Mittwoch, 28. Juli 2010

Die absurd-komische Paradoxie des Krieges - Joseph Heller 'Catch 22'

Ein Paradoxon oder Paradox ist frei nach Wikipedia ein scheinbarer oder tatsächlich unauflösbarer, unerwarteter Widerspruch. Darunter fallen auch Phänomene und Fragen, die dem menschlichen Verstand bzw. der Intuition widersprechen, oder aber auch eine rhetorische Stilfigur, die in scheinbaren Widersprüchen eine tiefere Wahrheit veranschaulichen will. Joseph Hellers Anti-Kriegsroman aus den 1960er Jahren ist prall angefüllt mit solchen Paradoxien und die tiefe Wahrheit, die es uns vermitteln will, liegt in der absoluten Sinnlosigkeit des Krieges. Ok, eigentlich habe ich damit das Wichtigste dieser mehr als 500 engbedruckten Seiten bereits in zwei Sätzen zusammengefasst. Was könnte uns sonst noch an diesem Roman interessieren?

Joseph Heller wurde 1923 geboren und nahm aktiv als gerade einmal 20-Jähriger als Bombenschütze eines auf Korsika stationierten Geschwaders der US Army Airforce am 2. Weltkrieg teil. Nach dem Krieg arbeitete er ab 1950 als Englisch-Professor an der Pennsylvania State University und wechselte bereits 2 Jahre später in die Werbung. Seine Kriegserlebnisse verarbeitete er Anfang der 1960er Jahre in seinem berühmtesten Roman 'Catch 22', der 1970 sehr erfolgreich mit Alan Arkin, Orson Welles, Anthony Perkins, Martin Sheen und Jon Voight verfilmt wurde.

"Jedesmal, wenn Du einen Einsatz fliegst, bist Du nur Zentimeter vom Tode entfernt. Wieviel älter kannst Du in Deinem Alter noch werden?..."(Seite 46)

Natürlich fragt man sich zuerst, was der Name 'Catch 22' wohl bedeutet. Im Deutschen lässt sich diese Redewendung wohl am Besten mit 'Dilemma' oder 'Zwickmühle' übersetzen und charakterisiert eine ausweglose, paradoxe Situation, der man -- egal wie man sich entscheidet -- nicht entrinnen kann. Hauptfigur des Romans ist der Bombenschütze Captain John Yossarian, stationiert mit seinem B-25 Bomberverband auf der fiktiven Mittelmeerinsel Pianosa. Yossarian setzt alles daran, keine weiteren Einsätze mehr fliegen zu müssen. Obwohl er bereits über fünfzig Einsätze hinter sich hat, erhöht ein karrieresüchtiger Colonel jedesmal erneut die Anzahl der notwendigen Einsätze, bevor ein Besatzungsmitglied verdientermaßen nach Hause geschickt werden kann. Yossarian täuscht ein schwer diagnostizierbares Leberleiden vor und verbringt viel Zeit auf der Krankenstation des Verbandes.

Als er dem selbst ständig kränkelnden Feldarzt Doc Daneka -- der viel lieber zu Hause seine Privatpatienten versorgen würde -- mitteilt, dass er sich fluguntauglich schreiben lassen möchte, weil er nicht mehr zurechnungsfähig sei, macht er erstmals Bekanntschaft mit der paradoxen Vorschrift (Catch 22). Diese besagt, dass nur derjenige fluguntauglich geschrieben und nach Hause geschickt werden darf, wer geisteskrank ist und sich selbst fluguntauglich meldet. Wer aber selbst verlangt, nach Hause geschickt zu werden, kann nicht geisteskrank sein und wird entsprechend nicht nach Hause geschickt. Schließlich ist der Wunsch, sein Leben durch die Verweigerung des Kriegsdienstes zu retten, ein Beweis für das tadellose Funktionieren des Verstandes. Ein Dilemma also, aus dem man nicht entkommt. Natürlich gibt es diese Vorschrift überhaupt nicht, was aber überhaupt keinen Unterschied macht, solange alle daran glauben.

"Der Mensch ist Materie...Man werfe ihn aus dem Fenster, und er wird fallen. Man zünde ihn an, und er wird brennen. Man begrabe ihn, und er wird faulen wie anderer Abfall auch. Vom Leben verlassen, ist der Mensch Abfall."(Seite 532)

Das Buch ist in einzelne Kapitel benannt nach den mitwirkenden Personen unterteilt, die in diesen Kapiteln jeweils näher vorgestellt werden. So möchte Colonel Cathcart unbedingt im Newsweek Magazin erwähnt werden und ersinnt überaus abstruse Pläne, wie dies zu bewerkstelligen sei (möglichst schmucke Bombenteppichmuster, ein gemeinsames Gebet vor dem Einsatz...nur kann es dabei nicht angehen, dass (a) Manschaften und Offiziere zusammen beten und (b) dann auch noch zum selben Gott, oder vervielfältigte Musterbriefe, die verschickt werden, sobald ein Geschwadermitglied nicht mehr aus dem Einsatz zurückkehrt...). General Peckem und General Dreedle, die sich nicht ausstehen können, und vorwiegend elaborierte Memoranden schreiben. So ist es z.B. das erklärte Ziel, die Kriegshandlungen unbedingt der Verantwortung der Truppenbetreuung unterstellen zu lassen. Ganz besonders hat mir aber der schüchterne Major Major gefallen, der eigentlich Major (Dienstgrad) Major M. (ajor) Major heißt, seinen Dienstgrad aber nur der Unfähigkeit einer Lochkartensortiermaschine verdankt, und bei jeder Gelegenheit aus dem Fenster seines Bürozeltes verschwindet, um nur ja keine Entscheidungen treffen zu müssen.

"In Wirklichkeit war Major Major von einer IBM-Maschine befördert worden, die einen fast ebenso ausgeprägten Sinn für Humor besaß, wie sein Vater."(Seite 105)

Milo Minderbinder untersteht die Messe (Küche) und er nutzt seinen Posten, um ein international agierendes Schwarzmarktkartell unter Nutzung der von der Airforce gebotenen Infrastruktur aufzubauen, wobei er auch nicht davor zurückschreckt, mit dem Feind Geschäfte zu machen. Dies geht sogar so weit, dass er das eigene Geschwader (von eigenen Maschinen) bombadieren lässt, nur weil es ein gutes Geschäft war. Orr aber ist anscheinend der verückteste von allen. Nach außen ein harmloser, naiver Kerl, doch gelingt es ihm am Ende dem ganzen Kriegsirrsinn ein Schnippchen zu schlagen.

"Orr war imstande, sich mit der Sturheit und der Lautlosigkeit eines Klotzes in eine unbedeutende Arbeit zu vertiefen, ohne je ungeduldig zu werden oder das Interesse zu verlieren. Und dazu besaß er eine geradezu unheimlich anmutende Kenntnis der Natur, fürchtete sich weder vor Hunden noch Katzen, vor Käfern oder Motten und auch nicht vor Gerichten wie Kutteln oder Schwarzsauer."(Seite 380)

All diese liebevoll geschilderten, abstrusen und seltsam verrückten Gestalten sollen vor allen Dingen eines: die Absurdität des Krieges und die absolute Unfähigkeit des Militärs aufzeigen. Und das gelingt Heller dabei wirklich recht eindrucksvoll. Dabei ist der Roman prall gefüllt mit kleinen Anekdoten und eindringlich geschilderten, teils beklemmenden Momentaufnahmen und Bildern. Zum Teil versteht das Buch seinen Leser zu fesseln, an anderen Stellen jedoch geht Heller auch schon mal einen Schritt zu weit oder verliert sich im Abstrusen. Dies macht die Geschichte vor allen Dingen nicht leicht zu lesen und ich hatte zwischendurch des öfteren gute Lust, das Buch zur Seite zu legen. Aber letztendlich forderte es mich doch immer wieder von neuem heraus und auch wenn es mich fast einen ganzen Monat gekostet hat, so hat es sich am Ende doch gelohnt.

Fazit: Abstruser Anti-Kriegsroman mit skurilen Protagonisten, einigen Längen und Tiefgang. Ein Stück Weltliteratur, aber nichts für jedermanns Geschmack.

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