Mittwoch, 28. März 2018

Ende Gut, alles Gut - Jane Austen - Vernunft und Gefühl

Ich zähle Jane Austen zu den wenigen Autoren, denen selbst 200 Jahre Welt- und Kulturgeschichte nichts von ihrer Attraktivität nehmen können. Natürlich haben sich die Zeiten seither gehörig gewandelt, doch einige Rahmenbedingungen und Grundgedanken aus dem Werk dieser heute immer noch interessanten Autorin haben dennoch Bestand: das ewige Hin- und Her der Gefühle verbunden mit gesellschaftlichen Konventionen und Erwartungshaltungen, kombiniert mit Heroinnen, die sich an diesen 'natürlich gegebenen Schranken' reiben, diese ironisch aufs Korn nehmen und trotz allem am Ende mit einem Happy Ending belohnt werden. Und irgendwie ist das Ganze dann auch noch ungemein unterhaltsam.
"Die Familie Dashwood war schon seit langem in Sussex ansässig. " (erster Satz aus "Vernunft und Gefühl")
Zugegeben, der erste Satz ist nicht so gigantisch, verglichen mit dem weltbekannten Anfang ihres Romans "Stolz und Vorurteil" (wir werden noch darauf zurückkommen....), aber das macht das Buch nicht weniger lesenswert. Heute geht es also um Jane Austens "Vernunft und Gefühl" (in alternativer Übersetzung auch "Verstand und Gefühl", original "Sense and Sensibility"), einer ihrer frühen Romane, die sie um 1795 als noch nicht Zwanzigjährige verfasste. Veröffentlicht wurde der Roman erst 1811. Auch wenn ich selten etwas zu den jeweils von mir gelesenen Ausgaben schreibe, möchte ich nicht versäumen darauf hinzuweisen, dass ich die kleinen gebundenen Bändchen des Manesse-Verlages besonders wertschätze. Zum Einen wegen ihrer hohen buchgestalterischen Qualität und natürlich wegen ihrer Handlichkeit, nehmen sie doch im Regal oder in der Tasche aufgrund ihres Formats und des Dünndrucks unterwegs kaum Platz in Anspruch. Ja, ich weiß, als eBook nimmt die Geschichte natürlich noch weniger Raum in Anspruch, aber bei Manesse bleibe ich eben doch ein 'rückständiges Fossil'.





Weitere Rezensionen zu und um Jane Austen im Biblionomicon

Mittwoch, 3. Februar 2016

Georg Trakl - Rausch und Poesie


Verfall - Georg Trakl (1909)

Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten,
Folg ich der Vögel wundervollen Flügen,
Die lang geschart, gleich frommen Pilgerzügen,
Entschwinden in den herbstlich klaren Weiten.
Hinwandelnd durch den dämmervollen Garten
Träum ich nach ihren helleren Geschicken
Und fühl der Stunden Weiser kaum mehr rücken.
So folg ich über Wolken ihren Fahrten.
Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern.
Die Amsel klagt in den entlaubten Zweigen.
Es schwankt der rote Wein an rostigen Gittern,
Indes wie blasser Kinder Todesreigen
Um dunkle Brunnenränder, die verwittern,
Im Wind sich fröstelnd blaue Astern neigen.

Es gibt nicht allzu viele Dichter, deren Verse mich wirklich anrühren. Einer von ihnen ist der österreichische expressionistische Dichter Georg Trakl, der am 3. Februar 1887 geboren wurde und am 3. November 1914, also gleich zu Beginn des 1. Weltkriegs viel zu früh verstarb. Anknüpfend an Rimbaud, Verlaine und Baudelaire verdüstern Trakls Gedichte das Gemüt des Lesers mit dunklen Bildern des Abends und der Nacht, des Sterbens, des Todes und des Vergehens. Nur manchmal verirrt sich ein dünner Lichtstrahl der Hoffnung in seine Szenerien, ganz so wie die "fröstelnd blauen Astern" aus seinem Gedicht "Verfall", in dem er 1909 die melancholische Stimmung eines Herbstabends versucht hat einzufangen.
Jung ist der Dichter 1914 gestorben. Gleich zu Beginn des Krieges im August 1914 wurde er als Militärapotheker ins österreichische Heer einberufen. In der Schlacht bei Gródek (das heutige Horodok in der Ukraine) hatte er gut einhundert Schwerverwundete unter widrigsten Bedingungen allein und ohne zureichendes Material zu versorgen. Zwei Tage und zwei Nächte arbeitete er ohne Unterbrechung im Lazarett, das später in der Presse als eine der „Todesgruben von Galizien“ bezeichnet wurde. Sein Unvermögen zu helfen lässt ihn an sich und der Welt verzweifeln und er erleidet einen Nervenzusammenbruch. 
Er versucht sich zu erschießen, doch seine Kameraden können ihn gerade noch davon abhalten. Nach einem Fluchtversuch wird er zur Beobachtung seines Geisteszustandes in ein Krakauer Militärhospital eingewiesen. Am Abend des 3. November 1914 stirbt er dort nach Einnahme einer Überdosis Kokain an Herzstillstand. Ob es sich dabei um einen Unfall oder um Suizid handelt, bleibt ungeklärt. 

