Mittwoch, 12. September 2007

Wie Umberto Eco Unsterblichen bei der Berufswahl unter die Arme greifen würde: Elisabeth Kostova - Der Historiker

Es wird Herbst. Irgendwie führt jetzt kein Weg daran mehr vorbei. Alles Ignorieren hat ein Ende, wenn der (sonst gepflegte) Rasen in einem braunen Blättermeer zu ertrinken droht und die überreifen Eicheln und Kastanien es nahelegen, die (manchmal noch sonnigen) Alleen nur noch mit Schutzhelm entlang zu schlendern (...ihr glaubt gar nicht, was für eine Gewalt in solch einer herabfallenden Eichel -- Eichen können ziemlich hoch werden -- steckt...so geschehen an meinem ersten Tag hier in Potsdam...). Aber irgendwie passt dieses Wetter und diese Stimmung gut zu dem Roman, den ich heute besprechen möchte: Elisabeth Kostovas "Der Historiker".
Vollmündig als 'Bester Historienthriller seit Umberto Ecos Name der Rose' angekündigt hatte ich natürlich große Erwartungen in das Erstlingswerk Elisabeth Kostovas gesetzt, das den Mythos 'Draculas' in neuem Gewand erzählt.

Eigentlich beginnt alles recht harmlos. Die Erzählerin schildert Begebenheiten aus ihrer Kindheit in den 70er Jahren, in denen Sie mit ihrem Vater, einem Historiker, quer durch Europa reist. Als sie beim Stöbern in der väterlichen Bibliothek auf ein Bündel alter Briefe stößt (Bram Stoker lässt grüßen...), die mit den Zeilen "An meinen bedauernswerten Nachfolger" beginnen, gerät sie einem Geheimnis auf die Spur, das sie Zeit ihres Lebens verfolgen soll. Es geht zunächst um die Geschichte ihres Vaters, wie er in den 50er Jahren als Student versucht, dem mysteriösen Verschwinden seines Doktorvaters Professor Rossi (von dem die besagten Briefe stammen) unterstützt von dessen Tochter auf die Spur zu kommen. Als Historiker kam Prof. Rossi bereits in den 30er Jahren (3. Handlungsstrang) bei seinen Forschungsarbeiten mit der Geschichte um 'Vlad Tepes', dem Wojwoden der Walachei, dem Schrecken der Türken, genannt 'Vlad der Pfähler' besser bekannt als 'Vlad Dracula' in Berührung und geriet auf die Spur eines verhängnisvollen Geheimnisses...

Elisabeth Kostova führt uns bei ihrer 'Schnitzeljagd' quer durch Osteuropa. Jugoslawien, Ungarn, Bulgarien und die Türkei stehen auf dem Programm und man merkt deutlich, wie sehr der Autorin diese Weltgegend und ihre Bewohner ans Herz gewachsen sind. Dabei beschränkt sich die jeweilige Schilderung (mit Ausnahme des Handlungsstranges in den 30er Jahren) auf die kommunistische Ära, was sie nicht weniger liebenswürdig macht. Auch wartet der Roman mit einer Vielzahl (anscheinend wohlrecherchierter) historischer Fakten und Geschichten rund um Konstantinopel (die Eroberung der Stadt durch die Türken im Jahre 1453) und das alte Byzantinische Reich (als legitimer Nachfolger Roms) auf, die heute nicht unbedingt mehr zu unserem Bildungskanon zählen und daher mitunter hochinteressant sind.

Der fantastische Anteil des Romans (es geht ja schließlich um Vampire) hält sich dabei sehr in Grenzen, ebenso wie der Roman ohne großes Blutvergießen auskommt. Hauptgegenstand und Leitmotiv ist die 'Schnitzeljagd' nach Draculas Grab durch Bibliotheken, Klöster und Archive, die die Protagonisten aller Handlungsstränge und Zeiten durch ganz Osteuropa treibt und (Gott sei Dank) dabei (mehr oder weniger) auf dem Boden der Realität bleibt. Dennoch -- und das macht die ganze Sache sehr spannend -- geschehen mysteriöse Dinge, deren Aufklärung der Leser entgegenfiebert.

Dracula wird als historische Persönlichkeit geschildert ebenso wie der tatsächlich existierende und in Osteuropa beheimatete Vampyrglaube (Untote, die an sich kein 'Blut' trinken sondern eher den Hinterbliebenen in der Art eines Albtraums erscheinen...siehe hierzu auch einen hervorragenden Vortrag aus der Abteilung Slawistik).
(ACHTUNG SPOILERWARNUNG:::JETZT NICHT WEITERLESEN) Als Dracula dann endlich in Erscheinung tritt.....wen wundert's.....ist er ebenfalls ein 'Historiker'. Womit sonst auch soll ein Untoter (=Unsterblicher) seine Zeit verbringen, als sich mit (teils erlebter) Geschichte zu befassen und dabei seiner Sammel- und Archivleidenschaft zu fröhnen. (SPOILERENDE:::HIER WIEDER WEITERLESEN)
Aber keine Sorge, es wird noch weitaus dramatischer.

Das Buch ist überaus unterhaltsam geschrieben, auch wenn mich dieses Cliffhanger-Konzept beim Abwechseln der unterschiedlichen Handlungsstränge irgendwann mal in den Wahnsinn treibt. Aber -- Kostova hat ganze Arbeit geleistet. Alle Handlungsstränge und Knoten werden zuverlässig und widerspruchsfrei aufgelöst -- eine Kunst, die nur die wenigsten Autoren mit solcher Leichtigkeit vollbringen, wie es hier der Fall ist. Das Buch macht eigentlich Lust auf mehr, d.h. auch auf einen Besuch in den dort geschilderten Metropolen Osteuropas (insbesondere Budapest und Istanbul). Der Vergleich mit Umberto Eco ist nicht ganz verkehrt. Kostova gelingt eine gute Mischung zwischen Thriller und Historie -- auch wenn sie es nicht mit Ecos sprachlicher Gewandheit und philosophischem Hintergrund aufnehmen kann. Aber das Buch hat keine Fußnoten (was ich persönlich bedaure, da ich ein großer Fan von Fußnoten bin und Hinweise auf Quellen und Fakten -- auch wenn sie manchmal wie bei Eco lediglich erfunden sind -- liebe).

Fazit: Der Historiker ist ein verdammt spannender Historien-Thriller nicht nur für Liebhaber des Phantastischen und verspricht auf alle Fälle einige lange (aber bestimmt nicht langweilige) Herbstabende. LESEBEFEHL! ... am Besten bei trüben Regenwetter vor dem offenen Kamin.

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