Henry DeTramble reist durch die Zeit, und zwar unfreiwillig. Ein seltsamer Chromosomendefekt ist dafür verantwortlich, dass er Situationen, in denen er sich nicht wohl fühlt, nervös oder aufgeregt ist, flieht, indem er nicht den Ort, sondern die Zeit wechselt. Ok, Zeitreisen gibt es in der Science Fiction Literatur schon lange. Allen voran natürlich H.G. Wells' 'Die Zeitmaschine', die wir alle zumindest aus den entsprechenden Verfilmungen kennen. Aber hier, in der vorliegenden Geschichte ist das Zeitreisen nicht unbedingt das Hauptanliegen. Vielmehr ist es die Liebesgeschichte zwischen Henry und Clare, die dank des Kunstkniffes der Zeitreise in keinster Weise linear, sondern in wunderbaren Windungen und Kreisen vor unseren Augen mehr und mehr Gestalt annimmt.
Doch zuvor einige technische Details zu Henrys Zeitreisen: Das erste Mal geschieht es während eines schweren Verkehrsunfalls, bei dem Henrys Mutter ums Leben kommt. Der gerade einmal 5-jährige Henry entflieht der Situation und dem sicheren Tod, indem er sich wenige Minuten entfernt am Straßenrand wiederfindet. Aber das erfahren wir erst später im Roman. Vielmehr beginnt die Geschichte mit dem ersten Treffen von Henry und Clare, wobei Clare noch ein kleines Kind ist und Henry bereits ein fast 40-jähriger Mann. Henry und Clare treffen sich immer wieder in unterschiedlichsten Altersvarianten, bis sie sich irgendwann auch im 'realen' Leben, d.h. in Henrys und Clares gemeinsamer Zeitebene kennenlernen und ein Paar werden. Dieses Aufeinandertreffen von zwei Liebenden im ständigen Durcheinander der jeweiligen Lebenszeit und -umständen, das ist es, was diesen Roman so unterhaltsam macht.
Zeitreisen sind ja eigentlich physikalisch unmöglich (außer man akzeptiert eine der Theorien des sogenannten 'Multiversums', d.h. man geht davon aus, dass es potenziell unendlich viele Universen gibt, in denen man dann jeweils landen kann), da die Kausalität, d.h. die Verknüpfung von Ursache und Wirkung bei einer Reise in die Vergangenheit (aber auch in die Zukunft) nur allzu leicht auf den Kopf gestellt werden kann (erschießen Sie einfach ihren Großvater, bevor dieser Ihre Großmutter kennengelernt hat....was passiert dann mit Ihnen? werden Sie überhaupt geboren....und wenn nicht, wie konnten Sie dann ihren Großvater töten??). Dieses Problem wird im vorliegenden Roman recht einfach umschifft, da der Protagonist bei seinen Zeitreisen strikt dem Kausalitätsprinzip unterliegt, d.h. was bereits passiert ist, kann er nicht verändern, so sehr er sich auch bemüht.
Wie geht nun dieses Zeitreisen von statten? Ganz einfach. Henry befällt leichtes Unwohlsein und pfffft.....löst er sich auf und zurück bleiben nur seine Kleider. Völlig nackt kommt er dann in einer anderen Zeit (die von wenigen Ausnahmen abgesehen innerhalb seiner eigenen Lebensspanne liegt) an und sieht sich daher mit vielerlei praktischen Problemem konfrontiert. Das hört sich nicht ganz einfach an, irgendwo zu irgendeiner Zeit (z.B. auch im tiefsten Winter) völlig nackt, unvermittelt aufzutauchen. Ein Umstand, der Henry schließlich auch zum Verhängnis wird.
Doch im Mittelpunkt der Geschichte stehen diese beiden ungewöhnlichen Liebenden, Henry und Clare. Und diese Geschichte ist wirklich wunderbar erzählt! Einige Ungereimtheiten, die mit dem Zeitreisen und kausalen Zusammenhängen zu tun haben, bleiben meiner Ansicht nach zwar ungelöst, was dem Roman aber keinen Abbruch tut, vorallem, da es sich stets nur um Kleinigkeiten handelt. Mein Fazit: Der Roman bietet eine wirklich erfrischende (wenn auch am Ende sehr traurige) Liebesgeschichte in ungewöhnlichen Gewand und regt ob der Thematik sehr zum Nachdenken an. Selbst wenn Zeitreisen (und daher Science Fiction) bislang nicht auf Ihrem Lesezettel standen, kann ich Audrey Niffeneggers Roman nur allerwärmstens empfehlen und verspreche viele Stunden kurzweiligen und immer wieder überraschenden Lesegenuss!
Links:
- Die Frau des Zeitreisenden in Literaturschock
- A. Reinhardt: Wie zwei Königskinder - bei abebooks
- Th. Harbach: Die Frau des Zeitreisenden - bei sfradio
Literaturlinks zum Thema:
Leider sind viele klassische Zeitreisegeschichten (zumindest die wirklich guten) nicht mehr im aktuellen Programm der Verlage erhältlich und man ist auf Antiquariate angewiesen, so z.B.:
- Oswald Levett: Verirrt in den Zeiten, Suhrkamp, 1986
- Robert Silverberg (Hrsg.): Die Mörder Mohammeds, Heyne, 1970.
- Wolfgang Jeschke (Hrsg.): Die sechs Finger der Zeit, Ed. Rencontre, 1980.