Donnerstag, 9. Februar 2012

Ein Homo Novus der modernen Wissenschaft - Ralf Bönt "Die Entdeckung des Lichts"

Es war einmal eine Zeit, da wurde in den Naturwissenschaften noch nicht so genau zwischen den einzelnen Disziplinen Physik und Chemie unterschieden. Überhaupt waren die Zeiten der Alchemie und dem oftmals damit verbundenen Hokuspokus noch gar nicht so lange vorbei und selbst unbestrittene Leuchttürme der Physik wie der große Isaac Newton waren begeisterte Anhänger dieser eher zweifelhaften Kunst. Wenn man "Physik" meinte, so sprach man in diesem Zusammenhang meist allgemein von "Naturphilosophie". Die Geschichte, um die es heute geht, spielt im frühen 19. Jahrhundert und erzählt uns die Lebensgeschichte eines "Homo Novus", eines "Selfmade Man" der Wissenschaften, der es zu großem Ruhm bringen sollte...

Michael Faraday wurde im ausgehenden 18. Jahrhundert in bescheidenen Verhältnissen geboren. Sein Vater verdiente seinen Lebensunterhalt als Schmied und die Familie zog zur Zeit der napoleonischen Kriege ins umtriebige London, wo der junge Michael eine Buchbinderlehre im Geschäft von George Ribeau beginnen sollte. Aber den wissbegierigen Michael interessiert auch der Inhalt der Bücher, denen er als Buchbinder von Berufswegen "neue Kleider" verpassen soll. Insbesondere naturwissenschaftliche Abhandlungen, die haben es ihm angetan.

Michael Faraday auf einem Stich
von John Cochran (um 1829) 
Eines Tages bot sich im die Gelegenheit, eine populäre naturwissenschaftliche Unterweisung des Goldschmiedes John Tatum zu besuchen, der dem staunenden Publikum die Effekte der Elektrizität und die Funktionsweise eines Blitzableiters in spektakulären Experimenten vorzuführen versteht. Tatum war Gründer der City Philosophical Society, deren Ziel darin bestand, auch Handwerkern und Lehrlingen einen Zugang zu wissenschaftlicher Bildung zu ermöglichen. Doch Michael wagt es nicht einmal davon zu träumen, selbst einen naturwissenschaftlichen Beruf zu ergreifen. Seine niedere Herkunft, seine mangelnde Schulbildung und seine ärmlichen, finanziellen Verhältnisse gestatten es ihm nicht, selbst an der Universität zu studieren. Doch er fertigt eifrig Mitschriften der besuchten Vorträge an und da geschieht eines Tages das Wunder im Buchbindergeschäft Ribeau. Der große Humphrey Davy, Chemiker an der Royal Institution und Entdecker zahlreicher chemischer Elemente hält Vorlesungen in London und ein Kunde Ribeaus, fasziniert von Faradays gebundenen Mitschriften der Vorträge John Tatums, nimmt diesen kurzerhand mit zu Davys Vorlesungen. Erneut verfasst Faraday akribische Vorlesungsaufzeichnungen, fertigt zahlreiche Skizzen zu Versuchsaufbauten an, bindet diese als Buch und schickt sein Werk an Davy mit der bescheidenen Bitte um eine Anstellung als einfacher Laborant in dessen Institut. Davy, der durch eine bei einem Experiment erlittene Augenverletzung gerade tatsächlich eine Hilfe benötigte, engagiert Faraday fortan als Gehilfen und persönlichen Assistenten.

Und das verrückte daran ist, diese Geschichte ist tatsächlich wahr. Michael Faraday wurde ohne universitäre Ausbildung als Gehilfe des Chemikers Humphrey Davy zu einem der bedeutendsten Experimentalphysiker Englands, der durch seine Arbeiten die Grundlagen des Elektromagnetismus erforschen sollte und damit ein Wegbereiter wurde für die Erfindung des Elektromotors, der Glühbirne und des von Einstein in seiner mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Dissertationsschrift entdeckten photoelektrischen Effekts.

Versuchsanordnung zum Nachweis
der elektromagnetischen Rotation
Aber Ralf Bönt in Romanform geschriebene Biografie 'Die Entdeckung des Lichts' erzählt nicht nur vom Wissensachaftler Michael Faraday. Vielmehr bringt er uns auch den Menschen Faraday näher, der vor lauter Schüchternheit mehr als nur eine kleine Ewigkeit braucht, um seine zukünftige Frau überhaupt nur anzusprechen und noch gar länger, um sie tatsächlich für ihn einzunehmen. Wir werden Zeuge von Faradays Selbstzweifeln, seinem Ringen um das Verständnis dieser neuen Sprache der modernen Naturwissenschaften, wie sie uns heute so geläufig und selbstverständlich ist. Man kann es sich wirklich kaum vorstellen, wie man sich die Fernwirkung der Kräfte des Elektromagnetismus quasi aus dem Nichts und der bloßen Anschauung der Natur erklären soll. Noch intensiver gerät die Schilderung von Faradays verzweifelten Kampf gegen die Folgen einer Quecksilbervergiftung, die er sich durch die zahlreichen mit giftigen Substanzen durchgeführten Experimente über die Jahre zugezogen hatte (mehr als 30.000 Einträge zu Experimenten sind in seinen Labortagebüchern verzeichnet). Dieses beständige Ringen mit der Krankheit und dem dadurch ausgelösten Verlust von Erinnerung und Konzentrationsfähigkeit war es auch, die den Physiker Ralf Bönt dazu bewegte, diesen Roman zu schreiben, weil ihm selbst ähnliches widerfuhr.

Margaret Carpenter:
Ada Augusta Byron King (1836)
Als obskure Nebenfigur der Handlung, erklärter Fan und glühende Anhängerin Faradays (ja fast sogar schon eine Art 'Groupie'), wird Ada Augusta King, Countess of Lovelace geschildert. Mit ihr führte Faraday einen nahezu leidenschaftlichen Briefwechsel (sofern dieser Mann mit dem stoischen Gemüt dazu überhaupt in der Lage war) und als aufmerksamer Leser des Biblionomicons kennen wir diese Dame natürlich bereits aus F.C. Delius Biografie über den Computerpionier Konrad Zuse 'Die Frau für die ich den Computer erfand' (Rezension 'Alles wegen Ada...' vom 18.08.2011). Ada war die Tochter Lord Byrons und die Mitarbeiterin von Charles Babbage, der die ersten 'mechanischen' Allgemeinrechner (Computer) der Geschichte konzipieren sollte und für die Ada die allerersten Computerprogramme schrieb. Doch das ist eine andere Geschichte.

Fazit: Schön gezeichnete biografische Geschichte über einen ungewöhnlichen Wissenschaftler, der die damalige Welt mit seinen Ideen und Experimenten revolutionieren sollte, die dabei aber den Menschen, der dahinter steht, nicht aus dem Blick verliert. Sehr zu empfehlen!

Ralf Bönt
Die Entdeckung des Lichts
btb Verlag (2011)
352 Seiten
9,99 Euro








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