Samstag, 13. Dezember 2014

Zu kurz geraten... - Thomas Hettche "Pfaueninsel"

Das Feuilleton ist voll des Lobes aller Orten über Thomas Hettches Roman "Pfaueninsel" [1,2,3]. Daher hatte ich mich auch riesig über dieses Gastgeschenk gefreut, über das ich heute einige Zeilen schreiben möchte. Als 'Zwergenschicksal im Potsdamer Lokalkolorit' hatte ich bereits auf Twitter meine bevorstehende Rezension angekündigt, und ich gebe zu, dass ich erst etwas über das Buch nachdenken musste, bevor ich meine Gedanken dazu zu Papier bringen wollte...

Das Buch startet in der Zeit der Napoleonischen Kriege und erzählt die Geschichte der kleinwüchsigen Maria Dorothea Strakon, die als Kind zusammen mit ihrem ebenfalls kleinwüchsigen Bruder Christian als "exotische Zugabe" auf die in der Havel gelegene Pfaueninsel bei Potsdam gebracht wird. Offiziell wird sie dort für die Zeit ihres Lebens als "Schlossjungfer" zubringen, inoffiziell sind sie und ihr Bruder nur Teil der auf Veranlassung des preußischen Königs auf dieser Insel inszenierten Phantasiewelt. Der vordergründigen Handlung stülpt Hettche das Gewand eines historischen Romans über, der den Wandel der Zeiten von einer noch vorindustriellen romantisch verklärten Welt hinein in das aufgeklärte industrielle Zeitalter thematisiert. Dabei geht es dann auch um (vergebliche) Liebe und Sexfetische,  durchsetzt mit pointierten Kurzauftritten realer und fiktionaler historischer Persönlichkeiten. Wir begegnen diversen Preußenkönigen inklusive eines Kurzauftritts der frühverstorbenen Königin Luise, dann dem Gartenkünster Peter Joseph Lenné, der die Pfaueninsel munter umgestaltet, und schließlich taucht da auch noch Adelbert von Chamissos Romanfigur Peter Schlemihl auf, der Mann der seinen Schatten verkauft hat.

Soweit so gut. Als Neupotsdamer hat dieser geschichtliche Abriss der Lokalgeschichte natürlich durchaus seine Reize. Bis gut zur Hälfte war ich auch noch begeistert von dem Buch. Doch ließ diese Begeisterung zusehends nach. Versteht mich nicht falsch, das Buch ist kein "schlechtes" Buch. Im Gegenteil, ich glaube, es ist ein Buch, das Anstoß zur Diskussion liefert. Doch den in den Feuilletons hochschlagenden Begeisterungswellen kann ich mich nicht anschließen. Da wird die Zwergin natürlich sofort mit Günter Grass' Oskar Mazerath verglichen und als dessen weiblicher Gegenpart bezeichnet [4]. Äußerlich betrachtet mag das so sein, da beide dem Leser die Auswüchse der Weltgeschichte aus ihrer eigenen jeweils speziellen Perspektive vorzuführen verstehen. Aber zwischen beiden Romanen liegen Welten. Ich glaube nicht, dass man sich an die Pfaueninsel auch noch nach 50 Jahren noch erinnern wird, die die Blechtrommel jetzt schon hinter sich hat. Stellenweise hatte ich auch das Gefühl, Hettche versucht das große Vorbild allzusehr nachzuahmen, besonders wenn es dann um das Thema Sex geht.

Andererseits spiegelt sich der Zeitenwandel in der Schilderung der wechselnden Anmutungen und Nutzungsformen der Pfaueninsel sehr treffend wider. Dann fehlt es der Darstellung aber doch an Esprit und Schwung, wenn sie mehr und mehr ins Melancholische und Vorhersagbare abgleitet. Auch an Daniel Kehlmanns Vermessung der Welt hatte ich mich stellenweise erinnert gefühlt, doch können sich die Dialoge der Pfaueninsel nicht mit denen der (Kult)Figuren Kehlmanns messen [5]. Dann sind da noch die eingestreuten Kommentare des Erzählers, der klar und deutlich aus der Jetztzeit spricht und damit dem Buch eine in historischen Romanen ungewohnte, aber durchaus lesenswerte Seite abgewinnt.
"Jede Mißbildung fühlt sich an wie eine Schuld, denn es klebt an ihr die Verunsicherung der natürlichen und moralischen Ordnung der Welt.[...] Immer, wußte Augustinus, ist Häßlichkeit Ausdruck der Gottesferne." (Seite 204)
Zusammenfassend ist die Pfaueninsel für mich durchaus ein lesenswertes Buch, auch wenn ein schaler Nachgeschmack nach der Lektüre zurückgeblieben ist. Sprachlich zeugt es, wohlgeschliffen wie es ist, von großer Sorgfalt. Aber es bleibt das Gefühl, dass da noch mehr gegangen wäre...

Bibliografische Referenzen:
[3] Hubert Winkels: Im Paradies die Monster, die ZEIT, 13.09.2014

Sonntag, 9. November 2014

Schräge Geschichten - Nathaniel Hawthorne "Das große Steingesicht"

Der nächste Band der von Jorge Luis Borges herausgegebenen Bibliothek von Babel ist dem großen amerikanischen Schriftsteller Nathaniel Hawthorne und seinen Kurzgeschichten gewidmet. Hawthorne entstammte einer alteingesessenen Puritanerfamilie aus Salem, Massachussets, und am bekanntesten dürfte wohl sein Werk "Der scharlachrote Buchstabe" (The Scarlett Letter) sein, in dem er sich einem Thema aus seiner lokalen puritanischen Vergangenheit annimmt. Ich hatte dieses Buch vor etwa 15 Jahren mit nur mäßiger Begeisterung gelesen, aber beurteile es heute etwas differenzierter. Es spielt zur Zeit gegen Ende des 17. Jahrhunderts in Neuengland und erzählt die Geschichte der Ehebrecherin Hester Prynne, die trotz öffentlicher Anprangerung den Vater ihres illegitimen Kindes nicht nennen will, und die zur Strafe den scharlachroten Buchstaben "A" auf der Brust tragen muss. Aber um dieses Buch soll es heute gar nicht gehen.

Nathaniel Hawthorne ist auch durch seine Kurzgeschichten bekannt, von denen der vorliegende Band eine kleine Auswahl zusammenstellt. Wie in der Bibliothek von Babel üblich, erwartet der Leser phantastische Geschichten. Allerdings sind Hawthornes Geschichten nur im weitesten Sinne phantastisch, d,h, sie erzählen von bizarren Vorgängen oder sind als bloße Allegorien zu verstehen.
"Es ist ein großer Fehler, versucht man, unsere besten Gedanken in menschliche Sprache zu bringen. Wenn wir in die höheren Regionen des Gefühlsmäßigen und des geistigen Genusses steigen, sind sie nur durch so erhabene Hieroglyphen wie diese hier rings um uns auszudrücken." (Nathaniel Hawthorne, aus Der Marmorfaun")
Da ist die Geschichte von "Wakefield", einem in jeder Hinsicht ziemlich "durchschnittlichen" Zeitgenossen. Aus einer eigenen Laune heraus beschließt er vorgeblich nur für kurze Zeit das Haus zu verlassen, kehrt aber erst nach 20 Jahren wieder zurück. Das Absurde daran ist, Wakefield bezieht für die Zeit ein Haus in der Nachbarschaft, in dem er unerkannt lebt. Leider erschließt sich die Absicht Wakefields nicht wirklich und lässt den geneigten Leser mehr oder weniger verstört zurück.

Die märchenhafte Erzählung "Das Steingesicht", die dem Band seinen Namen gibt, führt uns in ein amerikanisches Tal mit einem besonderen Naturphänomen. Im nahen Gebirge erscheint eine Felswand wie das Abbild eines ehrwürdigen und weisen Mannes. Der Legende zur Folge wird einst ein Mann in das Tal kommen, der das Ebenbild des Steingesichts ist und mit sich die Erlösung bringen wird.

Wirklich phantastisch dagegen erscheint "Das Brandopfer der Erde", in der die Bürger beschließen, alle Müllberge irgendwo in einer der weiten amerikanischen Ebenen einfach zu verbrennen. Erst einmal angefacht, ereifern sich Reformer, doch allen weiteren "unnützen" Unrat den Flammen zu übergeben, um reinen Tisch zu machen.

Meine Lieblingsgeschichte ist "Mr. Higginbothams Katastrophe", in der ein fahrender Tabakhändler zufällig von einer finsteren Gestalt unterwegs die unerhörte Neuigkeit vom schändlichen Mord an Mr. Higginbotham erfährt. Natürlich erzählt so ein fahrender Händler eine solch großartige Geschichte gerne weiter und schmückt sie dabei gerne noch mit fehlenden Details aus, die das Ganze noch "interessanter" machen. Schade nur, dass ihm einer seiner Zuhörer frei heraus entgegnet, dass er Mr. Higginbotham gerade eben noch quicklebendig gesehen hätte. Kann das sein? Irgendetwas stimmt offensichtlich nicht an dieser seltsamen Geschichte.

Abgeschlossen wird der Band mit der Geschichte "Des Pfarrers schwarzer Schleier", in der von einem Pfarrer erzählt wird, der plötzlich einen Schleier trägt und diesen tatsächlich bis zu seinem Tode nicht wieder abnehmen wird. Insgesamt verläuft erzählt Hawthornes Erzählfluss geruhsam und ohne signifikante Höhepunkte. Die Geschichten spiegeln bizarre Ereignisse wieder, ohne diesen tatsächlich auf den Grund zu gehen oder immer eine befriedigende Lösung anzubieten. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Hawthorne sehr von seinem dunkleren, romantischen Zeitgenossen Edgar Allan Poe.

Fazit: Merkwürdige Geschichten, die vom Leser ein aktives Nachdenken erwarten und sich nicht so leicht erschließen. Nur für Liebhaber!

Weitere Rezensionen im Biblionomicon zur 'Bibliothek von Babel':

Sonntag, 12. Oktober 2014

A Dream within a Dream - Lord Dunsany "Das Land des Yann"

"All that we see or seem, is but a dream within a dream..." heißt es in einem berühmten 1849 veröffentlichten Gedicht von Edgar Allan Poe. Und wie in einer Traumwelt gefangen, so fühlt sich auch der Leser der Geschichten von Lord Dunsany, dem irischen Schriftsteller phantastischer Literatur, Edward John Moreton Drax Plunkett, 18. Baron of Dunsany. Wie schon so oft bei meinen Buchbesprechungen, so ist auch dieser Stoff nur bedingt geeignet für den Durchschnittsleser, da auch die in der Übersetzung vorliegende Sprache reichlich pittoresk und antiquiert daherkommt.
"Ich schreibe niemals über Dinge, die ich gesehen habe, nur über die, von denen ich geträumt habe." (Lord Dunsany, 1878-1957)
Ich bin sicher, dass nur wenige meiner Leser bislang etwas von Lord Dunsany gehört haben werden, diesem Sproß einer alten und wohlhabenden irischen Adelsfamilie mit seinem berühmten Vorfahren Oliver Plunckett, dem Verteidiger des Katholizismus zur Zeit der Katholikenverfolgung unter Oliver Cromwell, der sogar von der römisch-katholischen Kirche heilig gesprochen wurde. Neben seinen literarischen Ambitionen verfolgte Edward Plunkett eine für seine Klasse eher typische Laufbahn: Eton College, Sandhurst Militärakademie, dann Einsatz im Burenkrieg in Südafrika und im 1. Weltkrieg. Er war ein guter Cricketspieler und hat es laut Wikipedia sogar zum irischen Meister im Pistolenschießen gebracht. Daneben zeichnete er sich auch als ausgezeichneter Schachspieler, Großwildjäger und Exzentriker aus, von dem behauptet wird, er hätte alle seine Werke mit Hilfe einer Gänsefeder geschrieben und der zudem mit William Buttler Yeats einen der bedeutendsten Lyriker des 20. Jahrhunderts zu seinen Bekannten zählte.

Sie sind "anders", intensiv und irgendwie etwas besonderes, die Geschichten von Lord Dunsany. Bereits mit den ersten Sätzen hat man das Gefühl man betritt einen Traum, der einen bis zur letzten Zeile tief in seinen Abgründen gefangen halten wird. So beschreibt die Geschichte "Das Land des Yann", nach der dieser 8. Band der "Bibliothek von Babel" seinen Namen trägt, die abenteuerliche Fahrt auf dem sagenumwobenen Strom Yann mit dem Handelsschiff 'Sturmvogel', in der der Erzähler die Wunder der exotischen Städte und Länder an dessen Ufern bestaunen wird. Aber der Leser fühlt sich wie in einer Art Nebel gefangen. Nichts wird allzu konkret oder detailliert, vieles wird nur angedeutet und man irrt fremdgeleitet durch Dunsanys bizarre und farbenreiche Traumwelt.

Meine Lieblingsgeschichte in diesem Buch ist die Geschichte vom 'Bureau d'exchange de Maux', in der der Erzähler von einem verwunschenen kleinen Geschäft in Paris erzählt, in der man Übel und Leiden aller Art wie in einer Tauschbörse handeln kann. Der fette, alte Ladeninhaber "mit hängenden Backen und verderbten Blick", dem man "jedes Geschäft mit der Hölle hätt' zutrauen mögen" bietet seinen Klienten für nur 20 Francs die Möglichkeit, die eigenen Übel gegen die eines anderen einzutauschen. Hat man einen geeigneten Tauschpartner gefunden, besiegelt man für weitere 50 Francs Maklergebühr das Geschäft und geht wieder seiner Wege. Natürlich wird unser neugierig gewordener Erzähler diese Tauschbörse auch selbst einmal ausprobieren, aber was dabei herauskommt, werde ich hier natürlich nicht verraten.

Dunsany beeinflusste zahlreiche Autoren des 20. Jahrhunderts, allen voran H. P. Lovecraft, Clark Ashton Smith, Arthur C. Clarke, Jorge Luis Borges, aber auch J.R.R. Tolkien oder Filmemacher Guillermo del Torro.

Fazit: Geschichten wie Traumfragmente, vorgetragen in einer blumenreich ausgeschmückten Sprache, aber auf alle Fälle wert, wiederentdeckt zu werden!

Weitere Rezensionen im Biblionomicon zur 'Bibliothek von Babel':

Sonntag, 16. Februar 2014

Bildgewaltiger Ritt ins Verderben - Honoré de Balzac 'Verlorene Illusionen'

Nach meiner letzten eher unangenehmen Erfahrung mit Honoré de Balzac (vgl. Die verhängnisvolle Sucht nach Wissen - Honoré de Balzac 'Der Stein der Weisen'), hatte ich mir zugegebenermaßen etwas Zeit genommen, bevor ich wieder eines seiner Werke in die Hand genommen habe. Wahrscheinlich lag es - so meine Vermutung - an der sehr alten Übersetzung des letzten Bandes, dessen Ausgabe schon weit über 100 Jahre zählt. Doch sollte ich diesmal nicht wieder enttäuscht werden. Zwar war meine schöne Ausgabe der 'Verlorenen Illusionen' aus dem Insel Verlag mit knapp 90 Jahren ähnlich alt, aber im Gegensatz zum 'Stein der Weisen' in einer weitaus moderneren und lebendigeren Sprache verfasst. Leider fehlen in beiden Bänden die Angaben zum Übersetzer. Insgesamt war die Geschichte trotz der voluminösen 750 Seiten Dünndruck und Frakturschrift wirklich spannend, so dass ich das Buch kaum aus den Händen legen konnte. Aber ich will nicht schon wieder das Ende einer Rezension vorweg nehmen....

Kommen wir also zuerst einmal zur Geschichte, die Balzac hier erzählt, und die zu einer der vielen Episoden aus seiner großen 'Menschlichen Kommödie' zählt. Der Roman versetzt uns in die Zeit um 1820,  die Zeit der französischen Restauration kurz nach der endgültigen Abdankung Napoleons, in die südfranzösischen Provinz. Lucien Chardon heißt der gutaussehende und talentierte Held der Geschichte, Sohn eines kleinbürgerlichen Apothekers und einer Hebamme, die aus dem altehrwürdigen Geschlecht der de Rubempré stammt und zur Zeit des Terrors der französischen Revolution nur durch Falschaussage ihres Mannes vor dem Schafott gerettet wird. Der literarisch ambitionierte Lucien wird zum Günstling der deutlich älteren Madame de Bargeton, in die er sich auch noch verliebt. Lucien arbeitet in der kleinen und verschuldeten Druckerei seines Freundes David Sechard, der Luciens Schwester Eva heiraten wird und mit dieser stets um Luciens Fortkommen bemüht sein wird. Leider soll das den beiden später noch zum Verhängnis werden. Das Verhältnis zwischen Lucien und Mdme de Bargenton droht sich zum Skandal zu entwickeln und die beiden fliehen nach Paris. Doch die feine Gesellschaft von Paris wird Lucien, das kleinbürgerliche Landei aus der Provinz nicht akzeptieren. Mdme de Bargenton lässt ihren Günstling fallen, der sich bereits mit der Anschaffung seiner ersten, leider unpassenden Garderobe finanziell völlig ruiniert hat. Nahe der Verzweiflung trifft Lucien auf den armen Literaten d'Arthez und dessen philosophischen Zirkel. Im krassen Gegensatz zu diesen bettelarmen Freunden steht seine Bekanntschaft mit dem Journalisten Lousteau, der Lucien in die Welt der Regenbogenpresse einführen wird. Lucien beschließt, es mit dem Journalismus aufzunehmen und dabei gleichzeitig seine hohen moralischen Werte zu wahren. Doch sein Scheitern ist bereits vorprogrammiert. Da ist auch gleich die Versuchung mit Hilfe seiner neugewonnenen Macht der Medien schreckliche Rache zu nehmen an Mdme de Bargenton und ihresgleichen, denen Luciens Abstammung nie gut genug sein konnte. Doch die sind alles andere als dumm und drehen den Spieß um. Lucien gerät jetzt in den Focus eines Komplotts, indem die ach so feine Gesellschaft ihm vorgaukelt, sie könnten die Anerkennung des verlorenen Adelstitels seiner Familie beim König selbst durchsetzen. In seiner Eitelkeit gepackt, steuert Lucien weiter auf sein Verderben zu, in das er auch seine Freunde mitreißen wird.
Den edlen Seelen gelingt es schwer, an das Böse und an die Undankbarkeit zu glauben, und sie brauchen harte Lektionen, ehe sie das Ausmaß der menschlichen Korruption erkennen. (aus 'Verlorene Illusionen')
Das Ende möchte ich wie üblich nicht an dieser Stelle vorwegnehmen. Allerdings, und darauf bin ich jetzt schon gespannt, geht die Geschichte um Lucien noch weiter, und zwar in Balzacs 'Glanz und Elend der Kurtisanen'. Was mir so gut an diesem Roman gefallen hat ist hier die Kombination Balzacs behutsamer aber detaillierter Schilderung der Zeit der französischen Restauration, als Ludwig, der XVIII. die Regierungsgewalt übernimmt und alte royalistische Seilschaften wieder zurück ans Licht der Gesellschaft führt. Aber da ist auch eine neue Gewalt im Staate und das ist die Presse. Die Presse entscheidet über das Wohl und Wehe, und das nicht nur bei Theaterstücken oder Schauspielerinnen. Nein, auch im öffentlichen Leben und in der Politik ist man auf Gedeih und Verderb auf das Wohlwollen der Presse angewiesen. Diese neue Welt der Presse ist es, in die uns Balzac in seinem Roman Stück für Stück einführt. Aber man muss mit dieser Macht weise umzugehen wissen, damit man nicht selbst ins Räderwerk der Verleumdungen gerät. Der Held Lucien hat hohe Ambitionen, aber verhängnisvoller für ihn wird sich sein stets präsentes Minderwertigkeitsgefühl für ihn auswirken. Würde er doch so gerne den Adelstitel seiner Mutter führen dürfen, um Zugang zur Welt der Adeligen zu finden, die auf ihn herabschauen. Aber er wird bitter enttäuscht werden.

Fazit: Großartiges gesellschaftskritisches Werk Balzacs, das den Leser mit seiner Bildgewalt unweigerlich in seinen Bann ziehen wird. Lesen!

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Freitag, 7. Februar 2014

Es war die beste und die schönste Zeit...

Natürlich, wie sollte es auch anders sein, zum Geburtstag des großen Erzählers Charles Dickens (7. Februar 1812) natürlich der bekannteste "erste Satz" aus seinen Werken. Zu seiner Weihnachtsgeschichte hatte ich ja schon einmal einen kurzen Beitrag. Heute also "Eine Geschichte von zwei Städten". Bevor ich überhaupt irgendetwas von Charles Dickens gelesen hatte, kannte ich schon diesen berühmten Romananfang. Ich weiß nicht, wo ich ihn das erste Mal gehört habe. Aller Wahrscheinlichkeit nach aber irgendwo im Fernsehen. Ja, es gab auch Zeiten, in denen es Spaß gemacht hat, Literatursendungen im Fernsehen zu verfolgen. Aber die Zeiten des "literarischen Quartetts" sind ein für allemal vorbei. Bleiben wir bei Dickens.

Das 1859 erschienene "Eine Geschichte von zwei Städten" ist mit über 200 Millionen verkauften Ausgaben das meistgedruckte englischsprachige Buch aller Zeiten und gehört zu den berühmtesten Werken der Weltliteratur. Schauplatz des Romans sind die beiden Metropolen Paris und London. Dickens erzählt die Lebensgeschichte von Dr. Manette, seiner Tochter Lucie und deren Ehemann Charles Darnay in den Wirren der Französischen Revolution. Als Charles von den Revolutionären zum Tode verurteilt wird, rettet ihm der junge Anwalt Sydney Carton, der (natürlich) in Lucie verliebt ist, das Leben: Anstelle von Lucies Gatten besteigt Sydney das Schafott und geht für ihn in den Tod.

Ein typischer Schmachtfetzen in Dickens'scher Manier. Aber mag man ihn ob des versprühten Pathos schelten wie man will, der Mann kann erzählen. Und das kann er so gut, dass ich an der Geschichte dranblieb, obwohl mir das ganze Herz-Schmerz-Pathos eigentlich viel zu dick aufgetragen war. Aber entscheidet selbst. Wie kann man bei einem derartigen Anfang mit dem Lesen gleich wieder aufhören....
"Es war die beste und die schönste Zeit, ein Jahrhundert der Weisheit und des Unsinns, eine Epoche des Glaubens und des Unglaubens, eine Periode des Lichts und der Finsternis. Es war der Frühling der Hoffnung und der Winter des Verzweifelns. Wir hatten alles, wir hatten nichts vor uns; wir steuerten alle unmittelbar dem Himmel zu und auch alle unmittelbar in die entgegengesetzte Richtung – mit einem Wort, die Periode glich der unsrigen so wenig, daß ihre lärmendsten Tonangeber im Guten wie im Bösen nur den Superlativgrad des Vergleichens auf sie angewendet wissen wollten."

Sonntag, 2. Februar 2014

Auf eigene Gefahr - Mikael Niemi 'Populärmusik aus Vittula'

Wie ich zu dem Buch gekommen bin? Es war ein Geschenk! Tatsache, es wurde uns geschenkt, dazu noch zu unserer Hochzeit... Nein, ich hab' das jetzt erst einmal nicht als 'Anspielung' verstanden, da ich bzw. wir doch bislang nur wenig mit Nordschweden gemein haben. Nein, das Buch wurde uns auch nicht von den Schweden-Aficionados aus unserem Bekanntenkreis geschenkt. Aber Spaß hatte ich dann doch beim Lesen dieses ungewöhnlichen Coming-of-age Romans, der den Leser in die entlegenen Gebiete Nordschwedens Ende der 1960er Jahre entführt und ganz und gar in seinen Bann zieht...

Also meiner Meinung nach übertreibt der Verlag, wenn er sich auf dem Cover mit der Rezension aus der 'Brigitte' brüstet mit "Das großartigste Buch des Jahres...". Am besten man relativiert das erst einmal mit der Quelle (=Brigitte), die sich ja nicht unbedingt mit literaraturkritischen Großtaten hervortut. Mikael Niemi legt mit 'Populärmusik aus Vittula' die schwedische Comedy-Variante eines typischen Entwicklungsromans vor, der (natürlich) nicht wirklich die Klasse eines seiner berühmten Vorbilder erreichen kann - und es höchstwahrscheinlich auch gar nicht darauf abzielt. Nun, Schweden, insbesondere Nordschweden ist für uns Mitteleuropäer mehr oder minder 'Terra Incognita', also unbekanntes Territorium. Daher kann uns der Autor ja Vieles darüber erzählen, und wir müssen dann es erst einmal glauben. Es ist ein hartes und raues Leben im tornedalischen Pajala, genauso rau wie seine Einwohner. Hier wachsen in den 1960er Jahren Matti und sein schweigsamer Jugendfreund Niila auf, in der Grenzregion zwischen Schweden und Finnland fernab vom Rest der Welt.
"Unser Viertel wurde im Volksmund Vittulajänkkä genannt, was in der Übersetzung Fotzenmoor bedeutet. Der Ursprung des Namens war unklar, kam aber sicher daher, dass hier soviele Kinder geboren wurden. In vielen der Hütten gab es fünf Kinder, manchmal auch mehr, und der Name wurde zu einer Art Lobgesang der weiblichen Fruchtbarkeit." (Seite 12)
In haarsträubend komischen, mitunter auch traumartigen Episoden schildert Niemi das Leben und Heranwachsen seines Protagonisten, das geprägt ist von ausufernden Familienfeiern, Sauna- und Männlichkeitsritualen von barocken Dimensionen,  sowie dem zaghaften Sichannähern an die den Protagonisten bislang unbekannte Welt des weiblichen Geschlechts. Zudem dringt auch die Popkultur - zunächst in Form einer geradezu unerhörten Schallplatte - in die fernen, gottverlassenen nordschwedischen Regionen vor. Der Effekt, den diese Musik auf die Freundinnen von Mattis großer Schwester ausübt, bleibt den beiden Freunden nicht verborgen, und schnell ist der Plan gefasst, selbst eine Popband zu gründen. Ok, ein Instrument spielen oder gar singen kann keiner der beiden, aber es ist ja bekanntlich der Wille, der zählt, sowie die Aussicht auf Anerkennung bei den Mädchen.
"Feierlich legte ich sie auf den Plattenspieler und senkte den Tonabnehmer. Drehte die Lautstärke auf. Es knisterte leise... Ein Lärm! Das Gewitter brach los. Ein Pulverfass explodierte und sprengte das Zimmer. Der Sauerstoff ging zur Neige, wir wurden gegen die Wände geschleudert, waren an die Tapete gepresst, während sich die Kammer in rasender Fahrt drehte. Wir klebten wie die Briefmarken fest, das Blut wurde uns ins Herz gepresst, sammelte sich in einem darmroten Klumpen, bevor alles kehrt machte und in die andere Richtung sprang, bis in die Finger und Zehenspitzen, rote Speerspuren von Blut im ganzen Körper, bis wir wie die Fische nach Luft schnappten." (Seite 89)
Matti beginnt also auf der Gitarre zu dilettieren, während sein Vater ihn beiseite nimmt, um ihn über die Risiken des Erwachsenwerdens aufzuklären. Das Gefährlichste für ihn sei immer noch das (in seinen Augen oft exzessive) Bücherlesen, das bekanntlich geradewegs zur Geisteskrankheit führt. Aber Matti hat ja statt Lesen andere Dinge im Kopf. Um den Traum von seiner Popband zu verwirklichen übernimmt er in den Ferien für einen Touristen eine überaus unappetitliche Rattenvernichtungsaktion, mit der er sich die heiß ersehnte Elektrogitarre finanzieren möchte. Die Aktion gerät außer Kontrolle, stinkende Leichenberge und Massengräber (für die Ratten) sind die Folge. Natürlich passt das zusammen mit der Tatsache, dass es sich bei dem Touristen um einen ehemaligen Wehrmachtssoldaten handelt, der seine finnischen Kriegserinnerungen schriftstellerisch aufarbeiten möchte. Als ob das Leben eines Heranwachsenden noch nicht kompliziert genug wäre...

Das Buch hat mich gut unterhalten, auch wenn ich mich öfters an der platten, von Kraftausdrücken durchsetzten Sprache gestört habe. Aber die gehört ja zum Heranwachsen dazu und gibt den Figuren ein entsprechend plastisches Gesicht. Auch wenn einige der Episoden wirklich köstlich sind, habe ich das Buch am Ende doch ein wenig enttäuscht aus der Hand gelegt. Aber so ist das ja auch mit dem Erwachsenwerden. Die wenigsten von uns sind doch Astronaut oder Geheimagent geworden.

Fazit: Origineller Coming-of-Age Roman aus der einsamen nordschwedischen Provinz, den man nicht allzu ernst nehmen sollte. Lesen (und Amüsieren) auf eigene Gefahr...



Sonntag, 26. Januar 2014

Steve Toltz - Vatermord und andere Familienvergnügen

Also bislang hatte ich noch nichts von australischen Autoren gelesen. Die Gründe dafür...? Naja, mir scheint einfach noch nicht allzu viel Australisches in die Hände gefallen zu sein. Ich werde mich auch davor hüten, meine Erfahrungen mit dem australischen Autor Steve Toltz jetzt unzulässigerweise zu verallgemeinern und daraus ein allgemeines Bild über die australische Literatur abzuleiten. Tatsächlich würde ich ihr gerne "trotz" Steve Toltz noch einmal eine Chance geben wollen. Aber ich möchte mein Urteil über sein Buch "Vatermord und andere Familienvergnügen" nicht schon vorweg nehmen. Tatsächlich war ich bei der Lektüre über lange Strecken recht zwiegespalten, ob es mich amüsieren sollte oder ob es mir einfach nur auf die Nerven geht...

