Mittwoch, 23. Dezember 2009

Ende gut, alles gut - Jane Austen "Emma"

Nein, um Jane Austens Romane zu lesen und zu lieben muss man nicht weiblichen Geschlechts oder gar schwul sein. Im Gegenteil eröffnen sie doch auch dem geneigten männlichen Leser ungeahnte Einblicke in die Lebenswelt des frühen 19. Jahrhunderts und lassen uns Teil haben an Lebens-, Liebes- und Beziehungsmüh einer lange untergegangenen Epoche, deren Nachwirkungen aber auch noch in unserer heutigen Zeit ihre Gültigkeit besitzen und vor allen Dingen eines tun: auf humorvoll ironische Weise zu unterhalten.

Als aller erstes war ich bereits vor Jahren begeistert, als ich Jane Austens "Stolz und Vorurteil" in die Hände bekam. Obwohl ich zuerst eine dröge Erzählung um 'verzweifelte Liebesmüh' erwartete, war ich schnell eines Besseren belehrt und Jane Austen errang in meinem Bücherregal einen bevorzugten Platz, den sie auch mit dem erst später gelesenen "Kloster Northanger" behaupten konnte (zugegebenermaßen hat das Frühwerk des "Klosters Northanger" - ebenfalls hier im biblionomicon besprochen - noch lange nicht das Format von "Stolz und Vorurteil", trägt aber bereits die typischen augenzwinkernden Züge Jane Austens). Aber kommen wir zu "Emma".
"Emma Woodhouse, hübsch, klug und reich, im Besitz eines gemütlichen Heims sowie einer glücklichen Veranlagung, vereinigte sichtlich einige der besten Gaben des Lebens auf sich. Sie war schon fast 21 Jahre auf der Welt, ohne je wirklich Schweres oder Beunruhigendes erlebt zu haben."
So startet der Roman mit der Vorstellung seiner Protagonistin, einer energischen jungen Frau, um die sich herum ein selbstverschuldetes Labyrinth aus Irrungen und Wirrungen um Liebe und Ehe entfaltet. Emma ist reichlich verwöhnt und überschätzt vor allem Ihre Menschenkenntnis verbunden mit der (Un-)Fähigkeit, Freunde und Bekannte mit dem ihrer Meinung nach passenden Gegenstück verkuppeln zu wollen. So mischt sie sich wiederholt in das Leben anderer ein, um prompt auch immer wieder Schiffbruch zu erleiden. Fehlinterpretationen und Missverständnisse sorgen immer wieder für vermeidbare Komplikationen sowohl in ihrem Leben als auch dem ihrer Freunde und Bekannten.

Emma lebt zusammen mit ihrem hypochondrischen Vater, der stets um jedes bisschen Zugluft besorgt ist und damit sich und anderen das Leben schwer macht. George Knightley ("Mr. Knightley"), der Freund und Nachbar ihres Vaters, ist der einzige, dessen Kritik sie akzeptiert und dessen väterliche Freundschaft sie ohne Vorbehalte genießt. Sein Bruder John Knightley ist mit Emmas älterer Schwester Isabella verheiratet und lebt mit seiner Familie in London, das mehr als eine Tagesreise entfernt liegt. Der Roman beginnt mit der Hochzeit von Miss Taylor, Emmas Freundin und früherer Gouvernante, von nun an Mrs. Weston. War es doch Emma, die ihrer Freundin den zukünftigen Gatten vorgestellt hatte, so lässt sie diese glückliche Vermittlung an ihre Fähigkeiten als "Ehestifterin" und Kupplerin glauben, die allerdings in Zukunft so ganz und gar nicht von Erfolg gekrönt sein werden.

