Sonntag, 14. März 2010

Eine Weltverschwörung aus dem vorrevolutionären Russland - Boris Akunin "Detektiv Fandorin ermittelt in Moskau"

Also wie ich eigentlich auf dieses Buch gestoßen bin, kann ich beim besten Willen nicht mehr genau sagen. Eigentlich hatte ich es entdeckt, als ich für meine Mutter - eine passionierte Krimi-Leserin - neues 'Lesefutter' gesucht habe und dabei diesmal etwas ausgefallen Ungewöhnliches für sie zum Schmöckern auftreiben wollte. Und etwas ungewohnt kommt Boris Akunins Roman "Fandorin" schon daher, der eine ganze Serie mit eben demselben Detektiv begründen sollte...

Wir befinden uns im vorrevolutionären Russland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auch in Moskau hält mit dem Fernschreiber (Baudot-Telegraph), modernen polizeilichen Ermittlungsmethoden, dem Herren-Stützkorsett Marke "Lord Byron" und sogar den ersten Prototypen des Telefons die unaufhaltsam heranpreschende Moderne Einzug. Erast Petrowitsch Fandorin, mit 19 Jahren bereits Vollwaise, verarmter Sohn eines "Brausekopfs", der sein Vermögen in "windigen Projekten" gewonnen und auch wieder verloren hatte, arbeitet als kleiner Schriftführer bei der Moskauer Polizei. Im Alexandergarten erschießt sich ein Student aus unerfindlichen Gründen vor den Augen einer verdutzten jungen Frau und ihrer Gouvernante, und es wird nicht der einzige Vorfall dieser Art bleiben.

Handelt es sich einfach um den Lebensüberdruss einer dekadenten Jugend? Stecken etwa die seit kurzem in Russland agierenden Anarchisten hinter dem Ganzen? Interessant dabei bleibt, dass die Betroffenen stets ihr gesamtes Vermögen ein und demselben "Guten Zweck" zukommen lassen: den 'Asternaten', Erziehungsheimen für Waisenkinder der weltbekannten britischen Wohltäterin Lady Aster. Als Fandorin bei seinen Ermittlungen beinahe erstochen wird - nur "Lord Byron", das Korsett das er zur optimalen Formgebung von Taille und Haltung trägt bewahrt ihn vor dem sicheren Tod - ist er von einer Verschwörung überzeugt. Doch wer steckt hinter dem Ganzen?

Fandorins Ermittlungen führen ihn in den Salon einer atemberaubenden eiskalten Schönheit, der die Männerherzen Moskaus zu Füßen liegen. Als ein weiterer prominenter junger Mann stirbt, wird der bekannteste Ermittler des russischen Reiches aus Petersburg hinzugezogen: Iwan Franzewitsch Brilling, der mit modernsten Methoden der kriminalistischen Ermittlungstechnik arbeitet. Er erkennt schnell Fandorins verborgenes kriminalistisches Talent und schickt ihn in geheimer Mission quer durch Europa auf den Spuren eben jener mysteriösen Schönheit, um die Verschwörer dingfest zu machen und um Schlimmeres zu verhindern.

Natürlich verrate ich bei einem Kriminalroman nicht mehr als unbedingt nötig. Daher wird es auch keine weiteren Hinweise zum Plot der spannenden Geschichte geben, die ihren berühmten Vorbildern Sherlock Holmes (Arthur Conan Doyle), Auguste Dupin (Edgar Allan Poe) oder Hercule Poirot (Agatha Christie) nacheifert und dabei auch den Hunger nach den aktuell so gern gesehenen (Welt-)Verschwörungstheorien bedient. Zwar muss der geneigte Leser erst einige Seiten mit der Einführung recht schwieriger russischer Eigennamen über sich ergehen lassen (Fandorins Moskauer Vorgesetzter etwa trägt den für westliche Zungen schwierigen Namen Xaveri Feofilaktowitsch Gruschin), aber hat man sich erst einmal an das russische Lokalkolorit gewöhnt, überzeugt der Roman mit atemloser Spannung, augenzwinkernder Selbstironie und einer gehörigen Portion Sprachwitz. Die Epoche des späten 19. Jahrhunderts wird von Akunin sehr schön skizziert und das Aufeinandertreffen von westlicher Moderne und zaristischer Tradition gibt diesem Kriminalroman eine sehr eigenwillige Färbung. An dieser Stelle sollte ich erwähnen, dass der Roman meiner Mutter nicht besonders gut gefallen hat. Ich habe ihn dagegen mit großem Vergnügen auf einer Zugfahrt Berlin - Frankfurt - Berlin fast in einem Rutsch durchgelesen.

Fazit: ungewöhnlicher Kriminalroman mit russischem Lokalkolorit in den Fußstapfen literarischer Schwergewichte, die das Genre seinerzeit begründet haben. Lesen!

Links: