Samstag, 19. September 2009

Was für eine Mischpoche - Charles Levinsky "Melnitz"


Es wird langsam Zeit, dass ich eine Rezension zu dieser in jeder Hinsicht überdimensionalen Chronik einer jüdischen Familie in der Schweiz schreibe, denn ich schiebe diese schwierige Aufgabe schon seit Monaten vor mir her. Schwierig, weil einfach viel zu viel auf diesen mehr als 700 engbedruckten Seiten passiert, als dass es sich in wenigen Zeilen zusammenfassen ließe. Nichtsdestotrotz werde ich den Versuch unternehmen....

Charles Lewinsky erzählt in seinem Roman "Melnitz" die Geschichte einer jüdischen Familie in der Schweiz über vier Generationen hinweg und spinnt damit einen Faden, der 1871 mit dem Tod des Onkel Melnitz beginnt und bis zum 2. Weltkrieg reicht. Onkel Melnitz ist tot und die sieben Tage der Trauer (Schiwe) sind zu Ende.

An einem stürmischen Abend steht plötzlich ein französischer Soldat - Janki - vor dem Haus der Familie Meijer und verlangt, eingelassen zu werden. Ohne viel Fragen zu stellen akzeptiert die Familie Janki als einen entfernten Verwandten und nimmt ihn bei sich auf. Doch der neue Mitbewohner bringt alle mächtig durcheinander. Viehhändler Salomon Meijer, seine Frau Golde und die beiden Töchter - Miriam, die sich gerne 'Mimi' nennen lässt und statt jiddisch lieber französisch parliert, und das Adoptivkind Chanele, die von der Familie eher wie eine Magd behandelt wird - sie alle täuschen sich in Janki, was zu vielerlei Irrungen und Wirrungen führen wird....

So folgt Charles Levinsky der Familie Meijer durch vier Generationen hindurch in einzelnen großen Kapiteln, zwischen denen jeweils etwa 20 Jahre vergehen. Liebe und Hoffnung, Trauer und Enttäuschung, geschäftlicher Erfolg und Versagen - jede Generation ringt, wenn auch oft in unterschiedlichen Variationen, mit denselben menschlichen und gesellschaftlichen Problemen. Dabei wird der Zusammenhalt der Familie immer wieder aufs Neue auf die Probe gestellt. Eng verknüpft ist diese generationenübergreifende Geschichte mit dem Ringen der Juden um Anerkennung, auch in der Schweiz. Eine besondere Rolle spielt dabei der tote Onkel Melnitz, der immer wieder wie selbstverständlich auftaucht, und der mit den Hauptfiguren ins Gericht geht, um ihnen ihre besondere Situation als Juden vor Augen zu führen und ins Gedächtnis zu rufen. "Er ist der Geist aller Geschundenen und Ermordeten, aller Verfolgten und aller gefolterten Juden."

Levinsky erzählt diese melancholische Generationengeschichte mit großer Leichtigkeit - auch wenn das Buch mitunter einige Längen aufweist. Der Leser erlebt jüdische Traditionen wie aus erster Hand, fremde Begriffe werden dazu in einem Glossar am Ende des Buches erläutert. Dabei schlägt der Autor meist nur die leisen Töne an und charakterisiert seine Hauptakteure mit großer Liebe zum Detail. Das Grundthema macht aus dem einfachen Familienroman ein nachdenkliches Werk, das aufgrund seiner Vielfalt nicht unbedingt einfach zu lesen ist. Alleine die große Zahl an handelnden Personen und die manchmal etwas verzwickten Verwandschaftsverhältnisse nötigen den Leser öfters einmal zurückzublättern und nachzuschlagen.

Fazit: Ein großer Familienroman, der durch seinen leisen, melancholischen Unterton und seine Komplexität nicht für die kurze Lektüre zwischendurch geeignet ist, sondern am besten mundet, wenn man etwas mehr Zeit am Stück darauf investieren kann. Auch wenn er einige kleinere Längen aufweist, war die Lektüre für mich doch ein großer Gewinn und hat mich nachhaltig beeindruckt. LESEN!

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