Montag, 1. Oktober 2007

Barocker Bildungsthriller - Monaldi & Sorti: Imprimatur

Imprimatur - [lat.] es darf gedruckt werden (wörtlich: es werde gedruckt)....und zwar mit Erlaubnis der Kirche. Bücher, denen dieses Siegel päpstlicher Zustimmung versagt blieb, gelangten schon mal auf den Index (=Index Librorum Prohibitorum), der übrigens bis in das Jahr 1966 (nach dem 2. Vatikanischen Konzil) bestand, bis er von Papst Paul VI. eingestellt wurde. Ob das vorliegende Buch gedruckt werden darf oder nicht (also ob es das begehrte 'nihil obstat' erhält odr nicht), um diese Frage dreht sich auch die Rahmenhandlung in Monaldis & Sortis barockem Spektakel 'Imprimatur'.
Es geht darum, ob ein unveröffentliches Werk eines Autorenpärchens (eben eine Selbstreferenz auf die Autoren), das dem mit den Autoren befreundeten Bischof von Como zugespielt wurde, nach vielen Jahren (und nach dem mysteriösen Verschwinden der Autoren) doch noch in den Druck gehen soll, da die darin vorgelegten Fakten das anberaumte Heiligsprechungsverfahren des barocken Papstes Innozenz XI. -- sollten sie sich denn bewahrheiten -- entgegenstehen. In Form von Briefen gerichtet an die Kongregation für die Heiligsprechung schildert der Bischof von Como den Fall und die Geschichte des Buches. Das belastende Buch selbst sei entstanden aus er Recherche der Autoren, denen eine bislang verschollene Originalquelle -- eben das hier vorliegende Buch im Buch --- zu Grunde liegt.
Also mal wieder eine Referenz auf eine Referenz, die referenziert...Derartige Kunstgriffe von Autoren sind wir ja schon gewohnt. Umberto Ecos 'Name der Rose' kommt in ähnlicher Weise daher und weist zudem noch viele weitere Parallelen zum vorliegenden Roman auf.

Es dreht sich also um eine Geschichte aus dem 17. Jahrhundert. Wir schreiben das Jahr 1683. Die Türken stehen vor dem belagerten Wien, der Kaiser ist aus der Stadt geflohen, und die Christenheit sieht bange dem vermeintlichen Fall der Feste Europas entgegen. Wir befinden uns in Rom. In einer Herberge stirbt einer der Gäste und aus Angst vor der Pest wird diese samt ihrer Gäste unter Quarantäne gestellt. Den Kern der Geschichte bilden die 9 Tage und Nächte der Quarantäne und das Schicksal ihrer Bewohner. Abbé Melani -- Kastrat und Geheimagent im Auftrag des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. -- beginnt mit Hilfe des Hausburschen mit der Aufklärung des Todesfalls, der ungeahnte Kreise zieht. Wir steigen hinab in das Labyrinth der römischen Katakomben und Kanäle und geraten in ein Netz aus politischen und kirchlichen Intrigen, von denen das Schicksal Europas und der Welt abhängen.

Der unterhaltsam und abwechslungsreich geschriebene Roman birgt zahlreiche Parallelen zu klassischen und modernen Kriminalromanen. Das Gespann Abbé Melani und Hausbursche (der bis zum Ende des Romans eigentlich ohne Namen bleibt, obwohl er der Autor der dem Buch zugrunde liegenden Momoiren ist) ähnelt schon zu sehr William von Baskerville und Adson von Melk (Umberto Eco), Sherlock Holmes und Watson (Arthur Conan Doyle), oder Hercule Poirot und Hastings (Agatha Christie), aber es funktioniert. Die Einheit des Ortes in der klaustrophobischen Herberge ähnelt der Abgeschiedenheit des Klosters (Eco) oder der Enge des Zuges oder Kreuzfahrtschiffes (Agatha Christie). Die Einteilung in 9 Tage und Nächte lässt an Boccaccios 'Decamerone' denken, in dem sich die in der Rahmenhandlung agierenden Personen auf der Flucht vor der Pest in eine selbstauferlegte Klausur begeben (sic!). Selbst die beiden etwas kruden 'Heiligenfledderer' aus der Welt der römischen Katakomben mit ihrem Sprachkauderwelsch und Verbalhieroglyphen zitieren den unter babylonischer Sprachverwirrung leidenden Salvatore aus dem 'Namen der Rose'. Dazu gibt es noch jede Menge historischer Tatsachen und Persönlichkeiten (Ludwig XIV., Papst Innozenz XI., Foucuet, Colbert, Athanasius Kircher [dieser ist übrigens eine bemerkenswert schillernde Persönlichkeit als Wissenschaftler des 17. Jahrhunderts, den fast nur noch Newton und Leibnitz den Rang ablaufen können], uvm.), die in eine Art Verschwörungstheorie eingebunden werden (-> siehe Dan Brown, etc.). Da ich kein Historiker bin, kann ich natürlich nicht nachprüfen, inwiefern sich die zitierten Fakten tatsächlich auf Tatsachen beziehen und wo die Grenze zur Fiktion überschritten wird. Aber Rita Monaldi leistet als klassische Philologin gute Arbeit und versteht es, auch die trockenen politischen Zusammenhänge auf unterhaltsame Art und Weise darzustellen.
Sehr schön dabei sind übrigens literarische Cameos, die mir in dieser Form bislang noch nicht aufgefallen waren. So kommen in dem im 17. Jahrhundert spielenden Teil der Handlung deutliche Referenzen auf René Magritte (Ceci n'est pas une pipe), die französische Revolution ('sans culottes') und sogar auf Jean Cocteau bzw. dessen Zitat im Film 'Bladerunner' (Alle Dinge, die man erlebt, werden verloren gehen in der Zeit, wie eine Träne im Regen....). Sehr schön!! So kommt auch der Bischoff von Como in seinem Brief an die Kongregation für die Heiligsprechung zu dem Schluss, dass "Bücher immer von anderen Büchern sprechen und jede Geschichte eine bereits erzählte erzählt..."

Fazit: Das über 700 Seiten starke Buch birgt pures Lesevergnügen, insbesondere, wenn man auf o.a. Cameos und Referenzen stößt. Der Erzählstrang der Haupthandlung ist sequentiell, die einzelnen Kapitel umfassen dabei jeweily einen Tag bzw. eine Nacht und heben sich dadurch dankenswerterweise von den 'Mikrokapiteln' der schnell geschnittenen Millionenseller á la Dan Brown ab. Nichts desto trotz erlauben sich die Autoren mitunter barocke Aus- und Abschweifungen (für Freunde der gepflegten Fußnoten: es gibt noch einmal knapp 40 Seiten mit historisch überaus interessanten Anmerkungen) -- aber die sind angesichts der Epoche, in der die Handlung spielt, authentisch ;-)

Links:

  1. Leben und Werk des Athanasius Kircher (1602 - 1680)

  2. P. Hertel: Ende des Denkverbots für Katholiken - Vor 40 Jahren hob der Vatikan seine Bücherverbotsliste auf, Kalenderblatt vom 14.06.2006, deutschlandfunk.

  3. englische Zusammenfassung von Monaldi / Sorti: Imprimatur, bei www.attomelani.net

  4. Die christlichen Katakomben von Rom