Aber alles der Reihe nach. Das Buch erzählt eine ungewöhnliche Familiengeschichte: die Geschichte von Jasper Dean, seinem Vater Martin und dessen Bruder Terry. Martin ist ein seltsamer Typ, ein depressiver Philosoph, ein Misanthrop, der geborene Verlierer, dem nichts so recht in seinem Leben gelingen will. Die ersten Jahre seines Lebens verbringt er erst einmal im Koma. Sein erster großer Versuch die Welt und damit das Leben seiner Mitbewohner in der kleinen australischen Stadt zu verbessern, ist zum Scheitern verurteilt. Heimlich installiert er am Rathaus eine anonyme "Vorschlagsbox", aber die braven Bürger nutzen diese nicht nur um gute Ideen unterzubringen, die anschließend zur Abstimmung in einer öffentlichen Versammlung verlesen werden, sondern sie denunzieren und hetzen gegen ihre lieben Mitmenschen. Martins Vorschlagbox wächst sich letztendlich zur Wurzel allen Übels heraus, die am Ende sogar für den Untergang des Städtchens in einem Buschfeuer verantwortlich zeichnet.

Im Gegensatz zu Martin ist sein jüngerer Bruder Terry zunächst einmal die Sportskanone in der Familie. Allerdings führt eine Verletzung - ein Messerstich ins Bein - dazu, dass er auf die schiefe Bahn gerät, zum Berufsverbrecher wird und letztendlich zum meistgesuchten Mann Australiens. Seiner Popularität tut dies keinen Abbruch. Im Gegenteil, er wird zu einem Volkshelden, da er Attentate auf Spitzensportler verübt, die gedopt haben oder sich haben kaufen lassen, da dies seinem Verständnis von sportlicher Fairness und Fair Play widerspricht. Ironie des Schicksals: Terrys Vater hatte sich in der kleinen Stadt einst für den Bau eines neuen Gefängnisses engagiert, in das Terry am Ende eingeliefert wird, so dass der Vater seinen Sohn von der Terrasse aus mit dem Fernglas beim täglichen Freigang beobachten kann.

Zwischen diesen beiden Charakteren steht jetzt Jasper Dean. Sein Vater Martin taugt nicht recht zum Vorbild, aber sein Onkel Terry als Krimineller erst recht nicht. Und wenn man glaubt, die Story wäre jetzt schon ein wenig abstrus, so geht es nun erst richtig zur Sache in immer haarsträubenderen Unfällen, Verbrechen und anderen Katastrophen. Und dabei kommt wirklich alles zusammen. Aber ich werde diesen folgenden Teil der Familiengeschichte nicht vorwegnehmen, falls sich der ein oder andere Leser jetzt zur Lektüre ermuntert fühlen sollte.

Steve Toltz versucht sich an einer humoristischen Erzählung, die bisweilen aber hart an der Kalauergrenze des "guten Geschmacks" rangiert. Der Leser staunt über die unglaublich konstruierten Zusammenhänge. Zwar werden die großen - und mitunter unaussprechbar schrecklichen - Ereignisse des 20. Jahrhunderts in Toltz's Plauderton gestreift, aber stets müssen diese im Nachsatz zur Pointe geraten. Ich stimme der FAZ in ihrer Rezension zu, dass dies manchmal kaum zu ertragen ist. Wie so oft frage ich mich einmal wieder, was den Verlag wohl zur Wahl des Titels bewogen haben mag. Im Original heißt Toltz' Werk "A Fraction of the Whole" ("Ein Teil des Ganzen"). Aber, und das muss man diesmal zugestehen, wird der deutsche Titel dem Inhalt tatsächlich gerecht - auch wenn dies gewiss kein Lob sein soll. Hätte sich Toltz auf gut die Hälfte der in Anspruch genommenen 800 Seiten beschränkt, würde mein Urteil sicherlich milder ausfallen. So aber hege ich eine gewisse Angst, was uns der Autor wohl in Zukunft noch zumuten möchte.

Fazit: Kurios schräge australische Familiensaga. Grenzwertig, nur für den ausdauernden Leser, der hart im Nehmen ist. Weniger ist manchmal mehr...


Mittwoch, 15. Januar 2014

Falls Sie wirklich meine Geschichte hören wollen...

Falls Sie wirklich meine Geschichte hören wollen, so möchten Sie wahrscheinlich vor allem wissen, wo ich geboren wurde und wie ich meine verflixte Kindheit verbrachte und was meine Eltern taten, bevor sie mit mir beschäftigt waren, und was es sonst noch an David-Copperfield-Zeug zu erzählen gäbe, aber ich habe keine Lust, das alles zu erzählen.


Richtig, es geht um das One-Hit-Wonder der Pop-Literatur, J.D. Salingers Roman 'Der Fänger im Roggen'. Ja, ich hab ihn schon öfters gelesen, das erste Mal vor 25 Jahren, mal in der Böll'schen (zahmeren) Übersetzung oder auch im englischen Original. Hier im Biblionomicon war ebenfalls schon öfters von J.D. Salinger und seinen Einflüssen die Rede (siehe unten). Coming-of-Age Geschichten sind bzw. waren auch zu Salingers Zeiten natürlich nichts Neues. Aber im Gegensatz zu all seinen Vorgängern trifft Salinger einen anderen Ton, eine Schnoddrigkeit mit Tendenz zur Großspurigkeit und dem immer wiederkehrenden Prinzip der 'verpassten Chance', die den Leser mit der Frage 'Was wäre Wenn...?' alleine zurücklässt. Und dieser Ton zieht den Leser jetzt schon seit mehr als 60 Jahren in seinen Bann. Falls ihr in noch nicht kennen solltet: Lesen!


Zum Thema J.D. Salinger hier im Biblionomicon: