Mittwoch, 3. Februar 2016

Georg Trakl - Rausch und Poesie


Verfall - Georg Trakl (1909)

Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten,
Folg ich der Vögel wundervollen Flügen,
Die lang geschart, gleich frommen Pilgerzügen,
Entschwinden in den herbstlich klaren Weiten.
Hinwandelnd durch den dämmervollen Garten
Träum ich nach ihren helleren Geschicken
Und fühl der Stunden Weiser kaum mehr rücken.
So folg ich über Wolken ihren Fahrten.
Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern.
Die Amsel klagt in den entlaubten Zweigen.
Es schwankt der rote Wein an rostigen Gittern,
Indes wie blasser Kinder Todesreigen
Um dunkle Brunnenränder, die verwittern,
Im Wind sich fröstelnd blaue Astern neigen.

Es gibt nicht allzu viele Dichter, deren Verse mich wirklich anrühren. Einer von ihnen ist der österreichische expressionistische Dichter Georg Trakl, der am 3. Februar 1887 geboren wurde und am 3. November 1914, also gleich zu Beginn des 1. Weltkriegs viel zu früh verstarb. Anknüpfend an Rimbaud, Verlaine und Baudelaire verdüstern Trakls Gedichte das Gemüt des Lesers mit dunklen Bildern des Abends und der Nacht, des Sterbens, des Todes und des Vergehens. Nur manchmal verirrt sich ein dünner Lichtstrahl der Hoffnung in seine Szenerien, ganz so wie die "fröstelnd blauen Astern" aus seinem Gedicht "Verfall", in dem er 1909 die melancholische Stimmung eines Herbstabends versucht hat einzufangen.
Jung ist der Dichter 1914 gestorben. Gleich zu Beginn des Krieges im August 1914 wurde er als Militärapotheker ins österreichische Heer einberufen. In der Schlacht bei Gródek (das heutige Horodok in der Ukraine) hatte er gut einhundert Schwerverwundete unter widrigsten Bedingungen allein und ohne zureichendes Material zu versorgen. Zwei Tage und zwei Nächte arbeitete er ohne Unterbrechung im Lazarett, das später in der Presse als eine der „Todesgruben von Galizien“ bezeichnet wurde. Sein Unvermögen zu helfen lässt ihn an sich und der Welt verzweifeln und er erleidet einen Nervenzusammenbruch. 
Er versucht sich zu erschießen, doch seine Kameraden können ihn gerade noch davon abhalten. Nach einem Fluchtversuch wird er zur Beobachtung seines Geisteszustandes in ein Krakauer Militärhospital eingewiesen. Am Abend des 3. November 1914 stirbt er dort nach Einnahme einer Überdosis Kokain an Herzstillstand. Ob es sich dabei um einen Unfall oder um Suizid handelt, bleibt ungeklärt.