nachzuahmen, besonders wenn es dann um das Thema Sex geht.

Andererseits spiegelt sich der Zeitenwandel in der Schilderung der wechselnden Anmutungen und Nutzungsformen der Pfaueninsel sehr treffend wider. Dann fehlt es der Darstellung aber doch an Esprit und Schwung, wenn sie mehr und mehr ins Melancholische und Vorhersagbare abgleitet. Auch an Daniel Kehlmanns Vermessung der Welt hatte ich mich stellenweise erinnert gefühlt, doch können sich die Dialoge der Pfaueninsel nicht mit denen der (Kult)Figuren Kehlmanns messen [5]. Dann sind da noch die eingestreuten Kommentare des Erzählers, der klar und deutlich aus der Jetztzeit spricht und damit dem Buch eine in historischen Romanen ungewohnte, aber durchaus lesenswerte Seite abgewinnt.
"Jede Mißbildung fühlt sich an wie eine Schuld, denn es klebt an ihr die Verunsicherung der natürlichen und moralischen Ordnung der Welt.[...] Immer, wußte Augustinus, ist Häßlichkeit Ausdruck der Gottesferne." (Seite 204)
Zusammenfassend ist die Pfaueninsel für mich durchaus ein lesenswertes Buch, auch wenn ein schaler Nachgeschmack nach der Lektüre zurückgeblieben ist. Sprachlich zeugt es, wohlgeschliffen wie es ist, von großer Sorgfalt. Aber es bleibt das Gefühl, dass da noch mehr gegangen wäre...

Bibliografische Referenzen:
[3] Hubert Winkels: Im Paradies die Monster, die ZEIT, 13.09.2014