Zahlreiche weitere Figuren werden von Jane Austen in liebevoller und detailverliebter Weise eingeführt, in deren Leben sich Emma früher oder später einmischen wird. Darunter auch ihre Freundin Harriet Smith, illegitimer Sproß eines reichen Kaufmanns, der sie fälschlicherweise einredet, dass der in sie verliebte Gentleman-Farmer Mr. Martin unter ihrer Würde und vor allen Dingen unter ihrem Stand wäre. Dann lernen wir noch Jane Fairfax kennen, die bei ihrer in ärmlichen Verhältnissen lebenden Tante Miss Bates lebt, und die noch zu Emmas vermeintlicher Rivalin werden soll, als es gilt die Gunst von Frank Churchill zu erwerben, dem Stiefsohn ihrer Freundin Mrs. Weston.

So entspinnt sich zwischen den liebevoll charakterisierten Figuren ein von Irrungen und Wirrungen getragener Reigen um Liebe und Ehe, bei dem sich aber dann doch wie bei Jane Austen üblich am Ende alles "zum Guten" wenden soll. Was das aber konkret heißt, das muss der geneigte Leser bzw. die geneigte Leserin am besten selbst herausfinden. Ich kann versprechen, dass dieser über 500 engbedruckte Seiten lange Roman stets unterhält, zum Schmunzeln anregt und stellenweise auch fesseln kann. Überwiegend bedient sich Jane Austen des Dialogs als treffendes Stilmittel ihrer Darstellung - auch wenn sich beim männlichen Leser dadurch vielleicht so manches Vorurteil über typisch "weibliche Geschwätzigkeit" bestätigt finden mag. Aber es ist ja auch gerade diese präzise funkelnde und geschliffene Sprache, die in den Dialogen zum Vorschein kommt, und die von der Übersetzerin Charlotte Gräfin von Klinkowstroem so wundervoll getroffen wurde. Sie verschaffen den Figuren auf subtile Weise feingliedrige und wohlüberlegte Ecken und Kanten und heben so den Roman auf das Niveau eines zeitlosen Klassikers und Meisterwerks. Auch die zeitgenössischen Illustrationen von Hugh Thompson, die einer Ausgabe von 1896 entnommen sind, unterstützen das Gefühl beim Leser, direkt in eine Epoche entführt zu werden, die ihm in ungewohnt plastischer und lebendiger Weise vor Augen geführt wird - auch wenn es sich "nur" um die (heile) Welt des damaligen englischen (Groß-)bürgertums handelt.

Interessant ist in diesem Roman Jane Austens auch, dass Emma im Gegensatz zu den Hauptfiguren von "Stolz und Vorurteil" oder "Verstand und Gefühl" von Anfang an keinerlei Sorgen um ihre wirtschaftliche Zukunft haben muss. Dies ist auch der Grund dafür, warum sie eigentlich niemals heiraten möchte. Jane Fairfax als Nebenfigur dagegen folgt der für Austen üblichen Konstellation, da sie keinerlei Mittel besitzt und ihre Zukunft für sie entweder eine Anstellung als Gouvernante und Lehrerin bzw. eine finanziell aussichtsreiche Heirat vorsehen muss. Ebenfalls ungewöhnlich für Jane Austens Figuren ist es, dass sich bei Emma kaum romantische Gefühle breit machen - zumindest nicht bis Seite 484. Natürlich erkennt Emma, wenn auch spät, dass man sich nicht immer in das Liebesleben von Freunden und Bekannten einmischen sollte, insbesondere, wenn es einem an eigener Erfahrung darin mangelt.
"Sie hatte in ihrer unerträglichen Eitelkeit geglaubt, jedermanns geheimste Gefühle zu kennen, mit unverzeihlichem Hochmut versucht, die Geschicke anderer zu lenken. Es war klar geworden, daß sie sich rundum getäuscht, und nicht etwa nichts getan, sondern auch noch Schaden angerichtet hatte..."
Fazit: Die passende Lektüre für die Feiertage. Einfach abtauchen in Jane Austens Fabelwelt des frühen 19. Jahrhunderts und den Reigen der Gefühle miterleben, die stets auf ein wohliges und angenehmes Ende hoffen lassen. Eine sprachliche Pretiose, sicherlich nicht jedermanns Geschmack, aber auf alle Fälle etwas ganz besonderes.

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